URI: 
       # taz.de -- Berlusconi und die Deutschen: Demokratie ist, wenn‘s Ergebnis passt
       
       > Warum man in Deutschland nicht versteht, was die Italiener an Silvio
       > Berlusconi finden. Und warum das mit dem Euro vielleicht doch keine so
       > gute Idee war.
       
   IMG Bild: Irgendwie knuddelig? Berlusconi bei einer Rede im italienischen Parlament im September 2010.
       
       Der Kapitalismus wird auch immer seltsamer: Früher bestellte das Kapital
       ein paar Laufburschen in die Regierung, den „geschäftsführenden Ausschuss
       der Bourgeoisie“, wie es im Kommunistischen Manifest sinngemäß [1][heißt],
       und fürchtete nichts so sehr, wie dass die Roten die Macht übernehmen
       könnten. Heute brechen die Börsenkurse in aller Welt ein, weil die
       italienischen Sozialisten die Mehrheit in einer der beiden Kammern des
       Parlaments [2][verpasst] haben. Demokratie ist, wenn das Ergebnis passt.
       
       Verlass hingegen ist auf deutsche Kommentatoren. Beseelt von der
       Überzeugung, dass alle Macht vom Leitartikel ausgehe, reagieren sie
       persönlich beleidigt, weil mehr als die Hälfte der Italiener die
       Empfehlungen aus Deutschland ignorierend nicht für Programme zur
       Selbstverarmung (Monti) oder zur Selbstverarmung (Bersani) gestimmt hat,
       sondern für Grillo und Berlusconi, also für zwei „Klaumak-Künstler“
       [3][(FAZ)] bzw. „Komiker“ [4][(SZ)] bzw. „Clowns“ [5][(Steinbrück)].
       Pressevielfalt ist, wenn alle, inklusive der eigenen politischen Klasse,
       dasselbe meinen, es aber anders sagen.
       
       Auf immerhin ein bisschen Verständnis dürfen Beppe Grillos Wählerinnen und
       Wähler, vor allem die vielen jungen unter ihnen, hoffen: die Wut auf das
       Establishment, die Jugendarbeitslosigkeit, die steigenden Abgaben, ja, da
       kann man schon mal [6][“leckt mich“] sagen. Für Berlusconis Wähler gilt das
       nicht. Wie können die nur?, stöhnt man fassungslos. Wie können die nur?
       
       Dafür weiß man zweieinhalb Erklärungen: das
       [7][Peppone-und-Don-Camillo]-Syndrom, also die Angst vor dem Exkommunisten
       Bersani, vor allem aber der Ärger über die von Merkel aufgezwungene
       [8][Sparpolitik] und die Gehirnwäsche und Verblödung durch Berlusconis
       Medienmacht. Diese hat demnach etwas Ähnliches geschaffen wie
       [9][Christopher Hitchens] zufolge die Herrschaft der Kims in Nordkorea:
       eine neue Spezies Mensch. Gefangenen in einem eigenen Kosmos, unerreichbar
       für die Außenwelt.
       
       Bestimmt (und zu Recht) sind die Italiener sauer auf die [10][deutsche
       Bevormundung] und bestimmt sind sie auch verblödet. Nur sind das die
       Deutschen auch, wenngleich auf ihre eigene Weise. (Oder wie soll man das
       sonst nennen, dass ein Volk das Sinken der Reallöhne, also die eigene
       Verarmung, geduldig hinnimmt, aber wegen ein [11][bisschen Gestrüpp] auf
       einem Bahnhofsvorplatz auf die Barrikaden steigt?)
       
       ## Einer wie alle
       
       Und vielleicht sind Spardiktat und Medienmacht auch nicht die einzigen
       Gründe für Berlusconis Comeback. So schmierig und mafiös er auch ist, hat
       er etwas, das deutschen Politikern fast völlig fehlt: etwas Menschliches,
       ja Knuddeliges. Berlusconi ist einer, Wolfgang Prosinger hat im
       [12][Tagesspiegel] darauf hingewiesen, der das Leben genießt und nicht
       alles so bierernst nimmt. Einer, der gerne isst und trinkt und vögelt und
       sich um eine bella figura bemüht. Ein sonniges Gemüt, das zum Fußball geht
       und bei der Steuererklärung schummelt.
       
