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       # taz.de -- Weltweite Nötigung in der Postmoderne
       
       > Einst feierte Douglas Rushkoff das Internet als Heilsbringer für die
       > moderne Demokratie. Heute beklagt er den schamlosen „Anschlag auf die
       > Psyche“ des Menschen. In seinem neuen Buch analysiert er die aktuellen
       > Methoden des allgegenwärtigen Marketings in Sport, Medien und Internet
       
       von MARK TERKESSIDIS
       
       Vor allem in den Achtzigerjahren konnte die Firma Ikea sich in
       Alternativkreisen einen guten Ruf erwerben. Wer den überteuerten
       Gelsenkirchener Barock des elterlichen Wohnzimmers vermeiden wollte und
       gleichzeitig überaus skeptisch gegenüber Werbe-Blabla war, der kaufte seine
       Möbel bei Ikea in der Vorstadt ein. Die wurden dann selbst ins Auto
       verladen und zu Hause auch eigenhändig zusammengeschraubt. Gerade die eher
       unbequemen Bedingungen des Einkaufs sorgten für das gute Gewissen, dem
       bösen Kommerz ein Schnippchen geschlagen zu haben. Einziges Ziel: Ein gutes
       Preis-Leistungs-Verhältnis. Nun war allerdings Ikea nie wirklich billig.
       Tatsächlich lebt der Konzern gerade von der Manipulation eines skeptischen
       Publikums – die Unannehmlichkeiten des Einkaufs sind stringent
       durchgeplant. Nicht nur dass der Besucher einem psychologisch genau
       kalkulierten, labyrinthischen Weg durch den Verkaufsraum folgen muss – die
       Atmosphäre des Lagerhauses vermittelt zudem bewusst die Illusion des
       Großhandelspreises, die riesigen Einkaufswagen erzeugen das Gefühl, der
       eigene Bauunternehmer zu sein, und die Abwesenheit von Personal schließlich
       suggeriert den Konsumenten, dass sie hier als die eigentlichen Experten
       gelten.
       
       Solche Methoden, die bereits mit dem Argwohn der Käufer rechnen, bezeichnet
       Douglas Rushkoff in seinem neuen Buch als „postmoderne
       Manipulationstechniken“. Vor allem Ironie wird in diesem Sinne verwendet:
       „Werbung mit einem Augenzwinkern honoriert die zynische Haltung aufmüpfiger
       Zuschauer“ – und ist deshalb um so wirkungsvoller, betont er. In „Der
       Anschlag auf die Psyche“ analysiert der New Yorker Kulturwissenschaftler
       neue und alte Formen der „Nötigung“ – so der Originaltitel – durch
       Vertreter an der Haustür, durch die Atmosphäre von Einkaufszentren, durch
       PR-Spektakel oder die ständige Belästigung mit kommerzieller „Spam-Mail“.
       Besonders auf die Eroberung des Internets durch die „unerbittlichen Kräfte
       des Marktes“ hat es Rushkoff abgesehen – schließlich ist er ein
       enttäuschter Liebhaber. In seinen Büchern „Cyberia“ und „Media-Virus“ hatte
       er das Internet noch als ausgezeichneten Ort einer kritischen,
       demokratischen Öffentlichkeit gepriesen.
       
       Die Entwicklung im Internet geht seiner Meinung nach in Richtung Fernsehen:
       Die Industrie habe es geschafft, die vielfältigen
       Verständigungsmöglichkeiten auf das World Wide Web zu reduzieren. Zunächst
       sei konsequent mit der Do-it-yourself-Mentalität aufgeräumt worden – an die
       Stelle von Austausch trat das Herunterladen, Bestellen und Lesen. Dann
       wurde das Medium remystifiziert, wozu vor allem das kalifornische
       New-Economy-Zentralorgan Wired beigetragen habe: „Wired setzte auf ein
       irritierendes Layout und eine Flut von Modewörtern, um Neulingen wieder
       Respekt vor einem technisch komplizierten und von der Idee her
       einschüchternden Internet einzuflößen.“ Die auch hierzulande bekannten
       Horrormeldungen über „Internetpornografie“ trugen endgültig dazu bei, das
       „Image einer Gefahrenzone“ zu kreieren, zu deren Nutzung man den Rat von
       Experten benötigt. Die nächste Stufe war schließlich die Etablierung des
       kontrollierbaren WWW-Filters, den heute praktisch jeder mit dem Internet
       verwechselt.
       
