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       # taz.de -- Verfassungsschutz gegen Punkband: Der Feind steht links
       
       > „Feine Sahne Fischfilet“ spielen Punk. Das hält der Verfassungsschutz in
       > Mecklenburg-Vorpommern für sehr gefährlich.
       
   IMG Bild: „Antifaschisten, die Mucke machen“ – die Punkband Feine Sahne Fischfilet.
       
       Lorenz Caffier hat ein schönes Vorwort für den Verfassungsschutzbericht
       Mecklenburg-Vorpommerns von 2011 geschrieben. Der Innenminister des
       Bundeslands macht sich dort für den Demokratiegedanken und für bürgerliches
       Engagement stark.
       
       „Ich danke allen, die für eine gelebte Demokratie, für unser Gemeinwesen
       eintreten“, grüßt der 57-Jährige eingangs. Damit könnten etwa Gruppierungen
       wie die aus dem pommernschen Demmin stammende Band Feine Sahne Fischfilet
       (FSF) gemeint sein, die in Texten zum entschlossenen Kampf gegen rechts im
       braunsumpfigen Bundesland aufrufen.
       
       Und die den jungen Leuten im Ostseelande eine echte Alternative zu den
       rechten ländlichen Subkulturen aufzeigt. Doch stattdessen taucht die
       Punkband, deren Mitglieder heute in Greifswald und Rostock leben, unter der
       Rubrik „Linksextremismus“, Unterkategorie „Autonome Gruppen“ auf Seite 84
       des jüngst veröffentlichten Berichts auf. Es wird ihnen eine „explizit
       antistaatliche Haltung“ und das Abbilden der „Bauanleitung“ eines
       Molotowcocktails vorgeworfen.
       
       Die antinationalen Aussagen („Stolz auf eine Nation? Stolz auf irgendein
       beschissenes Konstrukt? Wir kotzen gleich!“) sollen für die
       Staatsfeindlichkeit als Beleg herhalten. Bei der vermeintlichen
       „Bauanleitung“ handelt es sich um eine satirisch zum „Club-Molli“
       verfremdete Club-Mate-Flasche, eine leicht pennälerhaft anmutende
       Abbildung, die Anfang 2010 durch linke Foren geisterte, versehen mit der
       Überschrift „für den widerstand auf der straße“. Ein Fall für den
       Verfassungsschutz?
       
       „Sie genügen den Kriterien des Verfassungsschutzgesetzes und sind damit für
       uns als Gefahr von links relevant“, sagt Roland Vogler-Wander, ein Sprecher
       des Ministeriums für Inneres in Mecklenburg-Vorpommern. Die
       Verfassungsschutzbehörde erkenne in den Aussagen der Band extremistisches
       Potenzial.
       
       Die Nennung von antifaschistischen Bands in Verfassungsschutzberichten
       spiegelt einen bundesweiten Trend wieder. Auch im VS-Bericht Brandenburgs
       vom März 2011 finden sich Eintragungen im Kapitel „Hass-Musik mit
       linksextremistischen Bezügen“, die fragwürdig erscheinen müssen, gerade im
       Jahr der Aufdeckung der NSU-Mordserie.
       
       ## Demokratische Jugendkultur in Vorpommern
       
       Doch spätestens seit der Neuordnung der Extremismusprogramme durch
       Familienministerin Kristina Schröder (CDU) Ende 2010 laufen
       antifaschistische Gruppierungen immer stärker Gefahr, zu Verfassungsfeinden
       erklärt zu werden. Mit wem will man dann aber die Verfassung schützen?
       
       Feine Sahne Fischfilet waren eine bis dato kaum überregional bekannte
       Punkband – Streetpunk mit leichtem Ska-Einschlag der an Bands wie die
       Mighty Mighty Bosstones erinnern. Sänger Monchi sagt im taz-Gespräch, sie
       seien „Antifaschisten, die Mucke machen“. Und damit sind sie mittlerweile
       für die demokratische Jugendkultur auf dem vorpommernschen Lande ein
       wichtiger Faktor geworden, auch wenn manche Songs (wie „So sind wir“) etwas
       derbe klingen mögen.
       
       Am 9. November veröffentlichen sie nun ihr drittes Album „Scheitern und
       Verstehen“ auf dem Hamburger Audiolith-Label. Damit werden sie Labelmates
       von Bands wie Egotronic und Frittenbude. Labelchef Lars Lewerenz
       kommentiert die fragwürdige Ehrung seiner Band: „Das ist fast schon derb
       lustig, wenn’s auf der anderen Seite nicht so finster wäre.“
       
       Bereits im April dieses Jahres hat das Landeskriminalamt des Bundeslands
       versucht, den Erstling „Backstage mit Freunden“ – drei Jahre nach dessen
       Erscheinen – auf den Index zu bringen. Die Bundesprüfstelle für
       jugendgefährdende Medien wies den Vorstoß zurück. Ein Konzert im Rahmen des
       Antifa-Festivals in Loitz 2009 verhinderte der dortige Bürgermeister.
       
       Die prominente Nennung jetzt im Verfassungsschutzbericht scheint durchaus
       Methode zu haben. Man wolle die Band um jeden Preis kriminalisieren, sagt
       Monchi. Trotzig singt er in dem Lied „Stumpfe Parolen“: „Ihr wollt uns
       einschüchtern, das schafft ihr nicht“. Der NSU hat in Rostock 2004 einen
       seiner Morde begangen. Die Neonazilinie entlang der Küste bis nach Hamburg
       ist berüchtigt. Doch für den Verfassungsschutz steht der Feind genauso
       links wie rechts.
       
