``` ___ _ __ _ / | _____(_)___ _/ /_(_)______ _______ / /| | / ___/ / __ `/ __/ / ___/ / / / ___/ / ___ |(__ ) / /_/ / /_/ / /__/ /_/ (__ ) /_/ |_/____/_/\__,_/\__/_/\___/\__,_/____/ ``` # Asiaticus 1935: Die Roten in Szechuan --- => index.gmi Startseite => adolphi.gmi Biografisches zu Dr. Wolfram Adolphi => asiaticus.gmi Asiaticus-Startseite => ue-asiaticus-iv.gmi Über Asiaticus – Inhaltsverzeichnis => asiaticus-iv.gmi Asiaticus-Texte von 1930–1938 --- ### in: Die neue Weltbühne, Prag–Zürich–Paris, Nr. 24 vom 13. Juni 1935, S. 753–758 //Schanghai, im Mai// Registrieren wir ein denkwürdiges Ereignis. Monatelang hatte hier die imperialistische und die chinesisch-reaktionäre Presse die »endgültige Vernichtung« der Roten Armee avisiert. Die Niederlage sollte unmittelbar bevorstehen, täglich lasen wir von der Umzingelung der roten Truppen, vom Massentod der roten Soldaten und ihrer Führer, von den Siegen Tschiang Kai-Sheks. Mitte Mai teilte Reuter dann mit, daß die Hauptmasse der Roten, »wie es scheint,« von Junnan aus in den Südwesten der Provinz Szechuan eingebrochen sei. Ja, es war den Roten gelungen, in dieser Zone den Jangtse zu überqueren. Reuter entschuldigte das mit dem Mangel an Bomben für die Kriegsflugzeuge Tschiang Kai-Sheks. Aber dieses Eingeständnis der Schwäche wurde schnell zurückgenommen; nach einer späteren Meldung haben die Flugzeuggeschwader das rote Heer doch noch »erfolgreich bombardiert.« Schon diese gegnerischen Berichte verrieten, daß der rote Durchbruch nach Szechuan gelungen ist. Es ist geglückt, das Ziel eines sechs Monate währenden Marsches zu erreichen und die Truppen von Kiangsi über den Norden der Provinzen Kwangtung und Kwangsi, quer durch Hunan, Kweichow und Junnan zu führen. Es ist geglückt — obwohl mehr als eine Million Mann, Truppen der Zentralregierung und der Provinzen, einen Kordon rings um Kiangsi gelegt hatten; obwohl Tschiang Kai-Shek sein Hauptquartier verlegte, alle verfügbaren Truppen und die ganze Luftflotte zusammenzog, alles aufbot, um den roten Soldaten den Weg über den Jangtse zu versperren. Die Leistung ist gigantisch. Die gestellte Aufgabe wurde strategisch glänzend gelöst, die Kämpfe wurden todesmutig durchgeführt, in den Annalen der revolutionären Kriege findet sich kein ähnlich tapferer Feldzug. Jetzt eilt diese rote Armee, die von Chu Te kommandiert und von Mao Tse-Tung, dem Vorsitzenden der chinesischen Sowjetregierung, geführt wird, der and eren roten Armee entgegen, die vom Nordwesten Szechuans nach dem Süden strebt. Eine dritte rote Armee bricht von Hunan nach Hupeh durch und deckt die Flanke vom Osten her. Nach sehr zuverlässigen Schätzungen der konservativen Seite sind da zweihunderttausend bis zweihundertfünfzigtausend Mann auf den Beinen; sie bilden eine Armee, die in jahreIangen Kämpfen erprobt ist und auch nach der Meinung der europäischen Militärexperten im Hauptquartier Tschiang Kai-Sheks das tapferste, geschulteste und disziplinierteste Heer Chinas darstellt. Die roten Truppen marschierten durch sechs Provinzen, deren jede über große Provinzarmeen verfügt. In diesem Teile Chinas steht seit Jahren die Hauptmacht Tschiang Kai-Sheks. Dort hat er seine besten Divisionen, seinen Stab und mehrere hundert militärische Ratgeber aus dem Ausland. Dort wirken die deutschen Offiziersjunker unter Herrn von Falkenhausen, geschult von Herrn von Seeckt; dort sind die Bombengeschwader stationiert, deren Piloten Deutsche, Amerikaner, Italiener und Engländer sind. Wie konnte einer Revolutionsarmee dieser Marsch gelingen? Das zu beantworten, muß man die Geschichte dieser roten Armee erzählen. Das chinesische Sowjetheer bildete sich im Innern des Landes aus kleinen Gruppen; Bauern und Arbeiter vereinigten sich zu zahlreichen Trupps, und so entstanden in vielen Gebieten, die weit voneinander entfernt sind, kleine rote Armeen. Die Trupps kämpften mit selbstgefertigten