# taz.de -- Rituale der Demütigung
> Das Buch von Frank Niess erinnert zur rechten Zeit an die „Hexenjagden“
> des McCarthyismus in der Traumfabrik Hollywood. Er zeigt dabei auch
> Parallelen zu George W. Bushs Versuch auf, die großen Bildmaschinen zu
> kontrollieren. Niess’ Buch ist heutzutage ebenso nützlich wie notwendig
VON GEORG SEESSLEN
Nur kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 war es so weit: Die
amerikanische Politik griff mit dem „USA PATRIOT Act“ so empfindlich in das
demokratische Spiel von „Check and Balances“ ein, wie sie es seit den
antikommunistischen „Hexenjagden“ der Fünfzigerjahre nicht mehr getan hat.
Beide Male wurde nicht nur die Meinungsfreiheit im öffentlichen Raum dem
Prinzip „Sicherheit vor Freiheit“ geopfert, sondern die Politik wollte auch
in die großen Bild- und Erzählmaschinen unter Kontrolle bringen, allem
voran das Kino. Beide Male verwandelten sich Teile der Traumfabrik in
politische Propaganda, andere Teile versuchten sich einfach wegzuducken,
während ein Rest direkte oder indirekte Kritik formulierte.
In George W. Bush Jr.s „Krieg gegen den Terror“ scheinen die Zeiten des
McCarthyismus wiedergekehrt. Es ist, wie Frank Niess in seinem Buch
„Schatten über Hollywood“ meint, so etwas wie ein elektronisch verstärkter,
ein Cyber-McCarthyismus entstanden. Dazu gehört nicht nur die mediale
Überwachung des öffentlichen und auch des nicht so öffentlichen Raums,
sondern auch eine Selbstdarstellung der Macht, die ihre Vorbilder ebenso
aus der Geschichte wie aus den Fiktionsmaschinen nimmt.
Politiker wie Bush sind Hollywood-Junkies und haben gleichzeitig eine von
den Vätern erworbene Hollywood-Paranoia, denn sie sehen sich in Konkurrenz
zu diesem System der America-Codes. Höchste Zeit also, sich jenen dunklen
Jahren zu widmen, in denen unser Traumort seine politische Unschuld verlor.
Hollywood war damals wie heute aus der Sicht der christlichen
amerikanischen Fundamentalisten vor allem eines: die mit Begehren und
zugleich mit Angst betrachtete Fabrikation des American Dream. Hollywood
stand für sie immer im Verdacht, Hort des Liberalismus, ja des Sozialismus
zu sein – den extremsten Fundamentalisten galt es sogar als Ort einer
„jüdischen Verschwörung“. Und gleichzeitig liebten sie diese Träume vom
American Way of Life heiß und innig; sie möchten Amerika als Hollywood-Bild
– nur ohne Liberale, ohne multikulturellen Sex, ohne Regisseure und
Schauspieler, die sich auf eine Freiheit des Nonkonformismus berufen.
Das Eintreten einer Reihe von prominenten Schauspielern gegen den Krieg im
Irak war ihnen Beweis genug – vom „Schämen Sie sich, Mr Bush“-Auftritt
Michael Moores bei der Oscar-Verleihung ganz zu schweigen. Die Fundis
wollen die Traumfabrik wieder unter die Kontrolle des „wahren Amerika“
bringen. Und die Mittel dazu ähneln verblüffend denen aus den Vierziger-
und Fünfzigerjahren.
Frank Niess hat sein Buch „aus Zorn über diese Ereignisse und
Entscheidungen“ geschrieben, aus dem „Eindruck, dass sich Geschichte in
gewissen Dimensionen, in diesem Fall auf unangenehme Weise wiederholt“. Es
ist das Buch eines Historikers, keines Filmwissenschaftlers, wie er in der
Einleitung betont. Das hat Vorteile und Nachteile.
Das Buch gibt einen wunderbaren Überblick über Geschichte und Vorgeschichte
des McCarthyismus, die Unterdrückung der Gewerkschaften, besonders der
Industrial Workers of the World (IWW), und den inhärenten Rassismus des
antikommunistischen Gestus. Dass die neuen Einwanderer – Slawen, Italiener,
Juden – als Industriearbeiter ein großes Kontingent im IWW und in der
Communist Party stellten, hieß für die Gegner: die kommunistische Gefahr
geht „von Fremden“ aus. Ideologie, Religion und Rassismus gingen mit
handfesten Interessen des Showbusiness einher.
