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       # taz.de -- Eklat auf Wiener Flughafen: Europa jagt das Snowden-Phantom
       
       > Mehrere Nato-Länder sperrten den Luftraum für ein Flugzeug des
       > bolivianischen Präsidenten. Snowden sollte an Bord sein. War er aber
       > nicht.
       
   IMG Bild: Die bolivianische Präsident Evo Morales in Wien.
       
       WIEN/PARIS/BUENOS AIRES taz | Dienstagnacht, 22.30 Uhr: Eine Dassault
       Falcon landet außerplanmäßig auf dem Flughafen Wien-Schwechat. An Bord
       befindet sich der bolivianische Präsident Evo Morales, sein
       Verteidigungsminister und, so ging das Gerücht, ein gewisser Edward
       Snowden.
       
       Morales kam von einer Klimakonferenz in Moskau, wo er nebenbei den Ankauf
       von MI-17-Transporthubschraubern angebahnt hatte. Doch während des
       Heimflugs wurde er davon unterrichtet, dass ihm die Nato-Staaten Portugal,
       Frankreich, Spanien und Italien die Überfluggenehmigung verweigerten: aus
       „technischen Gründen“, wie ihm beschieden wurde.
       
       Boliviens Außenminister David Choquehuanca wusste es besser. Im heimischen
       La Paz gab er bekannt, er hätte von den betreffenden Regierungen eine
       Erklärung gefordert: „Es gab da wohl unbegründete Gerüchte, dass Mr.
       Snowden an Bord sei.“ Ausgelöst wurden diese möglicherweise durch die
       Bemerkung von Morales in Moskau, er hätte keine Bedenken, dem
       US-Whistleblower Asyl zu gewähren. Allerdings hätte dieser bisher nicht
       darum nachgesucht.
       
       Da die kleine Maschine auf einen Tankstopp auf Gran Canaria angewiesen war,
       standen die Bolivianer vor der Alternative, nach Moskau zurückzukehren oder
       anderswo abzuwarten. Eine Rückkehr nach Russland hätte den Argwohn der USA
       wohl weiter genährt. Deshalb entschied sich der Präsident für eine Landung
       in Wien, sagte Alexander Schallenberg, Sprecher des österreichischen
       Außenministers. Morales war hier bei früheren Besuchen wohlgelitten.
       
       ## Ein „historischer Fehler“
       
       Er sei einer „Geiselhaft“ ausgesetzt, wetterte dieser in einer
       Pressekonferenz in den frühen Morgenstunden. Die dafür verantwortlichen
       Länder hätten einen „historischen Fehler“ begangen. Mit Österreichs
       Bundespräsident Heinz Fischer, der ihn am Flughafen besuchte, hatte er
       indes ein freundliches Gespräch. Zuletzt kam auch noch Außenminister
       Michael Spindelegger, der die Frage, ob auch er von den USA unter Druck
       gesetzt worden sei, ausweichend beantwortete.
       
       Gleichzeitig setzte sich die Diplomatenjagd fort. Spaniens Botschafter
       versuchte, sich „auf einen Kaffee“ in die extraterritoriale
       Präsidentenmaschine einzuladen, um sich dort nach dem Aufdecker des
       Abhörskandals umzusehen. Die Österreicher lösten das eleganter: Mit
       Zustimmung von Morales hielt die Flughafenpolizei „freiwillige Nachschau“
       im Flugzeug – und fand keinen Hinweis auf versteckte Passagiere.
       
       Frankreich, Italien, Portugal und schließlich Spanien zogen daraufhin ihr
       Überflugverbot zurück. Um 11.30 Uhr am Mittwoch konnte Morales nach 13
       Stunden Wien wieder verlassen.
       
       Wer aber hatte in Paris, Rom, Madrid und Lissabon überhaupt angeordnet,
       dass der Luftraum für die bolivianische Maschine mit Präsident Evo Morales
       an Bord gesperrt wurde? In der Pariser Chefetage herrschte dazu betreten
       wirkende Funkstille. Das Außenministerium erklärte, keine Kenntnis von der
       Sache gehabt zu haben.
       
       ## Keine Erklärung aus Washington
       
       Da die Anordnung die Folge eines bloßen Gerüchts gewesen ist, will es
       anscheinend in Frankreich niemand gewesen sein. Und doch muss jemand – den
       französischen Gepflogenheiten folgend an allerhöchster Stelle – die
       Anweisung gegeben haben, einen solchen Überflug aus purer Gefälligkeit für
       Washington zu verbieten.
       
       Ein ähnliches Bild von Rom bis Lissabon: Niemand mochte sich am Mittwoch
       dazu äußern, wer für die Sperrung des Luftraums für die Präsidentenmaschine
       verantwortlich war. In Berlin tat die Bundesregierung so, als sei der
       ungewollte Zwischenstopp Morales’ eine nicht weiter erwähnenswerte
       Kleinigkeit. Entscheidungen anderer Staaten habe man nicht zu bewerten,
       sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Von einem Gerücht, dass Snowden
       an Bord gewesen sei, habe sein Ministerium keine Kenntnis gehabt.
       
       Auch aus Washington gab es keine Erklärungen. Umso höher schlugen die Wogen
       in Lateinamerika. Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner twitterte
       umgehend: „Die sind alle eindeutig verrückt. Staatschef und sein Flugzeug
       haben volle Immunität. Dieses Ausmaß an Straflosigkeit darf nicht sein.“
       Zugleich verkündete sie eine Dringlichkeitssitzung der südamerikanischen
       Staatengemeinschaft Unasur. Ecuadors Präsident Rafael Correa selbst sprach
       von entscheidenden Stunden für die Unasur.
       
       „Wir alle sind Bolivien! Entweder werden wir wieder zu Kolonien oder wir
       gewinnen unsere Unabhängigkeit, Souveränität und Würde wieder.“ Venezuelas
       Außenminister Elías Jaua erklärte: „Wir machen die Regierung der
       Vereinigten Staaten und alle Regierungen, die ihm die Flugerlaubnis
       verweigert haben, für Leben und Würde von Präsident Evo Morales
       verantwortlich“, so Jaua.
       
       Mitarbeit: Uli Schulte, Berlin, Reiner Wandler, Madrid
       
       3 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
   DIR Jürgen Vogt
   DIR Rudolf Balmer
       
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