Lanzen und mit geschärften Pfeilen. Ohne jede Zufuhr aus dem Ausland wurde aus diesen Partisanengruppen ein He er geschaffen, das Stäbe von Offizieren und Kommandeuren besitzt, politische Propagandaabteilungen mit sich führt, mit Gewehren, Maschinengewehren und leichter Artillerie ausgerüstet ist, aus uniformierten Kaders besteht, Hilfstruppen heranzieht und von vielen hunderttausend Partisanenkämpfern unterstützt wird. Die Waffen wurden erbeutet, nicht gekauft. Die übergelaufenen Truppen brachten Waffen mit. Und die Mannschaften? Die Mannschaften stammen aus dem innersten Kern des chinesischen Volkes. Chinas Boden ist blutig gedüngt. In einer Jahrtausende langen Geschichte wurden menschliche Wesen zu Parias herabgedrückt, die schlimmer als die Tiere geschunden und ausgepreßt wurden. Im verzweifelten Ringen um die nackte Existenz bildete sich aus diesem gequälten Volk eine Armee, die von einem wilden Haß gegen ihre Schinder erfüllt ist, und die nun vom jungen chinesischen Proletariat und seiner Avantgarde geformt wird. Eine solche Armee kann auch einer gewaltigen Übermacht trotzen. Sie hat sich sogar den geschniegelten Monokelträgern, die als Militärexperten aus Europa herbeieilten, strategisch überlegen gezeigt. Sie hat von ihren Feinden gelernt und sie schließlich auf deren ureigenstem Gebiet, nämlich in der theoretischen Strategie, überflügelt. Sie hat die Waffen und die Munition, die sich die chinesische Bourgeoisie aus Europa kommen ließ, an sich genommen und dabei die aktive Unterstützung der werktätigen Millionen gefunden, weil sie den armen Bauern Land gegeben hat. Die chinesische Konterrevolution bezeichnet die roten Abteilungen, in Übereinstimmung mit der ganzen imperialistischen Presse, gewöhnlich als Banditen, die durch Strafexpeditionen gezüchtigt werden müssen. Aber Tschiang Kai-Sheks Heer hat sehr rasch durch direkte Kampfverluste und noch mehr durch massenhafte Desertionen erfahren müssen, daß die Massen der armen Bauern für die Räuber und gegen die Befreier sind. Die Presse der Kuomintang gibt zu, daß es schwer ist, die Banditen von den Bauern zu unterscheiden. Unter diesen Umständen wurde bei dem letzten Feldzug gegen die rote Armee eine neue Taktik versucht: Die Aufruhrherde sollten nicht mehr angegriffen sondern isoliert werden. Die weißen Armeen, meist Regimenter aus fernen nördlichen Provinzen, schlossen die Sowjetdistrikte ein. Die Nordchinesen waren für diesen Krieg deshalb besonders geeignet, weil sie die südchinesischen Dialekte nicht verstehen und sich deshalb mit der Bevölkerung der Kampfzonen nicht verständigen können. Monate und J ahre ließ man die weißen Truppen Gewehr bei Fuß stehen, während die Bombenflugzeuge die roten Truppen, aber auch die Erntefelder der Bauernbevölkerung, mit Bomben belegten. Sehr oft wurden ganze Divisionen zu überraschenden Ausfällen eingesetzt, die ausschließlich den Zweck hatten, die Bauerngüter zu verwüsten. Die Sowjetdistrikte wurden abgeschlossen; keinerlei Lebensmittel wurden durchgelassen. Besonders scharf paßte man darauf auf, daß weder Reis noch Salz in die Sowjetdistrikte gelangen konnten. Gleichzeitig hatten die ausländischen Kriegsschiffe dafür zu sorgen, daß die Küstengebiete und die Ufer des Jangtse von der roten Seuche freiblieben. Aber die armen Bauern spielten nicht mit. Sie unterstützten die roten Truppen, sie schlossen sich ihnen als Partisanen an. Die Disziplin der weißen Truppen lockerte sich, ganze Regimenter desertierten, nachdem sie selbst ihre Offiziere umgebracht hatten. Die Zahl der Sowjetenklaven stieg, es bildeten sich neue Sowjetterritorien. Wo sich ein solches Gebiet nicht halten konnte, durchbrachen die Hauptkräfte der roten Truppen die Kordons und schlugen sich in andere Gebiete durch. Tschiang Kai-Sheks Presse mußte selbst zugeben, daß die weisen Truppen in solchen Fällen nur völlig menschenleeres Land besetzen