URI: 
       # taz.de -- Mächtige Freunde
       
       von DOMINIC JOHNSON
       
       Mit der Waffe ist Charles Taylor an die Macht gekommen, mit der Waffe
       könnte er gestürzt werden. Noch nie stand der Präsident von Liberia so
       unter Druck wie jetzt. Von den USA und Großbritannien als regionaler
       Kriegstreiber geächtet, von der UNO wegen Diamanten- und Waffenschmuggels
       mit Sanktionen belegt, von seinen Gegnern als blutrünstiger Diktator,
       Förderer des internationalen Terrorismus und sogar Mitglied von al-Qaida
       denunziert, steht Taylor mit dem Rücken zur Wand.
       
       Rebellen, die gegen ihn kämpfen, eilen von einem Sieg zum anderen.
       Hunderttausende von Menschen sind im ganzen Land auf der Flucht. Seit der
       Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Gbarnga am Wochenende sind die
       Kämpfe bis auf einen Tagesmarsch an die Tore der Hauptstadt herangerückt.
       
       Die dafür verantwortliche Rebellenbewegung LURD (Liberians United for the
       Restoration of Democracy) ist eine der geheimnisvollsten Guerillas der
       Welt. Ihr Kampf währt nun schon zwei Jahre, aber kein Journalist, keine
       Hilfsorganisation ist je in ihr Gebiet vorgedrungen. Über Führung und
       Struktur der Gruppe gab es lange Zeit nur Gerüchte. Kritiker der Regierung
       Taylor behaupteten sogar, die LURD sei eine Erfindung des Präsidenten, um
       Militarisierung und die Unterdrückung seiner Gegner zu rechtfertigen.
       
       Diese Mutmaßung ist falsch. Tatsächlich hat die LURD eine solide
       Verankerung in den von Taylor angefeindeten Klüngeln des westafrikanischen
       Establishments. LURD-Führer Sekou Conneh ist der Schwiegersohn des
       Präsidenten von Guinea. Sein Stellvertreter ist Chayee Z. Doe, der jüngere
       Bruder von Liberias einstigem Präsidenten Samuel Doe, der 1990 bei der
       ersten Eroberung Monrovias durch Taylors Rebellen von einem Warlord zu Tode
       gefoltert wurde.
       
       Der etwa 40-jährige Chayee Z. Doe gilt als intellektueller Kopf der Gruppe
       mit Aussichten auf das Präsidentenamt. Er floh 1990 nach dem Tod seines
       Bruders mit dessen Privatflugzeug voller Diamanten nach Togo. Weiter ging
       es in die USA, und die Familie Doe zerstreute sich: nach Guinea,
       Elfenbeinküste, in die liberianische Stadt Zwedru. Zur LURD stieß Chayee
       Doe über Guinea, dessen Präsident Lansana Conté ihm ein Apartment zur
       Verfügung stellte. „Er kämpft für seine Verwandten im Exil“, sagt ein
       Vertrauter.
       
       Sein Chef Sekou Conneh verdankt seinen Posten vermutlich nicht seiner
       eigenen Person. „Ein einfacher Zivilist“ sei der LURD-Führer, behauptet
       LURD-Sprecher Charles Bennie. Das stimmt nur zum Teil. Informationen aus
       Liberia zufolge war Conneh früher in Monrovia Gebrauchtwagenhändler und saß
       auch schon einmal im Gefängnis. Karriere machte er erst, als er sich in
       Guinea niederließ. Denn dort heiratete er die mächtigste Frau des Landes:
       Ayesha Conneh, Adoptivtochter und oberste Beraterin des Präsidenten Conté.
       
       Guineas gealteter, zutiefst abergläubischer Präsident beförderte Ayesha
       Conneh an seine Seite, nachdem sie 1996 in einer Traumvision einen
       Putschversuch gegen ihn vorhergesagt hatte. Seitdem verlässt sich Conté auf
       ihr Urteilsvermögen. Nach Angaben des US-Thinktanks International Crisis
       Group hat sich Conté „willens gezeigt, auf der Grundlage einer
       Conneh-Vision Kabinettsminister abzusetzen und potenzielle Oppositionelle
       zu ermorden“.
       
       Connehs familiäre Verbindungen sind für LURD die Existenzgrundlage. LURD,
       so ihr Sprecher, entstand 1999 als „Idee von Leuten in Nigeria, Sierra
       Leone, Guinea, Europa und den USA“. Die formelle Gründung erfolgte nach
       einem Bericht der International Crisis Group im Februar 2000 auf einem
       Exilantentreffen in Sierra Leone. LURD habe dort „binnen kürzester Zeit
       Kontakt zum britischen Militär“ aufgenommen – Großbritannien schützt Sierra
       Leones Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah gegen Rebellen, die von Charles
       Taylor unterstützt werden. Als Kabbah sein Veto gegen eine Invasion
       Liberias einlegte, sei die Gruppe nach Guinea gezogen.
       