       Berlusconi steht für das gute Leben, welches er auch seinen Wählern
       verspricht: Wohlstand, Vergnügen, Steuergeschenke. Vermutlich würde er
       seine Versprechen nicht einlösen, wenn er eine weitere Gelegenheit dazu
       bekäme. Aber immerhin verheißt er etwas anderes als Graubrot, Graubrot,
       Graubrot. Berlusconi ist ein bisschen so, wie die Leute selbst sind und
       noch mehr so, wie sie es selbst gerne wären. Und an Bunga Bunga auf
       Sardinien ist allenfalls auszusetzen, dass man sich selbst den Spaß nicht
       leisten kann.
       
       In Deutschland wären Sympathien für so einen undenkbar. Hier gilt: Was ich
       nicht habe, soll auch sonst keiner haben. Wenn ich schlechten Sex habe,
       soll sich auch sonst niemand amüsieren. Wenn ich nur einen Pass besitze,
       sollen die Ausländer gefälligst auch keinen zweiten haben. Und eben: Wenn
       mein Leben aus freudloser Plackerei besteht, dann sollen sich auch die
       anderen totschuften. Deshalb schlägt einem [13][Hasso Plattner] derselbe
       Neid entgegen wie einem [14][Florida-Rolf]. Gerechtigkeit ist, wenn es
       allen scheiße geht.
       
       ## Die Idee mit dem Euro
       
       Und dann gibt es noch etwas, das man hierzulande nicht verstehen will: „Die
       betroffenen Länder haben gesündigt, und nun müssen sie büßen“, hat Paul
       Krugman einmal die deutsche Interpretation der Eurokrise [15][beschrieben].
       Aber womöglich war der Euro angesichts der großen ökonomischen Unterschiede
       innerhalb der EU von Anfang keine so gute Idee.
       
       Vielleicht war es falsch, dass man sich, getrieben von der Sorge um ein
       allzu starkes wiedervereinigtes Deutschland, eine gemeinsame Währung gab,
       diese aber nach deutschem Muster als harte Währung konzipierte. Und
       womöglich wäre es für Italien, Spanien und Griechenland tatsächlich besser,
       aus dem Euro auszusteigen, um sich auf bewährte Weise ihrer Schulden zu
       entledigen: durch Inflation und Wirtschaftswachstum.
       
       Aber einen solchen Gedanken auszusprechen ist für deutsche Medien ungefähr
       dasselbe, als würde man Straffreiheit für Pädophilie fordern, von einer
       muslimischen Weltverschwörung erzählen oder mutmaßen, der Mossad hätte die
       Anschläge vom 11. September inszeniert. Politik ist nämlich, wenn es keine
       Alternativen gibt.
       
       27 Feb 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://de.wikisource.org/wiki/Manifest_der_Kommunistischen_Partei_(1848)
   DIR [2] /!111790/
   DIR [3] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/kommentar-ein-alarmzeichen-12094225.html
   DIR [4] http://www.sueddeutsche.de/politik/wahl-in-italien-es-regieren-populismus-geschrei-und-luege-1.1609793
   DIR [5] /!111900/
   DIR [6] http://www.welt.de/politik/ausland/article113932593/Leck-mich-Beppe-der-autoritaere-Nihilist.html
   DIR [7] http://www.youtube.com/watch?v=dEzF73HaR5w
   DIR [8] /!111714/
   DIR [9] http://www.slate.com/articles/news_and_politics/fighting_words/2010/02/a_nation_of_racist_dwarfs.2.html
   DIR [10] /!90846/
   DIR [11] /!111752/
   DIR [12] http://www.tagesspiegel.de/kultur/wahlen-in-italien-zehn-gruende-fuer-silvio-berlusconi/7827000.html
   DIR [13] /1/archiv/digitaz/artikel/
   DIR [14] /1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/
   DIR [15] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deniz Yücel
       
