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       # taz.de -- Image des Löwen wird angekratzt
       
       > Die Seligsprechung von Kardinal von Galen am Sonntag in Rom ist
       > umstritten: Der „Löwe von Münster“ kämpfte in der NS-Zeit gegen
       > Euthanasie, schwieg aber zum Judenmord
       
       AUS MÜNSTER MARCUS TERMEER
       
       Am Sonntag wird in Rom Clemens August Kardinal von Galen (1878-1946) selig
       gesprochen. Und damit ein Kirchenfürst, der zum „Löwen von Münster“
       monumentalisiert, einen Mythos verkörpert: den von einem katholischen
       Münsterland, das den Nazis nichts als Widerstand entgegenbrachte.
       
       In der Tat hatte Galen den Mut, das Regime offen des Massenmordes an
       Behinderten anzuklagen und fand hierin einen breiten Rückhalt in der
       katholischen Bevölkerung. Zugleich war der auf Burg Dinklage im Oldenburger
       Münsterland geborene Adlige Repräsentant eines antimodernen,
       national-konservativen, heimatbewegten Katholizismus und dessen
       ambivalenter Stellung zum NS-Staat – zwischen Zustimmung zu einem „Bollwerk
       gegen den Bolschewismus“, „nationaler Pflichterfüllung“, und Ablehnung.
       Eines Milieus aber auch, das sich seit 1935 zunehmend vom Regime
       drangsaliert sah. Und hiergegen einen „recht beachtlichen, zähen
       Selbstbehauptungswillen“ zeigte, andererseits immer wieder Konsens- und
       Loyalitätsbereitschaft aufbrachte, so Norbert Fasse, Regionalhistoriker und
       Leiter des Stadtarchivs Borken. Er hat sich viel mit dem damals
       vorherrschenden katholischen Milieu und dessen politischer Einstellung
       beschäftigt.
       
       Seit 1933 überaus populärer Bischof von Münster, starb Galen überraschend
       kurz nach seiner Ernennung zum Kardinal und seiner triumphalen Rückkehr aus
       Rom 1946. Alsbald wurden reihenweise münsterländische Straßen und Schulen
       nach ihm benannt, begann seine Heilig-Schreibung zum unumstößlichen „Löwen
       von Münster“. Seit den 1980er Jahren mehren sich allerdings kritische
       Stimmen gegen das verbreitete „Löwen“-Bild.
       
       Schon 1956 wurde seine Seligsprechung beantragt. Ende 2004 erkannte Rom ein
       “Wunder“ Galens von 1995 an, die Heilung eines Schülers aus dem Jenseits
       heraus. Doch selbst in den Darstellungen des Bistums gerät dies in den
       Hintergrund zugunsten des auch vom Vatikan gewürdigten Widerstands. Auch
       Bundespräsident Horst Köhler sprach von einem „großen Tag für die Kirche
       von Münster“ und „für alle, die wissen, was wir den Mutigen zu verdanken
       haben, die dem verbrecherischen NS-System Widerstand entgegengesetzt
       haben“.
       
       Anders die Pax-Christi-Gruppe in Rottenburg-Stuttgart. Sie verlangte
       kurzerhand, von der „Seligsprechung abzusehen“, weil sonst „die
       Glaubwürdigkeit der Kirche mit ihren Friedensbemühungen auf dem Spiel“
       stehe. Galen habe die illegale Wiedereinführung der Wehrpflicht und den
       Einmarsch Nazideutschlands ins Rheinland ebenso befürwortet, wie den
       „Angriffs- und Vernichtungskrieg“. Und wie der Rest des Klerus habe er zum
       Judenmord geschwiegen. Hierauf gab es von offiziellen kirchlichen Stellen
       keinerlei Reaktion. Auch Pax Christi Münster wartet mit seiner Bitte ans
       eigene Bistum, sich von Galens Kriegsbefürwortung zu distanzieren, auf eine
       Antwort. Die wird es laut Bistums-Sprecher Karl Hagemann, der von
       „abenteuerlichen Thesen“ spricht, nicht geben.
       
       Galen hielt seine berühmte Predigt gegen die „Euthanasie“-Morde im Sommer
       1941. Wer „den Grundsatz aufstellt und anwendet, daß man den
       ‚unproduktiven‘ Mitmenschen töten darf“, bedrohe letztlich „uns alle“,
       klagte er die Einhaltung gottgegebener universeller Menschenrechte ein.
       Mehr noch, er erstatte Strafanzeige wegen Mordes beim Polizeipräsidenten.
       Damit setzte der Bischof nicht nur sein Leben aufs Spiel. Es war auch die
       wohl „erfolgreichste Einzelaktion“ gegen die Nazis, so der Münchener
       Zeithistoriker Winfried Süß. Denn die Morde, denen bis dahin rund 60.000
       Menschen zum Opfer vielen, seien für ein Jahr gestoppt worden. Das Regime
       konnte keine Unruhe an der „Heimatfront“ gebrauchen. Eine Abrechnung mit
       Galen, so steht es in Goebbels‘ Tagebuch, sollte nach dem „Endsieg“
       erfolgen.
       