       ## Verknüpfungen des NSU
       
       „Für staatstragenden Antifaschismus stehen wir natürlich nicht“, sagt
       Monchi, „den würden die natürlich lieber sehen.“ Vogler-Wander spricht von
       erhöhter Gewaltbereitschaft im Zusammenhang mit Gruppen wie FSF: „Für uns
       geht auch vom Linksextremismus eine Bedrohung aus – und wir sind hier
       bestimmt nicht auf dem rechten Auge blind.“
       
       Katharina König findet es fragwürdig, dass stattdessen die Verknüpfungen
       des NSU in Mecklenburg-Vorpommern nur in drei Absätzen Erwähnung finden.
       König kennt FSF und deren Musik gut. Die Abgeordnete der Linken im
       thüringischen Landtag wird bald einen Vortrag zum NSU beim
       Antifaschistischen Aktionstag halten, den die Band zum Albumrelease
       initiiert hat. Zum spärlichen Auftauchen des NSU im VS-Bericht sagt sie:
       „Man kann nicht einfach sagen: Das muss der Untersuchungsausschuss klären,
       damit haben wir hier nichts zu tun.“
       
       Auch Verfassungsschutzexperte Tom Schreiber (SPD) sagt, es sei wichtig,
       „dass ein funktionierender Verfassungsschutz die Aufarbeitung der
       NSU-Strukturen auch innerhalb der Länder offensiv angeht und nicht
       abwartet.“ Dass man sich in Mecklenburg-Vorpommern generell nicht an die
       Spitze einer solchen Bewegung setze, könne auch Imagegründe haben,
       schließlich gehe es auch um den Tourismus.
       
       Man muss nicht einmal die wenigen Passagen zum NSU als Gradmesser dafür
       nehmen, um die Nennung von Feine Sahne Fischfilet im
       Verfassungsschutzbericht für ungeheuerlich zu halten. Außer den
       Verbindungen zum Neonazi-Fanzine Der weisse Wolf (2002 grüßte man den NSU
       dort) finden sich keine weiteren Erkenntnisse zum NSU.
       
       Und auch diese Verbindung fand zunächst das ehrenamtlich tätige
       Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum in Berlin (apabiz)
       heraus, nicht VS oder BKA. Man muss sich nur vorstellen, wie Landstriche
       wie Demmin oder Anklam aussähen, gäbe es Bands wie FSF nicht.
       
       ## „Krass, gewundert hat’s uns aber nicht.“
       
       Sänger Monchi ist „ernüchtert“, dass man stattdessen einer Band wie FSF
       zwei Seiten eines VS-Berichts widmet. „Krass, gewundert hat’s uns aber
       nicht.“ Bei einem Konzert in Berlin hat die Band, deren Mitglieder zwischen
       21 und 25 Jahre alt sind, von den zwei Seiten im VS-Bericht erfahren. Die
       Band nimmt es aber auch mit Humor. „Vielen Dank für die Werbung“, habe man
       kurz vor Erscheinen des neuen Albums jetzt auch gedacht.
       
       Auf Nazi-Blogs wie [1][http://freies-pommern.de/][2][freies-pommern.de] und
       [3][Mupinfo] wurden Monchi und Band längst zur Zielscheibe erklärt. Vor
       einigen Jahren kursierte in Nazikreisen ein Aufkleber, auf dem der Sänger
       der Antifa-Band mit gespaltenem Schädel zu sehen war. „Wir haben natürlich
       bei jedem Konzert auf dem Schirm, dass Nazis kommen könnten“, sagt der
       25-Jährige. Entsprechend sichern sie ihre Auftritte. In rechten Blogs wird
       die Band auch Stinkende Sahne Walfilet genannt. Die Nazis nehmen die Band
       ernst.
       
       Im Umkreis Demmins ist vor allem der „Nationale Widerstand Landkreis
       Demmin“ aktiv, der zu großen Teilen aus NPD-Kadern besteht. In beiden
       Demminer Wahlkreisen war die NPD bei den Landtagswahlen 2011 mit 6,2 und
       7,9 Prozent viertstärkste Kraft. Was die Straftaten im Jahr 2011 im
       gesamten Bundesland betrifft, so werden laut Landeskriminalamt zwei Drittel
       der politisch motivierten Straftaten dem rechten Spektrum zugeordnet.
       
       Der „erhebliche Zuwachs“ bei den links motivierten Straftaten (von 111 in
       2010 auf 329 im Jahr 2011) dürfte eine einfache Erklärung haben: Im Jahr
       der Landtagswahlen fiel das Entfernen von Plakaten der NPD etwa genauso in
       die Statistik wie das Beschmieren eines NPD-Büros. Linken-Abgeordnete König
       befürchtet, dass Bands wie FSF dank der Behörden Probleme bekommen könnten,
       in kommunal unterstützten Jugendeinrichtungen aufzutreten. Damit stärke man
       indirekt die rechten Subkulturen.
       
       „Die Inhalte des VS-Berichts erinnern in schlimmer Art und Weise an das,
       was wir in den 90ern hatten“, sagt sie, „nämlich, dass man rechte Gewalt
       herunterspielt und aus linken Jugendlichen Staatsfeinde macht. Die
       Konsequenzen dessen sehen wir heute.“ Lorenz Caffier sagte übrigens bei der
       Veröffentlichung des Berichts, die wehrhafte Demokratie befinde sich „in
       einer großen Bewährungsprobe“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
       
       20 Oct 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://freies-pommern.de/
   DIR [2] http://freies-pommern.de/
   DIR [3] http://www.mupinfo.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
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