# taz.de -- Dampfende Vergangenheit
> Serie: Staub abschütteln. Tips für Stadtflüchtige. Heute: Nach
> Groß-Glienicke zum Atelierhaus Panzerhalle in einer ehemaligen Kaserne ■
> Von Katrin Bettina Müller
Glasscherben liegen auf dem Trampelpfad, der von der Bushaltestelle an der
Potsdamer Chaussee über die Mauerschneise zur ehemaligen Kaserne
„Waldsiedlung“ führt. „Den Kopf einziehen“ rät ein Schild am
durchschnittenen Drahtzaun, das zur Ausstellung des Atelierhaus Panzerhalle
weist. Bomber, Panzer und Hakenkreuze sind auf die Betonwände der Kaserne
im Westen Berlins gesprüht, die zuletzt von DDR-Grenztruppen genutzt wurde.
Die Stimmung zwischen bedrohlicher Vergangenheit und der Rückkehr einer
struppigen Natur verdichtet sich unter dem Dach der alten Tankstelle. Den
Platz der Zapfsäulen nehmen vier Terrarien ein: Heuschrecken krabbeln über
den Rand eines rostigen Stahlhelms, Mäuse verstecken sich, eine silberne
Lok hat sich in Mehl festgefahren. Dazwischen hat Christine Schlegel
Keramikfiguren gesetzt, deren Köpfe in Fischleibern auszwirbeln. Sie
steigert die Spannung ins Surreale, die den Ort umgibt.
Christine Schlegel gehört zu den mittlerweile 23 Künstlern, die vor
steigenden Gewerbemieten aus Berlin (Ost und West) und dem Brandenburger
Umland hierhin geflohen sind. Rund um die ehemalige Reparaturwerkstatt für
Panzer gruppieren sich die Arbeitsräume, die seit 1991 mit Unterstützung
der LEG (Landesentwicklungsgesellschaft für Städtebau, Brandenburg) und dem
Brandenburgischen Verband Bildender Künstler ausgebaut werden konnten. Doch
wenn am Wochenende Mopeds auf der Suche nach einer Rallye vorbeiknattern
oder wieder jemand seinen Müll in die Ruinen des Heizkraftwerks gekippt
hat, kehrt das Gefühl zurück, der Verwahrlosung nur mühsam zu trotzen.
Was am Ende der Panzerhalle wie ein noch nicht ausgeräumtes Ersatzteillager
wirkt, entpuppt sich als Werkstatt von Eleonore Straub. Bei ihr geraten
nicht wenige Besucher aus dem Häuschen. Denn als fleißige Ethnologin der
Gegenwart hat sie fast das halbe Inventar der ehemaligen DDR eingelagert:
Kameras und Leuchttürme aus buntem Plastik, die roten und grünen
Ampelmännchen mit Hut, die am Wachturm der Kaserne blinken, kistenweise
Mitropa-Geschirr. Vor allem die ausgesonderten Bleisätze der ehemaligen
Staatsdruckerei der DDR bringen einen früheren Setzer aus der Fassung. Was
in Straubs Archiv als nicht mehr kompatibel für die Gegenwart gelandet ist,
dampft sozusagen noch.
Merkwürdig ist er schon, der Geschichtstourismus zur jüngsten
Vergangenheit. Erst mit der Wende rückten die Kasernen und militärischen
Sperrgebiete ins alltägliche Bewußtsein, die auf beiden Seiten der Grenze
unzugängliche Barrieren bildeten. Als Tabuzonen im Wald, blinde Flecken der
Landkarten, unbetretbare Ufer zerfetzten sie die Topographie von Stadtrand
und Umland. Mit ihrer Ausstellung dort will die Ateliergemeinschaft
Panzerhalle nicht nur ihren gegen bürokratische Hürden erkämpften
Produktionsstandort vorstellen. Ihnen geht es auch um die Geschichte der
„Waldsiedlung“, in der sich heute auch Autowerkstätten, eine Tierpension,
eine Schule, ein Büro- und ein Gästehaus der LEG befinden.
Aus dünnem Draht geformte Akrobaten überqueren das Seil, das Michael Heyers
zwischen der Panzerhalle und dem Heizkraftwerk gespannt hat. Sie
balancieren, baumeln, fahren Rad; an der Kante zum Dach aber wandelt sich
ihr spielerischer Tanz in Flucht. In den Duschräumen der
Mannschaftsgebäude, die in den zwanziger Jahren für die Wehrmacht gebaut
wurden, hat Bettina Schilling Figuren von Stürzenden, Gefallenen und
greifenden Händen auf die Kacheln montiert. Dies Echo eines gewaltsamen
Geschehens läßt beinahe jeden an die Massenmorde in den Duschräumen der
Konzentrationslager denken.
Ein Besucher findet diese Interpretation übertrieben, dem banalen Ort
pathetisch übergestülpt: Duschraum ist Duschraum. Aber wer, wie die meisten
Frauen, zum erstenmal durch eine Kaserne kommt, kann sich des Schauderns
über das hier eingesperrte Leben kaum erwehren. Anita Staudt, die zusammen
mit Schilling und Eva Kohler die Umnutzung der leeren Kaserne in Ateliers
anschob, zeigt ihre Zeichnungen in einem ehemaligen Schulungsraum: Eine auf
die Wand gemalte Tabelle gliedert „Chemische Kampfstoffe“ nach ihrer
toxischen Wirkung auf Nerven, Haut, Lungen und Psyche.
Ein Rudel hölzerner Hunde, schon wieder komisch in ihrer geschnitzten
Wildheit, läßt der Bildhauer Lothar Seruset am Ende eines langen Flures
auftauchen. Über die vermeintliche Authentizität des Ortes macht er sich
keine Illusionen. Die Kunst verkürzt die Geschichte auf Schlagworte. Aber
ohne die inszenierten Akzente droht stumm zu verschwinden, was gewesen ist.
Bevor Umbauten der Mannschaftswohnungen in Büros und saubere
Einfamilienhäuser den Dreck der Geschichte vergessen lassen, laden die
Künstler deshalb zur Ortsbesichtigung ein.
Atelierhaus Panzerhalle, geöffnet 31. August und 1. September, 14 – 20 Uhr.
Vom U-Bhf. Rathaus Spandau mit dem Bus 135 bis Haltestelle „Außenweg“.
30 Aug 1996
## AUTOREN
DIR Katrin Bettina Müller
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