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       # taz.de -- Remake von "Metropolis": Herz, Mensch und Maschine
       
       > Fritz Langs Filmklassiker "Metropolis" kommt in restaurierter und
       > vervollständigter Fassung in die Kinos. Ein großes Durcheinander ist er
       > immer noch.
       
   IMG Bild: In "Metropolis" lauert der alles verzehrende Moloch der Fabrik.
       
       "Die Hexe ist schuld!" Mit dieser Anklage war in den Klassenkämpfen des 20.
       Jahrhunderts nicht mehr unbedingt zu rechnen. Doch in Fritz Langs
       "Metropolis" aus dem Jahr 1927 ist es just dieser Ruf, mit dem aufgebrachte
       Arbeiterinnen und Arbeiter eine Frauengestalt auf den Scheiterhaufen
       brachten, die zu den seltsamsten Doppelagenten der Filmgeschichte zu zählen
       ist: eine Mensch-Maschine, hergestellt von einem verrückten
       Wissenschaftler, Agitatorin in Diensten des obersten Dienstherren,
       ausgestattet mit dem Gesicht einer Heiligen und den Konnotationen einer
       Kokotte.
       
       Die in alle möglichen Richtungen zugleich weisende gesellschaftliche
       Großfantasie "Metropolis" von Fritz Lang und Thea von Harbou ist so etwas
       wie der offiziöse deutsche Beitrag zum Kanon des Weltkinos geworden, erst
       recht, seit 2008 in einem Archiv in Buenos Aires wesentliche Teile lange
       verschollen geglaubten Materials entdeckt wurden und nun eine weitgehend
       "vollständige" Version des gleich nach dem Filmstart 1927 empfindlichen
       gekürzten Werks vorliegt, die nun in die Kinos kommt.
       
       Man kann sich nun also noch einmal weitgehend ohne den störenden
       Beigeschmack des Fragmentarischen bzw. der Ruine in ein Filmereignis
       hineinversetzen, mit dem das deutsche Kino seinerzeit seine
       Weltmarktfantasien auf einen monumentalen Punkt gebracht hat. "Metropolis"
       war in technischer und handwerklicher Hinsicht als "Blockbuster"
       konzipiert, aber diese Aufbietung aller Kräfte fand auf der inhaltlichen
       Ebene eine Verdoppelung.
       
       ## Symbolisches Kraftwerk
       
       Was die Autorin Theo von Harbou da in ihren Mythenmix alles einbaute, das
       ging weit über das markante Bild eines alten Hauses hinaus, das inmitten
       der Wolkenkratzer "von den Jahrhunderten vergessen" dasteht. In diesem Haus
       baut der Erfinder Rotwang, eine Figur entfesselten Ressentiments, eine
       Mensch-Maschine. Sie ist einer Frau namens Hel nachempfunden, die Rotwang
       verlassen hat und eine Beziehung mit dem Großunternehmer Fredersen einging,
       der ein junger Mann namens Freder entstammt. Hel kam bei der Geburt ums
       Leben, ihrem Andenken ist ein archaisierender Altar gewidmet, der zumeist
       hinter Vorhängen verborgen ist und vor dem Rotwang und Fredersen einander
       treffen.
       
       Die eigentliche Geschichte von "Metropolis" beginnt mit einem "Flashmob".
       In den "Klub der Söhne", einen exotischen Vergnügungspark für die
       Abkömmlinge der herrschenden Klasse, dringt eines Tages eine Frau mit einer
       Schar Kinder ein. Sie ruft den Kleinen emphatisch die in der extremen
       Schichtung der Welt von "Metropolis" verdrängte universale Wahrheit zu:
       Brüderlichkeit zwischen den "Söhnen" und den Kindern. Freder, eben noch in
       den Armen einer Liebesdienerin, starrt mit großen Stummfilmaugen auf diese
       Gestalt, die mit den Kindern sofort wieder aus dem geschlossenen Bereich
       verwiesen wird. Von nun an hat er eine Mission: Er will diese Frau
       wiedersehen, um jeden Preis.
       
       Und so verlässt er, ein neuer Parzival, die überschaubare Welt seines
       künstlichen Paradieses und dringt - immer mit einem von seinem Vater
       bezahlten Detektiv auf den Fersen - in die Bereiche vor, die für Thea von
       Harbou die Grundlagen der modernen Gesellschaft bilden. Das Reich der
       Arbeit ist bei ihr vielfach mit organischen Motiven durchsetzt, besonders
       prominent im Bild einer "Herzmaschine", in der körperliche Arbeit
       gewissermaßen in Systemerhaltung übersetzt wird. Die Herzmaschine ist ein
       symbolisches Kraftwerk, das in einer Vision auch als Moloch erscheint, als
       alles verzehrendes Monstrum, das die Ausbeutung als den zentralen
       energetischen Prozess in "Metropolis" veranschaulicht.
       