       ## TAGS
       
   DIR Italien
   DIR Silvio Berlusconi
   DIR Eurokrise
   DIR Movimento 5 Stelle
   DIR Italien
   DIR Nordkorea
   DIR Frank Schirrmacher
   DIR Kanzlerkandidatur
   DIR Silvio Berlusconi
   DIR Steinbrück
   DIR Steinbrück
   DIR Schwerpunkt Stuttgart 21
   DIR Besser
   DIR Gesundheitspolitik
   DIR Sparprogramm
   DIR Schwerpunkt Deniz Yücel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Mafiastimmen für die 5-Sterne-Bewegung: Der erste handfeste Skandal
       
       Eine Verstrickung mit der Mafia könnte der erfolgreichen Bewegung zum
       Verhängnis werden. Beppe Grillo versucht das Image von M5S zu retten.
       
   DIR 5-Sterne-Bewegung in Italien: Strafe für Beppe Grillo
       
       Das Urteil gegen den exzentrischen Frontmann kann der 5-Sterne-Bewegung
       nichts anhaben. Der Wählerzuspruch ist Umfragen zufolge ungebrochen.
       
   DIR Nordkorea droht eine Hungersnot: Ein Land liegt trocken
       
       Das Kim-Regime fürchtet eine Jahrhundertdürre – das meldet sogar die
       staatliche Nachrichtenagentur. Es kann jedoch auf die Hilfe Chinas zählen.
       
   DIR Kolumne Besser: Was jetzt, Quatsch- oder Sachbuch?
       
       Die Fehler im alten Buch sind noch nicht korrigiert, da hat Frank
       Schirrmacher schon ein neues veröffentlicht. Eine Nachfrage beim
       Blessing-Verlag.
       
   DIR Publizist über Steinbrücks Rhetorik: „Charme des Frakturredners“
       
       Berlusconi ein Clown? Das ist doch ein Kosewort, sagt der Publizist Hans
       Hütt. Eine Analyse der Rhetorik von Steinbrück und Merkel.
       
   DIR Berlusconi unter Bestechungsverdacht: Senator gekauft
       
       Unmittelbar nach der Wahl beschäftigt sich Italiens Justiz wieder mit dem
       ehemaligen Premier. Diesmal geht es um Stimmenkauf.
       
   DIR Kommentar Peer Steinbrück: Unser Beppe
       
       Wird Peer Steinbrück unser Beppe Grillo? Das Rezept dafür hat der SPD-Mann
       jedenfalls schon: Klartext, aufs Diplomatische pfeifen und Populismus.
       
   DIR Steinbrück und die Italien-Wahl: Zwei Clowns und ein Eklat
       
       Nachdem SPD-Kanzlerkandidat Silvio Berlusconi und Beppe Grillo als „Clowns“
       bezeichnet hatte, sagt Italiens Präsident Napolitano ein geplantes Treffen
       mit ihm ab.
       
   DIR Kolumne Besser: „Ich weiß nicht, was im Netz steht“
       
       Die Mehrheit der Baden-Württemberger ist laut Emnid gegen Stuttgart 21. Vor
       drei Wochen war laut Emnid die Mehrheit dafür. Wie das? Eine Nachfrage bei
       den Umfragern.
       
   DIR Kolumne Besser: Kapitalismus? Klar, aber nicht bei uns
       
       Deutsche Journalisten finden den Kapitalismus toll, solange es nicht um
       ihren eigenen Arsch geht. Wenn es aber eine Zeitung trifft, ist die
       Demokratie in Gefahr.
       
   DIR Kolumne Besser: Lieber Lungenkrebs statt Langeweile
       
       Als Lucky Luke mit einem Grashalm im Mund daherkam, war klar: Alles wird
       immer schlimmer. Verbote töten jeden Spaß. Doch das muss nicht so bleiben.
       
   DIR Kolumne Besser: Deutschland, der Haustyrann Europas
       
       Mal gegen die Schweiz, mal gegen Griechenland – Deutsche Politiker wünschen
       sich ein Europa, das genauso untertänig ist wie die Deutschen.
       
   DIR Kolumne Geburtenschwund: Super, Deutschland schafft sich ab!
       
       In der Mitte Europas entsteht bald ein Raum ohne Volk. Schade ist das
       nicht. Denn mit den Deutschen gehen nur Dinge verloren, die keiner
       vermissen wird.