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       # taz.de -- Kommentar Flüchtlingsquote: Quote oder Tote
       
       > Wenn die EU sich noch als Gemeinschaft versteht, braucht sie die Quote in
       > der Asylpolitik. Die Mittelmeeranrainer sind schon jetzt heillos
       > überfordert.
       
   IMG Bild: Vor Lampedusa trifft die private Flüchtlingshilfe MOAS auf ein Boot mit 105 Menschen. (Archiv)
       
       So kompliziert die europäische Flüchtlingspolitik ist, eines steht immerhin
       fest: Sie muss sich dringend ändern. Es geht nicht mehr, dass offiziell nur
       die EU-Staaten für Asyl zuständig sind, in denen die Flüchtlinge zuerst
       ankommen. Bei weiter steigenden Flüchtlingszahlen wird dieses System, das
       einst federführend von Deutschland durchgesetzt wurde, erst recht nicht
       mehr funktionieren.
       
       Die EU-Kommission hat jetzt einen ersten kleinen, aber wichtigen Schritt
       getan: das Eingeständnis des Scheiterns. Indem Brüssel eine freiwillige
       Quote zur Verteilung in der EU in akuten Notfällen vorschlägt und diese als
       „Pilotprojekt“ bezeichnet, signalisiert die EU immerhin Reformbereitschaft.
       Aus der freiwilligen soll eines Tages eine echte, verbindliche Quote
       werden. Genau deshalb haben britische und osteuropäische Politiker auch
       sofort entsetzt protestiert: Bloß keine Quoten!
       
       Aber anders wird es nicht gehen, jedenfalls wenn sich die EU noch als eine
       Gemeinschaft versteht, die Rechte und Pflichten halbwegs gerecht verteilt –
       auch in Sachen Asyl. Die ohnehin ärmeren Mittelmeeranrainer sind
       überfordert. Sie registrieren die Menschen oft gar nicht mehr, verweigern
       die Versorgung oder schicken sie weiter mit dem Rat, anderswo ihr Heil zu
       suchen.
       
       Was dann folgt, ist Willkür: Manche Länder, wie Deutschland und Schweden,
       die offiziell gar nicht zuständig wären, nehmen zum Glück relativ viele
       Flüchtlinge unter relativ guten Bedingungen auf. Deshalb versuchen auch
       relativ viele Flüchtlinge, hierherzugelangen. Andere Länder behandeln
       Flüchtlinge schlechter, weshalb dort auch die wenigsten hinwollen.
       
       Nötig ist es, alle EU-Staaten zu verpflichten, menschenrechtliche Standards
       einzuhalten und so viele Flüchtlinge aufzunehmen, wie es ihrer Größe und
       Wirtschaftskraft entspricht. Das kann für Deutschland bedeuten, mehr
       Flüchtlinge als jetzt aufzunehmen. Aber nur mit solchen Quoten wird die
       Aufnahme von Flüchtlingen dauerhaft Akzeptanz finden. Klar, Quoten
       einzuführen, wird sehr schwer – weil Länder Zugeständnisse machen müssten,
       in denen rechte Parteien jetzt schon stark sind. Aber man muss es
       versuchen. Wenn die Kanzlerin dabei auch nur halb so viel Führungswillen
       bewiese wie bei der Sparpolitik, wäre schon viel gewonnen.
       
       Alternativlos sind Quoten nicht. Die Alternative ist der kleinste
       gemeinsame Nenner, der sich mit den Militäraktionen gegen Schlepper bereits
       abzeichnet: Abschottung.
       
       12 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Wallraff
       
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