konnten, da die Gutsbesitzer schon vor langer Zeit mit ihrem Anhang geflüchtet waren, die armen Bauern es aber vorzogen, den Roten zu folgen oder als Partisanen von den Bergen oder aus denWäldern den Kampf fortzusetzen, statt das Regiment der Befreier zu ertragen. Selbst das französische »Journal de Changhai« erklärte kürzlich, es sei lächerlich, wenn die Kuomintang-Presse behaupte, daß die Rot en die ganze Bevölkerung mit sich schleppen; feindliche Massen seien im Rückzug gewiß nur eine Belastung. Tatsächlich betrachten die Bauernmassen die weißen Armeen als feindliche Okkupationstruppen. Daher sind die »gesäuberten« Gebiete nur so lange in Tschiang Kai-Sheks Hand, wie die weißen Truppen dort stationiert sind. Der zentrale Sowjetdistrikt in Kiangsi hatte sich in sechsjährigem Kampf aus einem kleinen Aufstandsheer zu einem Sowjetstaat entwickelt. Er umfaßte dreiviertel der Provinz Kiangsi und einen anschließenden Teil der Provinz Fukien. Gegen ihn hatte Tschiang Kai-Shek seine Kerntruppe ausgesandt, die aus einer halben Million Mann bestand. Ebenso zahlreich waren die Tschiang Kai-Shek unterstellten Provinztruppen von Kiangsi, Fukien und Hunan. In fünf Feldzügen holte sich dieses Millionenheer blutige Köpfe. Nun wurde unter Anleitung des Generals von Seeckt folgende Taktik versucht: Das ganze Sowjetgebiet, mit einer Bevölkerung von über zwanzig Millionen Menschen, sollte ausgehungert, die Städte und Dörfer sollten durch Bombenangriffe systematisch vernichtet werden. Im Hungergebiet sollte die rote Armee unter Mao Tse-Tung und Chu Te ihr Massengrab finden. Rings um das Sowjetgebiet wurde die Bevölkerung vertrieben, an den Grenzen wurden Blockhäuser gebaut, vor denen Drahtverhaue aufgestellt wurden, die m it elektrischem Strom geladen waren. Im Süden des Sowjetgebietes, im Grenzgebiet Kiangsi-Kwangsi-Hunan, wurde eine »Rattenfalle« geschaffen. Seeckts Taktik ging dahin, die Roten durch Angriffe einer gewaltigen Übermacht, durch schwere Artillerie und Bombengeschwader, in die Rattenfalle zu treiben. Dort wären sie ausgehungert und durch Bombenangriffe vernichtet worden. Möglich blieb noch der direkte Weg nach Kiangsi, wo der General Pei Chung-si eine große Truppenmacht konzentriert und Schützengräben ausgehoben hatte. Dieser General ist ein Rivale Tschiang Kai-Sheks, und General von Seeckt hatte es sich als besondere Finesse ausgedacht, daß er sich bei den Kämpfen mit den Roten aufreiben sollte. Oberstes Prinzip blieb, daß Tschiang Kai-Sheks Truppen auf keinen Fall in unmittelbare Berührung mit roten Truppenkörpern gelangen sollten: Seeckt übersah, daß auch für die Truppen des Generals Pei Chung-si die Berührung mit roten Truppenkörpern lebensgefährlich war. Die rote Armee hätte sich vielleicht ebenso wie in den vor angegangenen fünf Feldzügen erfolgreich verteidigen können. Aber der Kordon verhinderte jedenfalls, daß sich das Sowjetgebiet ausdehnen könnte, und die Expansionsmöglichkeit ist nun einmal für ein revolutionäres Zentrum von entscheidender Bedeutung. So entschied man sich, nicht in der Defensive zu bleiben, sondern die feindliche Front zu durchbrechen und nach Szechuan zu marschieren, um sich dort mit anderen roten Armeen zu vereinigen und diese reichste Provinz Chinas, die seit altersher von feudalen Militärcliquen ausgebeutet wird, zur Hauptbasis zu machen. In Szechuan wohnen über sechzig Millionen Menschen, ebensoviel wie im Deutschen Reich. Mit der breiten Gebirgsfront Westchinas im Rücken und vor sich das ganze Jangtsetal bietet Szechuan ungleich bessere Verteidigungs- und Ausdehnungsmöglichkeiten als Kiangsi, wo außerdem die ausländische Interventionsgefahr größer ist. Natürlich konnten die roten Truppen den Durchbruch und den Marsch durch sechs Provinzen nur wagen, weil sie wußten, daß die Partisanen von Kiangsi einen großen Teil der Armee Tschiang Kai-Sheks weiter beschäftigen werden. Es war