       Deren Überwindung wird nun aber nicht als politischer Prozess imaginiert,
       als Vorgang der Subjektivierung und der Aushandlung von Rechten, sondern
       als parareligiöse Erweckung. Die junge Frau Maria nimmt dabei die Rolle
       einer "Heiligen" bzw. einer Prophetin ein.
       
       Tief unter der Stadt hält sie in den Katakomben, umstanden von Kreuzen und
       Kerzen und urchristlicher Symbolik, eine Rede über den "Mittler", der den
       arbeitenden Massen verheißen ist und für den Ausgleich zwischen den Händen
       (den Arbeitern) und dem Hirn (dem Unternehmer) sorgen soll. Die Szenen, in
       denen sich die von der langen Schicht ohnehin schon vollkommen erschöpften
       Werktätigen vor dieser Marienerscheinung zu Füßen werfen, sind wohl in
       keiner Dialektik der Aufklärung leicht synthetisierbar.
       
       Sie machen aber deutlich, dass es Lang und von Harbou bei ihrem Film um
       eine frühe Idee von "Weltkulturerbe" ging. In "Metropolis" ging bauten- und
       ideengeschichtlich so ziemlich alles ein, was in der Tradition der
       abendländischen Menschheit an großen Stilen und Motiven präsent ist - von
       den babylonischen Zikkuraten bis zu den gotischen Kathedralen, von der
       Johannes-Offenbarung aus dem Neuen Testament (die Freder in der Ausgabe des
       Avalun Verlags in Hellerau liest) bis zu einer umgekehrten
       Frankenstein-Idee, in der die Energie einer lebenden Frau auf einen Apparat
       umgeleitet wird, der deren Gestalt annimmt.
       
       All das wird - über den Umweg eines erotischen Tanzes mit geilen Männern in
       der oberen Welt der Unternehmer - in einen fehlgeleiteten Maschinensturm
       unten eingespeist, der dem Aktionselement des dreiteiligen Films (Auftakt -
       Zwischenspiel - Furioso) die Richtung weist.
       
       Szenen der Überschwemmung der unterirdischen Stadt und der dramatischen
       Rettung einer vom Mob der Werktätigen schlicht vergessenen riesigen
       Kinderschar zählen zu den wichtigsten Beständen aus dem 2008 gefundenen und
       nun hinzugefügten Material. James Cameron, in vielerlei Hinsicht der einzig
       legitime Erbe des Fritz Lang von "Metropolis" neben dem Mel Gibson von
       "Apocalyptico", hat diese Szenen in "Titanic" ganz ähnlich imaginiert, wie
       übrigens auch der tragische Herbert Selpin in seiner Version des
       Dampferunglücks von 1942, die viele Elemente einer linken Kritik an
       "Metropolis" enthält.
       
       ## Archäologische Metaphern
       
       Man muss hier nicht noch einmal die lange Geschichte der
       "Metropolis"-Idolatrie durcharbeiten (und auch nicht die der kritischen
       Auseinandersetzung mit diesem Opus Magnum), um angesichts der zunehmenden
       Alleinstellung dieses Films in der Vertretung und Vermarktung des deutschen
       (nicht nur Vorkriegs-)Films deutliche Reserven zu entwickeln. Wenn sich am
       Ende der Keil der Arbeiterformation auf ein gotisches Domportal zubewegt,
       vor dem Herr und Knecht sich in den Handschlag finden, den der "Mittler"
       herbeigeführt hat, dann wird in diesem Bild doch sehr deutlich, dass die
       Modellmoderne, zu der in "Metropolis" die ganzen Ufa-Brigaden in den
       Werkstätten emsig beigetragen haben, auf einer Imagination aufruht, die
       sich von den Archäologie-Metaphern der Psychoanalyse noch nicht erholt
       hatte.
       
       Freuds Vergleich der seelischen Topik mit den Schichten des alten Roms
       kehrt bei Thea von Harbou als filmisches Weltgedächtnis wieder, in dem die
       Tagesreste von Ohrensesselreisen mit dem aufgeschlagenen Baedeker
       herumgeistern. "Metropolis" ist ein großes Durcheinander, das um jeden
       Preis Ordnung suggerieren möchte, in dem aber das Unbegriffene hinter jeder
       Kulisse hervordräut. Keine Apokalypse, und schon gar keine Offenbarung.
       
       "Metropolis". Regie: Fritz Lang. Mit Brigitte Helm, Alfred Abel, Gustav
       Fröhlich, Rudolf Klein-Rogge, Heinrich George u. a. Deutschland 1927, 145
       Min.
       
       10 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Rebhandl
       
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