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       # taz.de -- Eine Orgel zum Herumstromern
       
       > Beim CTM-Festival stellen Phillip Sollmann und Konrad Sprenger ihre
       > Avantgarde-Orgel Modular Organ System vor
       
       Von Tom Mustroph
       
       In Kirchenräumen befindet sich eine Orgel gewöhnlich hoch über den Köpfen
       der Zuhörenden. Sie ist unerreichbar fern und soll Klänge erzeugen, von
       denen zumindest manche unserer gläubigen Vorfahren annahmen, dass sie
       Spuren göttlichen Geistes enthalten.
       
       Beim CTM-Festival gehen die Klangkünstler [1][Phillip Sollmann, auch
       bekannt als DJ Efdemin], und Konrad Sprenger den umgekehrten Weg. Sie haben
       das Großinstrument in einzelne Pfeifen und Gruppen von Pfeifen zerlegt und
       in der großen Halle des Silent Green im Wedding ausgebreitet. Mal handelt
       es sich um die klassischen, silbern glänzenden Pfeifen in Rohrform. Dann
       wieder blinkt das Metall in Kupfertönen und das Ende läuft in einen
       Trichter aus, ganz wie bei Trompeten und Posaunen. Andere sind aus
       Kunststoff gefertigt, etwa eine etwa neun Meter lange Pfeife, die
       waagerecht im Raum aufgebaut ist und tiefe Töne in einer Klangfülle
       erzeugt, die das Fleisch auf den Knochen vibrieren lässt. Wieder andere
       Pfeifen stecken in Keramikskulpturen, die an Flamingos erinnern.
       
       Sollmann und Sprenger nennen das Arrangement „Modular Organ System“. Es
       wirkt einerseits wie eine ausgeweidete Orgel, wie ein Klangkörper, der auf
       dem Seziertisch eines Anatomen liegt und dessen Bestandteile bereits im
       Raum verteilt sind. Andererseits sind die Elemente noch verbunden. Die
       Pfeifen laufen in Schläuche aus, die an Windmotoren angeschlossen sind und
       die für beständige Luftfülle im gesamten Instrument sorgen.
       
       Es handelt sich beim Modular Organ System aber auch um eine experimentell
       erweiterte Orgel. Die Pfeifen mit den Trichterenden sorgen für Klänge, die
       man sonst von den ähnlich geformten Blechblasinstrumenten gewohnt ist.
       Diese Orgel enthält also ein ganzes Blasorchester.
       
       Und natürlich macht es besonderen Eindruck, inmitten dieses Instruments
       herumzustrolchen, sich in den Luftstrom der neun Meter langen Riesenpfeife
       zu stellen, zu horchen, was aus den Flamingos herauskommen mag oder ganz
       nah an die klassischen Pfeifen in Röhrenform zu treten.
       
       ## Töne modellieren
       
       Gespielt werden kann das Instrument zentral an einem Computer, über den die
       Pfeifen gestimmt werden können. Der modulare Organist kann aber auch direkt
       an die Pfeifen treten und dabei über kleine Stifte oder Drähte die Pfeifen
       manuell stimmen.
       
       Gewöhnlich spielen Sollmann und Sprenger selbst ihr Instrument. Bei diesem
       Projekt der Singuhr Hörgalerie in Zusammenarbeit mit dem CTM-Festival laden
       sie aber auch andere Künstlerinnen und Künstler ein, mit dem Instrument zu
       arbeiten. Am Donnerstag war es die frisch nach Berlin gezogene schwedische
       Komponistin Ellen Arkbro, die an die einzelnen Orgelpfeifen trat und die
       Töne so modellierte.
       
       Der Raum war erfüllt mit sphärischen Harmonien, Besucherinnen und Besucher
       legten sich auf den Boden, starrten ins nächtliche Dunkel des Silent Green,
       das gelegentlich durch herumstreichende Scheinwerfer aus der
       Lichtinstallation von Matthias Singer erhellt wurde, und gaben sich ihren
       klanginduzierten Träumereien hin. Da verwandelte sich der Kunstraum mit der
       Avantgardeorgel wieder in eine Art Andachtsraum.
       
       Bis zum Ende des Festivals werden unter anderem noch der Perkussionist Will
       Guthrie und das Blechbläserensemble Brass Abacus das Modular Organ System
       bespielen und Kompositionen dafür entwickeln. „Für uns ist es unglaublich
       spannend zu sehen, wie andere Künstler damit arbeiten, welche Töne sie
       entstehen lassen“, sagte Sprenger der taz. Ihn packte die Leidenschaft zur
       selbst entwickelten Orgel schon vor 20 Jahren. Erste Auftritte gab es im
       Berliner Kunsthaus Tesla im Podewilschen Palais, damals geleitet vom
       Singuhr-Gründer Carsten Seiffarth. Jetzt schließt sich ein Kreis.
       
       Modular Organ System, CTM, 26.–30. 1., jeweils 16–22 Uhr, im Silent Green
       
       24 Jan 2022
       
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