URI: 
       # taz.de -- Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs: Gesichtsschleier-Verbot rechtens
       
       > Das Verbot von Gesichtsschleiern in Frankreich stellt keine
       > Menschenrechtsverletzung dar. Gegen das Gesetz hatte eine junge Muslimin
       > geklagt.
       
   IMG Bild: Bleibt verboten: Verschleierung in Frankreich.
       
       FREIBURG taz | Das französische Vollverschleierungs-Verbot verstößt nicht
       gegen die europäischen Menschenrechte. Eine französische Muslimin
       scheiterte jetzt mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Der „Respekt für die Bedingungen des
       Zusammenlebens“ sei ein legitimes Ziel für ein derartiges Verbot, urteilten
       die Richter.
       
       Seit 2011 ist es in Frankreich untersagt, in der Öffentlichkeit
       Kleidungsstücke zu tragen, die das Gesicht verhüllen. Gemeint sind damit
       zum Beispiel die in Afghanistan üblichen Burkas, bei denen auf Augenhöhe
       ein Stoffgitter sitzt, oder der aus Saudi-Arabien stammende Niqab, der für
       die Augen einen Schlitz freilässt. Ausnahmeregelungen gibt es für
       Motorradhelme und Karnevalsmasken.
       
       Betroffen sind von dem Verbot allerdings nur rund zwei- bis viertausend
       Frauen in Frankreich, die einen Vollschleier tragen. Das normale Kopftuch
       ist nicht verboten, weil das Gesicht weiter zu sehen ist. Wer gegen das
       Gesetz verstößt, muss 150 Euro Bußgeld bezahlen oder einen Staatsbürgerkurs
       besuchen.
       
       Gegen das Gesetz hat eine 1990 geborene Juristin geklagt. Sie ist Muslimin
       und französische Staatsbürgerin mit pakistanischem Hintergrund. Sie
       betonte, dass niemand sie zwinge, sich zu verhüllen. Sie mache es auch
       nicht systematisch, sondern nur, wenn ihr danach sei. Sie war zwar noch
       nicht bestraft worden, musste aber damit rechnen.
       
       Der Straßburger Gerichtshof entschied nun, dass das französische
       Gesichtsschleier-Verbot weder gegen die Religionsfreiheit noch gegen das
       Recht auf ein selbstbestimmtes Privatleben verstößt.
       
       ## Kryptische Argumentation der Richter
       
       Allerdings akzeptierten die Richter nicht alle von der französischen
       Regierung vorgetragenen Begründungen. So könne das Verbot von
       Gesichtsschleiern nicht mit der „öffentlichen Sicherheit“ begründet werden.
       Dies wäre nur bei einer angespannten Sicherheitslage, aber nicht generell
       möglich. Auch den „Respekt für die Gleichberechtigung der Geschlechter“ und
       die „menschliche Würde“ ließen die Richter nicht als Begründung gelten.
       
       Allein der „Respekt für die Minimalbedingungen des sozialen Lebens“
       rechtfertige ein Verbot von Gesichtsschleiern im öffentlichen Raum.
       Schließlich spiele das Gesicht eine bedeutende Rolle in der sozialen
       Interaktion. Wer sein Gesicht nicht zeige, verletze damit das Recht
       anderer, in einem gesellschaftlichen Raum zu leben, der das Zusammenleben
       erleichtert, so die etwas kryptische Argumentation der Richter.
       
       Der EGMR räumt ein, dass das französische Verbot von Gesichtsschleiern
       angesichts der geringen Zahl der Trägerinnen „exzessiv“ erscheinen mag und
       teilweise von islamfeindlichen Haltungen genährt wurde.
       
       Die Richter hielten das Verbot dennoch mehrheitlich für „verhältnismäßig“,
       da das Verbot nicht auf religiöse Kleidung abziele, sondern nur auf
       Kleidungstücke, die das Gesicht verhüllen. Außerdem seien die drohenden
       Strafen sehr milde.
       
       Gegen das Urteil sind keine Rechtsmittel mehr möglich. Wegen der
       offensichtlich schwierigen Rechtsfragen hatte sofort die mit 17 Richtern
       besetzte Große Kammer des EGMR den Fall übernommen.
       
       ## Vollverschleierung ist in Deutschland erlaubt
       
       Ähnliche Verbote wie in Frankreich gibt es auch in Belgien, den
       Niederlanden, im Schweizer Tessin und in Barcelona. Wer dort betroffen ist,
       kann sich nun also den Weg nach Straßburg sparen.
       
       Eine Pflicht zur Einführung eines Burka-Verbots besteht freilich auch
       nicht. Die 47 Mitgliedstaaten des Europarats – von Russland bis zur Schweiz
       – hätten deshalb großen Gestaltungsspielraum, so der EGMR.
       
       Das Urteil hat also keine Auswirkungen auf Deutschland, wo
       Vollverschleierung auf der Straße bisher erlaubt ist. In einigen
       Bundesländern sind allerdings Kopftücher und andere religiöse
       Kleidungsstücke im öffentlichen Dienst verboten.
       
       Dieser Artikel wurde ergänzt um 17.57 Uhr.
       
       1 Jul 2014
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Menschenrechte
   DIR Gericht
   DIR Urteil
   DIR Flüchtlingspolitik
   DIR Australien
   DIR Australien
   DIR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
   DIR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
   DIR Burka
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Urteil zu Afghanen in der Schweiz: Flüchtlings-Lotterie vor Gericht
       
       Der EGMR hat der Schweiz untersagt, Afghanen in ihr Ersteinreiseland
       Italien abzuschieben. Deutsche Gerichte urteilen ähnlich – aber nicht
       immer.
       
   DIR Aktivisten in Australien: Anti-Burka-Protest vor Parlament
       
       Mit Motoradhelm, Ku-Klux-Klan-Kapuze und Niqab wollten drei Künstler das
       australische Parlament betreten. Und scheiterten.
       
   DIR Burkaverbot in Australien gelockert: Verschleierter Besuch im Parlament
       
       Der Zutritt zum australischen Parlament sollte Burka-Trägerinnen verboten
       werden. Nur wenige Tage später ist die Regelung jedoch schon wieder
       zurückgenommen worden.
       
   DIR EGMR gibt Klage Georgiens statt: Straßburg verurteilt Russland
       
       Russland hatte im Jahr 2006 viele Georgier festgenommen und ausgewiesen –
       brutal und ohne Einzelfallprüfung. Zu Unrecht, wie sich nun zeigt.
       
   DIR Kommentar Urteil zur Vollverschleierung: Ein schwieriger Richterspruch
       
       In Europa zählt die Möglichkeit, einem Menschen ins Gesicht schauen zu
       können, mehr als religiöse Überzeugungen. Das kann man so sehen.
       
   DIR Burka-Verbot in Frankreich: Streit geht in die nächste Runde
       
       Eine Frau beschimpft einen Polizisten, der sie wegen Tragens der
       Ganzkörperverschleierung notiert. Ein Gericht beschied nun:
       Bewährungsstrafe und 150 Euro Bußgeld.