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       # taz.de -- „Offiziell sind wir ja Feinde“
       
       > tanz „Als würde die Berliner Mauer fallen“, so bezeichnet Nir de Volff,
       > in Berlin lebender israelischer Choreograf, seine Arbeit mit Geflüchteten
       > aus Syrien
       
   IMG Bild: Medhat Aldaabal, Moufak Aldoabi, Amr Karkout in „Come as you are“ von Nir de Volff
       
       Interview Astrid Kaminski
       
       taz: Herr De Volff, Sie sind israelischer Künstler und arbeiten mit
       syrischen Geflüchteten. Wie kam es zu dieser bemerkenswerten Konstellation? 
       
       Nir de Volff:Zunächst aus humanitärem Interesse. Ich war Teil einer
       selbstorganisierten Gruppe aus Künstlern, Ärzten, Anwälten et cetera, die
       sich zur Zeit der großen syrischen Immigrationswelle 2015 gegründet hatte.
       ‚Was kann ich den Geflüchteten anbieten?‘, fragte ich mich. Bald stellte
       ich fest, dass viele der Körper wie aus Stein waren. Die Art, wie sie sich
       bewegten, wie sie atmeten, alles war überspannt. Ihre Körper haben viel
       mitgemacht, sie waren traumatisiert. Ich kenne mich aus mit körperlichen
       Entspannungsübungen. Ich bat also (bei der Tanzbühne) Dock 11 (in der
       Kastanienallee) um ein Studio – es wurde mir kostenfrei zur Verfügung
       gestellt – und fing an.
       
       Haben Sie sich mit Ihrem Angebot an Männer und Frauen gerichtet? 
       
       Ich wollte eine gemischte Gruppe, aber das ließ sich mit ihrer Kultur nicht
       vereinbaren. Auch getrennte Gruppen waren nicht möglich, weil Frauen nicht
       mit mir als Mann arbeiten wollten. Den eigenen Körper in der Anwesenheit
       des anderen Geschlechts zu benutzen, ist für sie keine Option.
       
       Wie haben die Männer darauf reagiert, dass Sie Israeli sind? 
       
       Ich wollte es ihnen eigentlich gar nicht sagen. Ich hatte Angst, dass es
       sonst gleich zu Ende wäre, dass sie mich mit Anschuldigungen konfrontieren
       würden, dass vielleicht sogar etwas Gefährliches passieren würde. Offiziell
       sind wir ja Feinde. Das ist auch irgendwo noch in meinem Kopf. Wenn du aus
       einem Land kommst, das ohne Krieg eigentlich nicht vorstellbar ist, dann
       kann man dieses Denken nicht ganz ausschalten. Aber meine Vorsicht brachte
       nichts. Die Männer schauten mir in die Augen und wussten es sofort. Obwohl
       sie noch nie einen Israeli getroffen hatten! Das ist wohl etwas
       Mediterranes. Wir erkennen uns an den Gesichtszügen, an der Art der Stimme.
       
       Und die Reaktion? 
       
       ‚Hey, welcome!‘ Es war aufregend für sie, jemanden von der anderen Seite zu
       treffen. Sie sahen endlich mal ihren imaginären Nachbarn, den sie nur aus
       den Nachrichten kennen. Mit der Zeit war es, als würde die Berliner Mauer
       fallen. Wie ein Treffen von Fleisch und Blut – schwierig, diese Aufregung
       in Worte zu bringen! All das bewegte mich sehr. Meine Situation war der
       meiner syrischen Freunde sehr ähnlich: Meine Heimat ist ausschließlich von
       arabischen Ländern umgeben und alles, was ich davon wusste, stammt aus den
       Medien, oder aus äußerst gelegentlichen Begegnungen.
       
       Sie haben nie mit arabischen Tänzer*innen zusammengearbeitet? 
       
       Doch, im Jahr 2011 habe ich in Amsterdam einen ägyptischen Tänzer
       getroffen. Das war, als würden zwei Aliens aufeinander treffen. Ich war
       sofort besessen davon, etwas mit ihm zusammen zu machen. Das taten wir dann
       auch auf dem niederländischen „Dancing on the edge“-Festival. Seither ist
       es eine Utopie, ein ernsthafter Traum von mir, mit Menschen aus allen
       arabischen Nachbarländern zusammenzuarbeiten.
       
       Wie kam es, dass aus Entspannungsworkshops eine Tanzklasse und nun eine
       Performance wurde? 
       
       Eines Tages erzählten die Männer mir, dass sie einen syrischen Tänzer
       kennen, der gerade erst in Berlin angekommen sei. Es war Medhat Aldaabal.
       Er hat wiederum seinen Cousin mit ins Boot geholt, und dann kamen wir
       endlich auch an eine Tänzerin. So änderte sich der Fokus. Die Menschen aus
       der ersten Gruppe wurden unabhängiger, begannen ihr Leben hier, und wir
       anderen wurden eine Tanzgruppe.
       
       Die Tänzerin ist bei den Aufführungen nicht dabei. 
       
       Irgendwann kam der Moment, an dem ich unserem Prozess mehr Form geben
       wollte. Wobei es mir wichtig war, das nicht in einer Form zu tun, in der
       ich die geflüchteten Künstler*innen für mich ausnutzen würde, weil es
       zurzeit beispielsweise chic ist mit Syrern zu arbeiten. Wir beschlossen
       zusammen, unseren Prozess in einem Showing zu öffnen. Dabei aber wurden
       dann auch die Probleme offensichtlich. Es begann mit eben jener Tänzerin.
       Ich realisierte, dass ihre Energie verebbte, dass ihr Körper voller Zweifel
       war. Eines Tages bat sie mich um ein Gespräch und machte mir klar, dass sie
       nicht in einer Veranstaltung genannt werden könne, in der gleichzeitig ein
       Israeli genannt werde. Sie hatte mit ihren Eltern in Syrien gesprochen und
       die Einschätzung erhalten, dass es eine tödliche Gefahr für sie bedeuten
       würde, wenn es herauskäme.
       
       Hat Sie das entmutigt? 
       
       Es war wie ein Messer. Trotzdem bot ich ihr an, weiter zu machen, und sei
       es mit Maske. Ich wollte es nicht aufgeben, an die Chance zu glauben, dass
       wir als Syrer und Israeli in einem freien Land zusammenarbeiten können. Ich
       wollte nicht einsehen, dass es in diesem Sinn kein freies Land gibt. Aber
       am Ende war das Risiko zu groß ist. Trotzdem bin ich dankbar, dass die
       Gruppe nicht aufgegeben hat. Meine Freunde blieben immer optimistisch.
       Dabei würden die Lebensgeschichten, die sie mit sich tragen, viele von uns
       komplett paralysieren. Und es stellte sich heraus, dass sie sogar noch mehr
       zu tun hatten als ich: täglich Deutschkurs, täglich ihre Anwesenheit
       abzeichnen, Jobcenter, Schlange stehen für 120 Euro im Monat und so weiter.
       Flüchtling im Jahr 2016/17 zu sein, ist nicht leicht.
       
       4 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Astrid Kaminski
       
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