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       # taz.de -- Kolumne Besser: Hurra, Zweiter!
       
       > Dissident und unberechenbar, schön und kapitalistisch – warum Menschen
       > von Vernunft und Geschmack Fans von Bayer Leverkusen sein müssen.
       
   IMG Bild: André Schürrle und Kollegen bejubeln am Samstag den Gewinn der deutschen Vize-Herbstmeisterschaft.
       
       Bayer Leverkusen ist Vize-Herbstmeister, ziemlich [1][souverän] (sagenhafte
       drei Punkte vor Dortmund!). Es ist also höchste Zeit, einen Club zu feiern,
       der nie gefeiert wird, weil es nie etwas zu feiern gibt. Elf Gründe, warum
       Menschen von Vernunft und Geschmack Fans von Bayer Leverkusen sein müssen.
       
       1. Dissidenz: Niemand mag Leverkusen; hierzulande ist der Club etwa so
       beliebt wie der Verband der amerikanischen Waffenlobby. Wer nach
       Alternativen zu Bayernschalkedortmund sucht und nicht auf Clubs wie St.
       Pauli oder Freiburg zurückgreifen möchte, die so nonkonformistisch sind wie
       die grüne Partei, der halte sich an Leverkusen.
       
       2. Titelverweigerung: Diese Vizeherbstmeisterschaft ist für Leverkusen die
       fünfte. Hinzu kommen zwei Herbstmeisterschaften und fünf
       Vizemeisterschaften. Natürlich sind all das keine Titel, für die man sich
       als Fan etwas kaufen kann, aber was bitte werden sich Bayern-Fans für die
       23. deutsche Meisterschaft kaufen können? Leverkusen zeigt, dass im Fußball
       etwas anderes wichtiger ist: Leid, Drama, große Geschichten.
       
       3. Schönheit: Leverkusen scheitert zwar, aber immer auf hohem Niveau (wir
       sind ja nicht beim VfL Bochum). Ob die 2002er-Mannschaft mit Zé Roberto,
       Bastürk und – ja, auch dem – [2][Ballack], die 2010er mit Kroos und Vidal
       oder die aktuelle um Kießling, Schürrle und Castro – wenn Leverkusen vorne
       dabei ist, dann stets mit anspruchsvollem und schönem Spiel.
       
       4. Originalität: So zuverlässig Leverkusen am Ende scheitert, lässt sich
       der Club dabei stets etwas Neues einfallen – mal, wie im Jahr 2000, wird
       die Meisterschaft mit einem Eigentor in Unterhaching vergeigt, mal bleibt
       man, wie in der Saison 2009/10, 24 Spieltage lang ungeschlagen, um dann,
       kaum dass der Rekord aufgestellt ist, den Spielbetrieb [3][einzustellen].
       Unvergessen natürlich der dreifache zweite Platz im Jahr 2002
       (Meisterschaft, Pokal, Champions League). Niemand versteht sich so gut auf
       die Kunst des Versemmelns, auch nicht die Nachahmer aus München.
       
       5. Unberechenbarkeit: Immer dann, wenn man zu wissen meint, was passieren
       wird, kommt es anders. Über 20 Jahre lang konnte Leverkusen nicht in
       München gewinnen, um, wie in der aktuellen Saison, die Bayern dann zu
       [4][besiegen], als diese schier unbesiegbar wirken. Langweilen können Sie
       sich woanders.
       
       6. Kapitalismus: Fußball ist kommerzialisiert. Aber während man
       beispielweise bei St. Pauli so tut, als würde sich der Verein durch die
       Volksküche finanzieren, verweist Leverkusen schon durch den Namen
       schnörkellos auf die Verhältnisse. Der namensgebende Konzern ist übrigens
       keine überbewertete Internetklitsche, sondern produziert Dinge, die der
       Menschheit wirklich nützen (Aspirin, Antibabypille, Genmais). Okay, die
       Geschichte des Konzerns ist nicht so ganz koscher (IG Farben), aber:
       nobody’s perfect, am wenigsten Leverkusen.
       
       7. Klarheit: Bei einem Ort, der nach einem Apotheker benannt ist, braucht
       man nicht erst lange zu fragen, was das Beste an dieser Stadt ist. (Ganz
       ähnlich wie beim SC Opel Rüsselsheim.)
       
       8. Doppelspitze: [5][Geteiltes Leid] ist halbes Leid.
       
       9. Geschichtslosigkeit: Entgegen der landläufigen Auffassung ist die
       [6][Pokalvitrine] von Leverkusen nicht komplett leer. Zwei Titel stehen zu
       Buche: der DFB-Pokal 1993 und der Uefa-Pokal 1988, passenderweiese jener
       Wettbewerb, den Franz Beckenbauer mal als „Verliererpokal“ bezeichnet hat.
       Aber daran erinnert sich niemand, nicht einmal die Leverkusener selbst,
       weshalb dort auch keiner – anders als beim FC Schalke – ständig von
       Erfolgen schwärmt, die noch der Führer miterlebt hat.
       
       10. Unvollkommenheit: Fehlen noch die Worte „Werkself“ und „Vizekusen“,
       ohne die für gewöhnlich kein Zeitungsartikel über Bayer 04 Leverkusen
       auskommt. Aber lassen wir das. Man kann auch elf Gründe ankündigen und nur
       zehn bringen. Es geht schließlich um Leverkusen.
       
       Besser: Zweiter.
       
       18 Dec 2012
       
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