eine schwere Entscheidung. Aber es handelte sich nicht nur um die Frage des Rückzugs sondern darum, für die Zukunft bessere Angriffsperspektiven zu gewinnen. Der Durchbruch und der siegreiche Marsch nach Szechuan beweisen, daß die chinesischen Kommunisten ihr Kampfterrain kennen. Die rote Armee ließ sich in keiner Rattenfalle fangen. Noch während Tschiang Kai-Shek glaubte, seinen raffinierten Plan zu verwirklichen, war die rote Hauptmacht schon außerhalb des Kordons. Bis zum letzten Gewehr und bis zum letzten Sack Reis wurde alles mitgeschleppt. Quer durch die Rattenfalle zog die Armee nach Kwangsi, bog aber an einer Stelle, wo man das nicht erwartete, seitlich ab und bedrohte die Hauptstadt von Kwangsi, so daß ausländische Kriegsschiffe dorthin eilen mußten. Als der General von Kwangsi seine Truppen ebenfalls entsprechend disponierte, marschierte eine andere rote Armee von Kiangsi ab und vereinigte sich mit dem Haupttruppenkörper, um dann die angeblich bedrohte Provinzhauptstadt im Rücken zu lassen und in Eilmärschen quer durch Hunan nach Kweichow vorzustoßen. Unterwegs wurde noch eine rote Armee von zehntausend Mann als Verstärkung aufgenommen. Hoch erfreut meldete der General von Hunan, daß die Roten zwar eingebrochen aber beim Anblick seiner Armee geflohen seien. Inzwischen wanderte Tschiang Kai-Shek mit seinen Truppen und seinen Militärexperten nach Kweichow, um der roten Armee den Weg zu verlegen. Die Provinzarmee von Kweichow hielt aber den revolutionären Soldaten nicht lange genug stand. Ganze Regimenter liefen über, und als Tschiang Kai-Shek in der Provinzhauptstadt ankam, hatte er nur noch den verkrachten Untergeneral abzusetzen. Wieder zog er Truppen zusammen, um Kweichow zu schützen. Inzwischen bedrohte eine andere rote Armee die Provinzhauptstadt von Szechuan; auch dort war ein Regiment zu den Revolutionären übergelaufen. Tschiang Kai-Shek setzte wieder einen General ab und schickte Verstärkung. Und nun kam ein neuer Streich. Plötzlich tauchte die rote Armee in dem von Truppen entblößten Junnan auf. Sie umging die Front Tschiang Kai-Sheks in Kweichow und marschierte Tag und Nacht nach Junnan, ohne daß die Militärexperten etwas gemerkt hatten. Nunmehr war dort die Provinzhauptstadt bedroht. Aber die rote Armee zielte gar nicht auf die Hauptstadt Junnanfu. Sie hatte vor Tschiang Kai-Shek drei Tagemärsche Vorsprung und eilte schnurstracks nach Szechuan, auf den Jangtse zu. Auch der General von Junnan konnte erfreulicherweise melden, daß die Roten flohen. Sie überquerten den Jangtse, wo es bekanntlich an Bomben mangelte, an denen die rote Armee allerdings auch keinen Überfluß hat. Die revolutionären Gruppen siegen eben nicht mit Bomben sondern mit der Unterstützung der werktätigen Bevölkerung. Es stehen noch schwere Kämpfe bevor. In Sowjetchina haben Arbeiter und Bauern ihre revolutionäre Diktatur errichtet, um das Feudalsystem abzuschaffen, die demokratische Agrarrevolution durchzuführen, ganz China gegen die imperialistischen Eindringlinge zu vereinigen und dies alles allmählich mit dem Kampf um den Sozialismus zu verbinden.. In diesem Augenblick werden die Fundamente für den großen, epochemachenden Neubau Chinas gelegt. Die rote Armee marschiert … //Anmerkung: Die Schreibweise wurde weitestgehend wie im Original beibehalten. Nur offensichtliche Schreibfehler wurden korrigiert. Die Umschrift der chinesischen Orts- und Personennamen wurde der damals in deutschen Zeitungen üblichen (inkonsquenten) Schreibung angepaßt und dann durchgänging vereinheitlicht. (Eine Tabelle mit den Orts- und Personennamen in Pinyin und weiteren gebräuchlichen Umschriften am Ende der Artikelserie.)// --- => index.gmi Startseite => adolphi.gmi Biografisches zu Dr. Wolfram Adolphi => asiaticus.gmi Asiaticus-Startseite => ue-asiaticus-iv.gmi Über Asiaticus – Inhaltsverzeichnis => asiaticus-iv.gmi Asiaticus-Texte von 1930–1938