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       # taz.de -- Geschlechtergerechte Sprache: „Es gibt mehr als Frauen und Männer“
       
       > Anna Damm und Lann Hornscheidt über die Häme der Medien über die
       > sprachliche x-Form und warum Veränderungen immer mit Widerstand verbunden
       > sind.
       
   IMG Bild: Statt Binnen-I und Gender-Gap, gerne auch mal einfach nur X.
       
       taz: Anna Damm, Lann Hornscheidt, waren Sie überrascht über das Feedback
       der Medien? „Gender-Wahnsinn“ schrieb der Focus, „Duden für Dadaisten“ die
       Jungle World, und N24 sprach von einer „merkwürdigen Studie“ … 
       
       Anna Damm: Auf so diffamierende, reißerische Hetz-Artikel waren wir nicht
       eingestellt. Warum muss uns jemand so extrem abwerten und beleidigen? Warum
       findet die Bild-Zeitung es so wichtig, da prominent drüber zu schreiben?
       Was haben wir da angetickt? Wir machen denen anscheinend Angst!
       
       Lann Hornscheidt: Soziale Veränderungen sind immer mit Widerstand
       verbunden, mit Abwehr von Leuten, die die sozialen Veränderungen nicht
       haben wollen. Wenn die Bild-Zeitung positiv über unsere Broschüre
       gesprochen hätte, wäre auch sicher etwas falsch gelaufen mit dem, was wir
       geschrieben haben.
       
       Im Zentrum der Kritik steht Ihr Vorschlag, nicht mehr „Professor“ oder
       „Professorin“, sondern „Professx“ zu sagen – um damit jeglichen Verweis auf
       das Geschlecht zu eliminieren. 
       
       A.D.: Wir bieten in unserem Leitfaden verschiedene Formen an, das war uns
       immer wichtig. Das ist unter anderem die x-Form, aber auch der dynamische
       Unterstrich, das Binnen-I, der statische Unterstrich, auch eine
       Zwei-Nennung. Es ist also ein Angebot für die jeweilige Situation. Je
       nachdem, was ich benennen oder aufzeigen will, können verschiedene
       Sprachformen benutzt werden.
       
       Die x-Form ist die weitest gehende davon: Statt einer geschlechtlich
       irgendwie zuordenbaren Endung steht nur noch ein x. 
       
       A.D.: Sie ist für uns im Moment die Form, die Zweigeschlechtlichkeit am
       besten aufbricht. Sie durchkreuzt sie, deswegen auch das x. Sie sagt nicht
       nur, es gibt eine Lücke, wo etwas reingedacht werden kann, sondern hier
       findet tatsächlich ein Aufbrechen von klassisch zweigeschlechtlichen Formen
       statt.
       
       L.H.: Beim Unterstrich („Professor_in“) gibt es Frauen und Männer und die
       in der Mitte dazwischen. Die x-Form berücksichtigt Leute, die sich gar
       nicht zu Frau-sein und Mann-sein verhalten möchten.
       
       Aber die meisten Leute definieren sich als männlich oder weiblich. Mache
       ich die mit der Verwendung der x-Form nicht unsichtbar? 
       
       L.H.: Das x zeigt: Es geht um eine Wahrnehmung von Menschen – jenseits
       davon, dass Gender zentral gesetzt ist. Das ist nicht mehr ein Aufrufen von
       „männlich“ und „weiblich“ als Polen und ein bisschen daneben.
       
       Soll jetzt alles ge-xt werden? 
       
       L.H.: Nein, definitiv nicht. Es ist total wichtig, sehr konkret zu gucken,
       worum geht es eigentlich genau, und dann spezifische Formen zu wählen.
       
       A.D.: Durch verschiedene Sprachformen können Machtverhältnisse klargemacht
       werden. Es geht nicht, wenn es nur männliche, weiße Präsidenten gab, das
       mit einer x-Form aufzubrechen: Ich würde sexistische Machtverhältnisse
       dadurch negieren und unsichtbar machen. Ich muss also immer genau schauen
       und überlegen, was ich mit den jeweiligen Formen mache. Genau diese
       Spannungsverhältnisse wollen wir mit diesem Leitfaden aufzeigen.
       
       Im Interview mit Spiegel Online betonen Sie, dass die x-Form irritieren
       soll. Das funktioniert nur, solange es nicht normal ist, sie zu benutzen. 
       
       L.H.: Deswegen sagen wir auch ganz klar: Nie nur die x-Form anwenden,
       höchstens im Wechsel mit anderen Formen, und immer genau überlegen, wann
       ich andere Formen einsetze. „StaatsbürgerIn" würde ich mit großem "i"
       schreiben und nicht mit Unterstrich, weil ich nur als Frau oder Mann
       momentan StaatsbürgerIn sein kann: Ich muss mich in eine der beiden
       Kategorien einordnen. Nur in ganz wenigen Ländern ist das anders wie in
       Neuseeland.
       
       A.D.: Wenn sich irgendwann die x-Form etabliert hat und die
       gesellschaftlichen Verhältnisse so sind wie jetzt gerade, dann ist die
       x-Form abgeschrieben. Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse sich
       mitverändern, dann ist es eine andere Frage, welche Form wie entwickelt
       werden muss, was für Diskriminierungsverhältnisse angegangen werden müssen.
       Im Ist-Zustand ist die x-Form auf jeden Fall irritierend.
       