       Aus Guinea startete LURD 2000 ihre ersten Angriffe. Die nordliberianische
       Stadt Voinjama nahe der Grenze zu Guinea ist ihr Hauptquartier. Soldaten
       der guineischen Armee gehen dort ein und aus. Die
       Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat Aussagen von
       Exilliberianern gesammelt, die aus Sierra Leone zuerst in Guineas
       Hauptstadt Conakry geflogen und dann von Guineas Armee an die Grenze zu
       Liberia weitertransportiert wurden.
       
       Der guineische Oppositionspolitiker Jean-Marie Doré nannte sein Land
       letzten Samstag auf einer Pressekonferenz in Conakry den „wichtigsten
       Rüstungslieferanten der LURD“ und kritisierte: „Präsident Conté ist der
       Pate der liberianischen Rebellen, die aus Guinea jede nötige materielle und
       moralische Unterstützung erhalten.“ Erst am 27. April habe er gesehen, wie
       guineische Militärlastwagen voller Waffen aus der Ukraine und den USA die
       Grenze ins LURD-Gebiet überquerten.
       
       LURD schlägt Taylor nun gewissermaßen mit seinen eigenen Mitteln. Als er
       Ende 1989 als Guerillachef den Kampf gegen Samuel Doe aufnahm, nutzte
       Taylor das Staatsgebiet der Elfenbeinküste – dessen damaliger Armeechef und
       späterer Putschist Robert Guei gehört derselben Ethnie an wie Taylor und
       unterstützte ihn. Burkina Faso lieferte Waffen, Libyen trug die Kosten. Für
       Westafrikas Establishment war Taylors Sieg nicht nur ein Präzedenzfall für
       revolutionären Umsturz in der Region, sondern symbolisierte auch ein
       libysches Machtstreben.
       
       Seit Taylors Wahl zum Präsidenten 1997 sinnt dieses Establishment – zu dem
       auch UN-Generalsekretär Kofi Annan aus Ghana gehört – auf Rache. Seit der
       ersten Landung einer westafrikanischen Eingreiftruppe in Liberia 1990
       erhalten Taylor-feindliche liberianische Milizen Unterstützung aus Guinea
       und Nigeria. Die USA und Großbritannien, angestachelt durch Taylors Rolle
       in Sierra Leone, stehen heute an der Spitze der internationalen Kampagne
       gegen ihn. Sie erreichten 2001, dass die UNO Liberias Regierung mit einem
       Waffenembargo belegte. Bei der Verlängerung dieses Embargos lehnte der
       UN-Sicherheitsrat am 6. Mai eine Forderung von Human Rights Watch ab, das
       Embargo auch auf die LURD auszudehnen.
       
       Kein Wunder: Aus LURD-nahen Kreisen werden umfangreiche Waffenlieferungen
       aus den USA bestätigt. Ein Insider sagt, die Ausrüstung der auf nur 2.000
       bis 3.000 Mann geschätzten Truppe übersteige ihre logistischen Kapazitäten,
       während Liberias Regierungstruppen weniger Gewehre als Soldaten haben.
       Jetzt benötigten die Rebellen vor allem Transportmittel.
       
       Um ihre Einnahmequellen zu erweitern, schloss die LURD vor wenigen Wochen
       einen Vertrag mit dem französischen Geschäftsmann Jacques Dutour. Im
       Gegenzug für die Lieferung nicht näher bezeichneten „Materials“ hat dieser
       dabei das Recht erhalten, Rohstoffe aus dem LURD-Gebiet zu verkaufen.
       Dutour soll Kontakte zum französischen Auslandsgeheimdienst unterhalten.
       
       Exportfähige Ressourcen hat die LURD viele: Diamanten, Tropenholz,
       Kautschuk. Die Rebellen beklagen, dass es in ihrem Gebiet derzeit keinerlei
       wirtschaftliche Aktivität gibt – das soll sich offenbar ändern. „Alle Orte,
       die wir kontrollieren, wurden zuvor von Taylors Truppen geplündert“, sagt
       Sprecher Bennie. „Alles ist vollkommen zerstört.“
       
       Mit der Intensivierung der Kämpfe wird jedoch ein ohnehin ausgeblutetes
       Land weiter ins Elend getrieben. In einer Rede in Monrovia nannte der
       liberianische Intellektuelle Abraham Mitchell die Kriegsparteien kürzlich
       „primitive, ungehobelte und böse soziale Kräfte“, die „unermüdlich bestrebt
       sind, das liberianische Volk in einem Zustand des Terrors zu halten, das
       Land als Geisel zu nehmen und den gesamten Reichtum der Nation als ihr
       persönliches Eigentum an sich zu reißen“.
       
       15 May 2002
       
       ## AUTOREN
       
   DIR DOMINIC JOHNSON
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA