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       # taz.de -- Die Liebe ein Traum
       
       > Mit Detlev Glanerts neuer Oper „Die Jüdin von Toledo“ gelingt der
       > Semperoper in Dresden ein Uraufführungstriumph
       
   IMG Bild: Macht schlägt Gefühl
       
       Von Joachim Lange
       
       Die Uraufführung einer Oper von Detlev Glanert ist per se ein Ereignis –
       egal wo sie stattfindet. Das gilt auch für sein neustes Werk mit dem Titel
       „Die Jüdin von Toledo“, für die Hans-Ulrich Treichel aus dem Drama von
       Franz Grillparzer das Libretto destilliert hat. Es geht um einen schwachen
       König (heute würde man sagen in einer Midlife-Crises), der sich von der
       Liebe zu der jungen Jüdin Rahel gefangen nehmen lässt und sich systematisch
       der Gemahlin und der von ihr eingeforderten Staatsräson entzieht. Dabei
       verzögert er den bevorstehenden Kampf gegen die Mauren so weit, dass seine
       Absetzung droht. In die Enge getrieben, stimmt er der Ermordung Rahels zu.
       Das Segnen der Waffen für die Soldaten, die sehr heutig aussehen,
       eingeblendete Videos der Zerstörungen, die gegenwärtig jede
       Nachrichtensendung beherrschen, und die zu Boden gehenden Soldaten bleiben
       als Schlussbild im Gedächtnis. Dass der kleine Sohn des Königs, der fragend
       ins Publikum blickt, hier etwas ändern kann, ist kaum zu erwarten.
       
       Macht schlägt Gefühl – eine Versöhnung zwischen den Religionen bleibt ein
       Traum. Das ist die deprimierende Botschaft des Abends. Eines der stärksten
       Bilder in Robert Carsens Inszenierung bleibt denn auch der geträumte
       Gegenwurf. Da beten – im Hintergrund einer ausführlich zelebrierten
       Liebesnacht zwischen dem König und seiner Geliebten – Christen, Juden und
       Mauren alle auf ihre Art und begegnen sich in gegenseitigem Respekt.
       
       Glanerts Musik hat zum Glück nichts konstruiert Didaktisches. Den 1960
       geborenen, viel gespielten Komponisten nach einem Dutzend Opern noch als
       Schüler von Hans Werner Henze zu bezeichnen, hat nur mehr retrospektiven
       Wert. Einer von dessen Nachfolgern ist er schon. Und auch einer, selbst
       wenn das nicht nach Avantgarde klingt, von Richard Strauss. Auf dessen
       Uraufführungen war die Semperoper ja geradezu abonniert. Dass die
       Sächsische Staatskapelle heute als das Straussorchester par excellence
       gilt, schließt ein, dass sie auch für Komponisten wie Glanert ein idealer
       Partner ist.
       
       Was der Dirigent Jonathan Darlington hier an opulentem Klangzauber mit ganz
       eigner, geradezu betörender Färbung aus dem Graben aufsteigen lässt, ist
       schlichtweg atemberaubend. Von den faszinierenden Zwischenspielen bis zu
       den perfekt mit den Gesangspartien verwobenen Passagen. So geht Oper, die
       nicht auf dogmatisches Neuerertum um jeden Preis aus ist, sondern sich den
       ererbten Apparat souverän aneignet und beim Publikum ankommen, ja es
       emotional packen will. Was tut’s, wenn man gelegentlich die Großmeister der
       Spätromantik aus der Ferne durchhört und etwa beim großen nächtlichen
       Liebesduett von König Alfonso und seiner Geliebten Rahel an Wagners
       Tristan und Isolde denken muss. Oder wenn die Vehemenz, mit der die
       machtbewusste Königin ihren Mann (aus ihrer Sicht und der des Staates
       völlig nachvollziehbar) wieder zur Vernunft bringen will, daran erinnert,
       wie Fricka in der „Walküre“ von ihrem Ehemann Wotan das Leben von Siegmund
       fordert.
       
       Es spricht für das Format von Glanerts neuer Oper, wenn derartige Bezüge
       von Ferne aufscheinen. Auch, weil Glanert nie einfach wildert und sich
       bedient, sondern im Schatten der Großen atmet und seinem eigenen Stern
       folgt.
       
       Zur brillanten Performance der Sächsischen Staatskapelle und der gradlinig
       aufs Exemplarische der Emotionen und Sachzwänge zielenden Inszenierung
       Carsens, zu deren Ausstattung auch Luis F. Carvalho beigetragen hat, kommt
       der vokale Luxus: Heidi Stober ist eine jugendlich wilde Rahel, der der
       überzeugende Christoph Pohl als schwacher König Alfonso verfällt. Mit
       furioser Wucht in jeder Hinsicht stattet Tanja Ariana Baumgartner die
       machtbewusste, letztlich triumphierende Königin Eleonore aus. Und natürlich
       ist da der von Jonathan Becker einstudierte Chor. Einhelliger Jubel!
       
       12 Feb 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim Lange
       
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