       L.H.: Sprache muss sich weiterverändern, auch diese Form muss irgendwann
       wieder kritisiert werden. Wenn Angela Merkel morgen die x-Form in ihrer
       Regierungserklärung verwendet, dann ist sicher etwas falsch gelaufen und
       eine politische Bewegung vereinnahmt!
       
       So eine Irritation erleichtert nicht gerade die Kommunikation. 
       
       L.H.: Das ist immer die Frage, wen – oder wex – ich als Norm setze. Für
       mich erleichtert es die Kommunikation. Viele Leute haben noch nie darüber
       nachgedacht, dass sie privilegiert sind, dass nicht alle Leute mitgemeint
       sind bei vielen Formen, und dass sie eventuell selber dazu beitragen, dass
       Personen ausgeschlossen werden. Das ist für Menschen unvorstellbar, die die
       ganze Zeit – vor allem implizit – angesprochen werden. Weil sie nie auf die
       Idee kämen, dass es anders sein könnte und dass das nicht für ‚alle‘ so
       ist.
       
       Vielen erscheint das alles als verkopfte Theorie aus dem Elfenbeinturm, im
       Alltag schwer anzuwenden. 
       
       A.D.: Deswegen haben wir den Leitfaden „Sprachhandeln – aber wie?“ genannt.
       Es sind Handlungen: Auf einmal werden Leute und Positionen sichtbar
       gemacht, die im althergebrachten Sprachgebrauch nicht auftauchen. Das
       öffnet Räume, das macht möglich, mich wohl zu fühlen und nicht als
       marginalisierter Freak, der nicht vorkommen darf, weil ich anders bin und
       irritiere. Es sind Sprachformen, wo klar wird: Mich gibt's! Das sind
       Handlungen, das sind Veränderungen.
       
       L.H.: Ich würde es noch mal anders formulieren: Ich finde den Alltag schwer
       anzuwenden für mich. Ich komme, wenn ich mich nicht mit Zweigenderung
       identifiziere, bisher in allen öffentlichen Räumen nicht vor. Für mich ist
       es total schwierig, welchen Roman auch immer zu lesen, auf welche Toilette
       und in welche Sportgruppe auch immer zu gehen. Ich komme in keiner der
       Sprachformen vor, auch nicht in diesen ganzen heteronormativen
       Vorstellungen. Für mich ist der Versuch, Sprachformen zu finden, der
       Versuch, eine Anwesenheit in Welt zu gewinnen. Das sind natürlich kleine
       Kontexte, kleine Communities, aber das ist hundertmal mehr, als ich bisher
       hatte.
       
       Sie wollen also über die Sprache Räume für marginalisierte Gruppen
       schaffen. 
       
       L.H.: Es geht auch darum, diese Normalität, in der einige Leute
       privilegiert sind und andere nicht, weniger normal zu machen. Es geht nicht
       um ‚neue‘ kleine Minderheiten. Meiner Meinung nach stellt Sprache
       Wirklichkeit her: Sprache ist immer Handlung und nicht nur ein vorhandenes
       Sprachsystem, das ich dann richtig oder falsch anwenden kann.
       
       A.D.: Es geht uns mit der Broschüre nicht darum, neue Regeln oder Normen zu
       schaffen. Wir wollen Anregungen liefern für Personen, die entweder selber
       diskriminiert sind und neue Ideen haben wollen, oder die Leuten, die
       diskriminiert sind, genau zuhören wollen und respektvoll in Kommunikation
       sein wollen. Alle sollen merken: Mensch, ich kann handeln durch Sprache!
       Ich bin nicht einem Sprachsystem ausgesetzt. Das ist nicht einfach da,
       sondern ich kann mitgestalten! Ich kann mein soziales Leben mitgestalten,
       indem ich andere Sprachformen benutze und dadurch anderen Personen eine
       Anwesenheit geben kann.
       
       Warum tun sich die Leute so schwer? 
       
       A.D.: Ich verstehe das auch nicht: Es geht ja im ersten Schritt noch nicht
       einmal darum, dass die Leute ihre Privilegien abgeben. Es geht nur darum
       anzuerkennen: Ah, dich gibt's auch! Dass allein dieser Prozess dazu führt,
       dass sie so gewaltvoll werden, das ist für mich ein Riesen-Fragezeichen.
       
       L.H.: Schade, dass sie nicht sagen: Wie spannend! Ich selbst lerne gerade
       von der critical-disability-Bewegung, was an Begriffen problematisch ist,
       weil sie Behinderung immer wieder herstellen ohne es kritisch zu
       hinterfragen. Ich lerne andere Perspektiven kennen, das finde ich spannend.
       Gerade auch was Gender angeht: Manche Leute, die behindert sind, wären
       froh, erstmal als Frau oder Mann wahrgenommen zu werden. Darüber mehr zu
       lernen, bedroht mich nicht. Sondern es öffnet meine Welt.
       
       17 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Göbel
       
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