       Einen ähnlichen Prozess der Kolonisierung beobachtet Rushkoff beim
       US-amerikanischen Basketball. Tatsächlich wurden auf Drängen des
       NBA-Beauftragten David Stern die Regeln des Spiels verändert, um das
       Kombinieren innerhalb der Mannschaft durch die stilistische Akrobatik von
       individualistischen „Shootern“ zu ersetzen. Zudem bediente sich Stern
       generalstabsmäßig aus dem Repertoire der urbanen schwarzen Jugendkultur, um
       dem Spiel ein „cooleres“ Image zu verpassen: Das Design von Hosen und
       Trikots bezog seine Inspiration aus der schwarzen Street-Wear, die Grafik
       ähnelte zunehmend den Graffiti auf den Straßen, und der Soundtrack wurde
       HipHop. Solche Beispiele gibt es in Rushkoffs Buch zur Genüge – von der
       kommerziellen Ritualisierung des „Woodstock“-Gefühls bis zur Abdrängung der
       lebendigen Rave-Kultur in bereits bestehende, kommerzielle Orte.
       
       Bei seiner Anklage wider die Manipulation schreckt Rushkoff vor Vergleichen
       nicht zurück, die hierzulande gern als „(alt)linker Alarmismus“
       diskreditiert werden. Die schamlosen Methoden der Vertreter sieht er in der
       Tradition von CIA-Verhörmethoden, die neuesten Spektakel in
       Football-Stadien erinnern ihn an Nazi-Parteitage, und
       Public-Relations-Manager hält er für die Nachfolger von Missionaren auf
       imperialistischem Raubzug. Rushkoffs Buch ist eine Art Ergänzung von
       Richard Sennetts Arbeit über den „flexiblen Menschen“ – er analysiert die
       Konsumentenseite. So hat er das Buch auch ähnlich aufgebaut: Für jeden
       Bereich der Manipulation lernen wir als Paradebeispiel einen persönlichen
       Bekannten von Rushkoff kennen. Zweifelsohne sind beide Bücher voll
       interessanter Informationen, aber Rushkoff teilt mit Sennett auch das
       irrige Gefühl, dass vor ihm noch nie jemand dieses Thema bearbeitet hätte.
       
       Dass einer, der noch Mitte der Neunzigerjahre die Gesellschaft auf dem Weg
       zur elektronischen Demokratie sah, nun vor dem totalitären kapitalistischen
       Kommerz warnt wie sonst nur Noam Chomsky, ist schon eine seltsame
       Entwicklung. Ein Teil der Aufregung ist sicherlich der politischen Naivität
       zu verdanken, mit der Rushkoff weiland das Internet als Heilsbringer der
       Demokratie gefeiert hat. Zudem berichtet er in seinem Buch davon, wie seine
       bösen Gegner aus der Industrie ihn nach der Lektüre seiner Bücher als
       Berater angefragt haben – das hätte ihn durchaus schon früher nachdenklich
       stimmen können. In diesem Sinne wirbt der Verlag auch jetzt auf dem
       Buchdeckel ausgerechnet mit einem Lob des von Rushkoff arg gescholtenen
       Magazins Wired. Eine politische Gefahr stellt der Kulturwissenschaftler
       wohl auch nicht dar: Seine Vorstellungen reduzieren sich auf die Devise
       „Stell dir vor, es gibt was zu kaufen, und keiner geht hin“. Seine Kritik
       ist dennoch uneingeschränkt begrüßenswert – Erkenntnis ist bekanntlich der
       erste Schritt zur Besserung.
       
       Rushkoff, Douglas: „Der Anschlag auf die Psyche. Wie wir ständig
       manipuliert werden“. DVA, 336 Seiten, 39,80 DM
       
       20 Feb 2001
       
       ## AUTOREN
       
   DIR MARK TERKESSIDIS
       
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