       Einen offenen Protest gegen die Diskriminierung, Deportation – in Münster
       ab Dezember 1941 – und Ermordung der jüdischen Bevölkerung hat es von Galen
       nicht gegeben. Indirekt, sagt Süß, aber schon. Der von Galen mitverfasste
       “Dekalog-Hirtenbrief“ von 1942 finde schärfste Formulierungen: Die Tötung
       von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Rasse sei „in sich schlecht“.
       Zudem hatten sich Münsteraner Holocaustüberlebende wie der Rabbiner
       Steinthal sehr positiv über den Bischof geäußert.
       
       Gegen die Unterdrückung des katholischen Kirchen- und Vereinslebens, die
       Verschleppung von Priestern und Nonnen, protestierte Galen immer wieder.
       Und wetterte schon 1934 in einem Hirtenbrief gegen das “Gift“ des
       „Neuheidentums“, wie es der NS-Cheftheoretiker Alfred Rosenberg
       propagierte. Diese „Irrlehre“, die „Rasse“ und „Blut“ über Recht und „das
       sittliche Naturgesetz“ stelle, sei der bisher schlimmste Angriff aufs
       Christentum. Um 1933 hoffte Galen aber noch auf eine Verständigung mit den
       Nazis, schon wegen der anfangs beruhigenden Signale Hitlers an die Kirche.
       
       Gegen faschistische Diktaturen grundsätzlich aber hatte er nichts.
       Zumindest, soweit sie dem Katholizismus huldigten. So bejubelte er den Sieg
       der Franco-Truppen über die „Scharen des Antichrists“ im spanischen
       Bürgerkrieg. Hitlers Überfall auf die Sowjetunion unterstützte Galen in
       seinem Hirtenbrief vom 14. September 1941 als Abwehrschlacht tapferer
       deutscher Soldaten gegen die „Pest des Bolschewismus“, von der nun auch das
       russische Volk befreit werde, wie er glaubte. Offenbar zustimmend zitiert
       er Hitlers Rede über die „jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft von
       Moskau“, die nun militärisch zurückgedrängt werde. Zugleich beklagte er die
       “gottlose“ Politik der Nazis, die ein Aufkommen des Bolschewismus im Innern
       befördern könne. „Wenn man glaubt, nicht mit uns gemeinsam den
       Bolschewismus bekämpfen zu können“, solle der Staat der Kirche die Freiheit
       geben, das Ihrige allein zu tun.
       
       Auch Sozialdemokraten sah Galen – selbst Mitglied der Zentrumspartei – als
       „Christenfeinde“, die Weimarer Republik als eine „Zeit der extremen
       Demokratie“. Er geißelte die „Pest des Laizismus“, die unter der
       „Vorherrschaft liberaler und sozialistischer Ideen“ gewütet habe. 1919
       hoffte er auf eine schnelle Rückkehr zu einer „organischen“, also
       ständisch-monarchistischen Ordnung. Und noch nach Kriegsende 1945 war er
       überzeugt, die Demokratie „hat uns ins Unglück gebracht vor 1933“, sie habe
       „Hitler zur Herrschaft gebracht“ und werde nun „Kommunismus bringen“.
       Dagegen müsse eine „positive christliche Politik“ betrieben werden.
       
       In der Rückschau erscheint der „Löwe von Münster“ als ambivalenter
       Repräsentant eines politisch-sozial strikt vormodernen Katholizismus: Ein
       Bischof, verwurzelt in der Soziallehre, der kirchenpolitisch „unglaublich
       fortschrittlich“ gewesen sei, so Süß, da er „eine Art politisches Mandat“
       der Kirche in Menschenrechtsfragen verlangt habe. Gerade weil er zugleich
       stramm deutschnational und antikommunistisch war, sei er für die Nazis so
       „bedrohlich“ gewesen.
       
       Ein Bischof aber, so Fasse, der nicht zuletzt unter dem Motto „treudeutsch
       und treukatholisch“ nationale „Pflichterfüllung“ und „Opferbereitschaft“
       anmahnte, der so, wie seine Kirche insgesamt, zur „zusätzlichen
       Legitimation des Vernichtungskriegs“ beigetragen habe und der nach dem
       Krieg sofort gegen jede Kollektivschuld auftrat. Der durch Galens raschen
       Tod begünstigte Löwen-Mythos habe dann auch über Jahrzehnte für ein „mildes
       katholisches Selbstbild“ gesorgt.
       
       7 Oct 2005
       
       ## AUTOREN
       
   DIR MARCUS TERMEER
       
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