Was machte den Angriff des berüchtigten „House Committee On Un-American
Activities“ auf Hollywood und seine den Schauprozessen ähnlichen Rituale so
wirksam? Im Zentrum stecken, im Buch sehr unterschiedlich gewichtet und
ausgeführt, vielleicht vier Erklärungen für den Diskurs: die – nach Victor
Navasky – „degredation ceremonies“, also die Rituale der Demütigung, die
keine legale Grundlage, aber ebenso wenig einen investigatorischen Sinn
ergaben. Dennoch wurden sie von einer hinreichenden Anzahl von Amerikanern
akzeptiert, weil sie ein offensichtliches Machtgefälle bearbeiteten: ein
Schauspiel der gestürzten Götter – der fremden, der sexuellen Götter.
Hinter den Kulissen rächte sich der Hollywood-Apparat auch an den
Aufsässigen in ihrer Fabrikation, den Drehbuchautoren und den Stars, die
nach den neuen Anti- trust-Gesetzen kleine Freiheiten gegenüber den nicht
mehr ganz so allmächtigen Studios verteidigten.
Die Krise Hollywoods und die Krise der Demokratie fielen wohl nicht ganz
zufällig ineinander: Die Konferenz im Waldorf-Hotel, bei der sich nach
wenigen Gegenstimmen die Studiobosse schließlich unterwarfen und sich
verpflichteten, Leute auf den „schwarzen Listen“ wie die „Hollywood Ten“
nicht mehr zu beschäftigen, kam nicht umsonst auf Druck der Banken
zustande. Auf diese Weise war fürs Erste auch der Machtkampf zwischen den
Studios in Kalifornien und dem Kapital in New York entschieden.
Das zweite: Die „Anhörungen“ bildeten ein perfektes Bühnenbild für
politische Karrieren. Nirgendwo konnte ein Politiker aus der zweiten und
dritten Reihe so schnell zu Publicity gelangen wie bei den „Schauprozessen“
des House Committee on Un-American Activities. Es ist schon ein bizarres
Bild, wie sich da zwei spätere Präsidenten die Bälle zuwarfen, Richard
Nixon als „Ankläger“ und Ronald Reagan als „freundlicher Zeuge“.
Zum Dritten mochte die eigentliche Stoßrichtung gar nicht die durchaus
marginale „rote Gefahr“ sein als vielmehr der Liberalismus in der
amerikanischen Kultur, der urbane und aufgeklärte Geist, der dem
Fundamentalismus von jeher ein Dorn im Auge ist. Im Kern war die
antikommunistische Hexenjagd auch eine „Abrechnung“ mit dem New Deal von
Franklin D. Roosevelt: Das eigentliche politische Ziel der Konservativen
war es, diese Sozialreformen rückgängig zu machen.
Und zum Vierten steckte wohl direkt oder indirekt eine gehörige Portion
Antisemitismus in der manischen Verfolgung von Hollywood-Linken, etwa wenn
genüsslich die Geburtsnamen von „Verdächtigen“ wie Lee J. Cobb, Edward G.
Robinson oder Judy Holliday „enttarnt“ wurden. Hollywood bot auch dafür die
zugleich öffentliche, glamourhafte und hinreichend vieldeutige Bühne. Womit
sich der Kreis wieder schließt: Die „degredation ceremony“, die den
Einzelnen treffen mochte, hatte am Ende ihr größtes Schauspiel im Verrat
der Fabrik Hollywood an seinen Mitarbeitern.
Als sich zu Beginn der Sechziger das System des McCarthyismus auflöste, da
war es vielleicht nicht nur wegen des Überdrusses an den neurotischen
Hexenjägern und ihrer Macht oder wegen eines erstarkten anderen, kritischen
und liberalen Amerika, sondern auch weil das eigentliche Ziel erreicht war.
Und heute? Trotz des Untertitels „McCarthy, Bush Jr. und die Folgen“
versucht sich „Schatten auf Hollywood“ nicht an einem direkten Vergleich
zwischen den Absichten und Protagonisten der beiden Phasen
fundamentalistischer Kreuzzüge. Diese Arbeit muss erst noch geleistet
werden, ebenso eine filmwissenschaftliche Untersuchung darüber, wie sich,
von reinen Propaganda-Filmen abgesehen, der McCarthyismus – mit und ohne
McCarthy – in die „Sprache“ des Kinos überträgt. Für beides ist das Buch
von Frank Niess ein nützliches und notwendiges Kompendium.
Frank Niess: „Schatten über Hollywood. McCarthy, Bush und die Folgen“.
PapyRossa Verlag, Köln 2005. 248 Seiten, 16,90 €
19 Oct 2005
## AUTOREN
DIR GEORG SEESSLEN
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