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       # taz.de -- Die vielen Farben von Heiligensee
       
       > Das Museum Reinickendorf zeigt Werke von Hannah Höch, die während und
       > nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind
       
   IMG Bild: „Ungleiches Paar“ von 1956 aus der Ausstellung: „Von Heiligensee in die Welt“
       
       Von Lorina Speder
       
       Es ist eine Idylle auf den ersten Blick: die Gärten und Häuser, die Hannah
       Höch in ihrer Heiligensee-Serie gemalt hat und die jetzt im Museum
       Reinickendorf zu sehen sind. Die kräftige grüne Aquarellfarbe der Pflanzen
       harmoniert mit den gelben Flächen der Beete und roten Farbtupfern des
       Mohns. Doch schaut man genauer hin, stellt man fest, dass der Himmel nie
       klar ist. Selbst wenn die per Federstrich angedeutete Sonne auf den
       Abbildungen scheint, erkennt man einen grauen Schleier in der Luft.
       
       Hannah Höch fertigte ihre Serie während des Zweiten Weltkriegs an. 1939 zog
       sie mit ihrem damaligen Ehemann in ein Haus im Berliner Norden, das sie
       sich durch ein kleines Erbe ihrer Eltern leisten konnte. Die Jahre, in
       denen die Aquarelle und weitere abstrahierende Bilder ihrer Nachbarschaft
       entstanden, waren geprägt von großer Trauer. Da war der Krieg auf der einen
       Seite und zum anderen die Trennung von ihrem Mann, der sie 1942 verließ.
       
       Mit der Zeit in Reinickendorf begann für Höch eine neue Lebensphase. Ihre
       Kunst, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft worden
       war, präsentiert sie nach ihrer Isolation während des Kriegs weiterhin –
       doch heute ist ihr Spätwerk bei Weitem nicht so bekannt wie ihre Collagen,
       mit denen sie als einzige Frau unter den Berliner Vertretern der
       Dada-Bewegung in den 1920er Jahren bekannt wurde. Umso lohnenswerter ist
       es, die späteren Arbeiten Höchs mit Fotografien der Künstlerin von Stefan
       Moses und weiteren Fotos aus der Sammlung des Museum Reinickendorf in der
       Ausstellung „Hannah Höch – Von Heiligensee in die Welt“ zu sehen.
       
       Denn Höchs Werk ist vielfältig. Sie wollte als Künstlerin nicht auf den
       Dadaismus festgelegt werden. In ihrem Atelier in Heiligensee
       experimentierte sie mit Materialien, fertigte neben ihren Collagen und
       Aquarellen unter anderem eine Reihe von Miniaturbildern an und befreite
       sich von der Einhaltung stilistischer Formensprachen. Mal sind die
       ausgestellten Bilder mit geometrischen Gebilden abstrakt, mal figurativ.
       Sie lassen aber immer auf Höchs Gefühlszustand schließen. 1961 etwa, als
       sie als Ehrengast in der Villa Massimo in Rom residierte, explodieren die
       Farben unter den weißen, schwarzen und immer lebendigen Linien in ihren
       Werken. Es war eine Zeit, in der es ihr sehr gut ging.
       
       In Heiligensee aber, besonders kurz nach dem Krieg, kämpfte sie sich als
       Künstlerin durch. Immer knapp an der Grenze zur Armut wurde sie durch das
       Kunstamt Reinickendorf bei ihrer Arbeit unterstützt, aber auch in ganz
       alltäglichen Dingen. Cornelia Gerner, Leiterin des Museums Reinickendorf
       und Kuratorin der Ausstellung, sprach für ihre Recherche mit dem damaligen
       Kunstamtsleiter Georg Pinagel. Dabei erfuhr sie, dass sich der Bezirk sogar
       um die Instandhaltung von Höchs Haus kümmerte und einen engen Kontakt zur
       Künstlerin pflegte. „Reinickendorf wusste, was man mit ihr hatte“, sagt
       Gerner und bezeichnet Höch als „Ikone des Bezirks“.
       
       Durch die Unterstützung von Reinickendorf war Höch nach den Kriegsjahren
       bis hin zu ihrem Tod im Mai 1978 immer wieder in Ausstellungen in Berlin
       vertreten. Über Rundschreiben und auf Nachfrage vom Kunstamt bot sie dem
       Bezirk Werke an, die dieser dann erwarb oder teilweise direkt nach deren
       Ausstellung ankaufte. So baute sich nach und nach die Höch-Sammlung in
       Reinickendorf auf.
       
       Höch schätzte diese Unterstützung. Sie, die ihr gesamtes Leben schon immer
       fein säuberlich dokumentierte, ablegte und sortierte, fertigte eine Mappe
       für den Bezirk an, die nach ihrem Tod durch ihre Erben an das Kunstamt
       Reinickendorf übergeben wurde. In ihr befand sich die Heiligensee-Serie,
       die nun komplett ausgestellt wird.
       
       Doch es gibt noch eine weitere Sammlung in Berlin, die wichtig für die
       Recherche der aktuellen Ausstellung in Reinickendorf war. Die Berlinische
       Galerie kaufte nach Höchs Tod über ihren Gründungsdirektor Eberhard Roters
       Höchs kompletten dokumentarischen Nachlass an. Heute sind die Briefe,
       Postkarten, Fotografien oder Zeitungsausschnitte, welche die Künstlerin
       schon zu Lebzeiten archivierte, im Depot des Museums gelagert und für
       Forschungszwecke zugänglich. So können persönliche Verbindungen
       nachvollzogen werden, die einige Bilder der Künstlerin erklären.
       
       Auch Cornelia Gerner recherchierte in der Berlinischen Galerie für ihren
       Beitrag im ausstellungsbegleitenden Katalog. Ralf Burmeister, der
       wissenschaftliche Leiter der Künstlerarchive dort, verfasste dafür
       ebenfalls einen Text.
       
       Hannah Höch war weit über die Grenzen der lokalen Künstlerszene bekannt.
       Von Heiligensee aus schrieb sie Briefe nach Kioto in Japan, wo sie vier
       Jahre vor ihrem Tod ausstellte. Die Schreibmaschinentexte für ihren Katalog
       findet man noch heute im Archiv der Berlinischen Galerie. Ihre weltweite
       Bekanntheit brachte Google sogar dazu, an ihrem 128. Geburtstag 2017 ein
       Hannah-Höch-Doodle zu installieren. Dort setzte sich ihr Gesicht aus vielen
       Papierschnitten zusammen – Höch ist besonders für die Collage bekannt.
       
       Sie selbst malte sich 1943 in Heiligensee mit expressiven Farben und
       geraden, schnittigen Linien. In ihrem Selbstporträt in der Ausstellung
       blicken ihre Augen traurig am Betrachter vorbei, und ihre Gesichtszüge sind
       verhärtet. Der Kopf ist bis auf wenige angedeutete Haare kahl. Nur ihr
       sinnlicher Mund überträgt eine Emotionalität, die bewegt. Anders als bei
       dem Doodle ist sie nicht allein abgebildet. Man erkennt einen Eimer mit
       Pinseln, der auf dem Bild wie gespiegelt rechts neben ihrem Gesicht
       platziert ist. Auch wenn Höch sich zu dieser Zeit einsam gefühlt haben muss
       – die Kunst hat sie nie verlassen.
       
       Museum Reinickendorf, bis 9. Dezember, Mo – Fr + So 9 – 17 Uhr
       
       20 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lorina Speder
       
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