URI: 
       # taz.de -- Linker Fußball und die Philosophie des 1:0
       
       > Die merkwürdige Welt der großen Fußballtrainer  ■  WIR LASSEN LESEN
       
       Torhüter und Linksaußen, so heißt es, haben allesamt eine Macke. Ludger
       Schulzes Buch Trainer. Die großen Fußballstrategen beweist, daß ihnen die
       Herren an der Außenlinie in nichts nachstehen. Ob es sich nun um den
       gestrengen Vittorio Pozzo, Weltmeister 1934 und 1938, aus Italien handelt,
       dessen Lebensweg vom Journalisten zum Startrainer und zurück führte, und
       der niemals eine Schreibmaschine benutzte, weil ihm das zu neumodisch war;
       ob um Helenio Herrera, der in schönster Bescheidenheit neun Gebote an die
       Kabinentür nagelte, den gemütlich-runden Brasilianer Vicente Feola, dem
       nachgesagt wurde, daß er bei wichtigen Spielen gelegentlich auf der
       Trainerbank eingeschlafen sei, oder Sir Alf Ramsey, der die Außenstürmer
       abschaffte, weil ihn einige in seiner aktiven Verteidiger -Zeit so sehr
       veräppelt hatten. Ob Udo Lattek, der wohl noch in der Hölle behaupten wird,
       daß dort, wo er sich befinde, oben sei, oder Carlos Bilardo, jener
       Fußball-Brutalo aus Argentinien, der Medizin studierte, sich als Spieler
       aber „redliche Mühe gab, gesunde Menschen ins Krankenhaus zu bringen“ -
       keiner war „ein Mensch wie du und ich“, wie es der Autor schonungsvoll
       formuliert.
       
       Das Buch wimmelt von kleinen Geschichten und großen Ereignissen, von
       Anekdoten und Kuriositäten, himmelhochjauchzenden Triumphen und grotesken
       Fehlschlägen. Es stellt nicht nur die größten Trainer der Fußballhistorie
       vor, sondern läßt gleichzeitig deren begabteste Spieler Revue passieren.
       Zudem ist es ein Kompendium der Taktik. Herbert Chapmans WM-System wird
       ebenso präsentiert und erklärt wie Feolas 4-2-4, Rappans Riegel, Herreras
       Catenaccio, Happels Pressing und Michels‘ Fußball Total. Der Wettstreit der
       Fußballschulen kulminiert in der Schilderung der erbitterten Feindschaft
       zweier zeitgenössischer Erfolgstrainer.
       
       Auf der einen Seite Cesar Luis Menotti, der einst mit Pele beim FC Santos
       spielte, Verfechter linken Fußballs, Apologet von Kreativität und Ästhetik,
       außerdem mutiger Kritiker der argentinischen Militärs; auf der anderen
       Seite Carlos Bilardo, der Rüpel, der im Weltpokal-Finale seines Clubs
       Estudiantes Buenos Aires gegen Feyenoord Rotterdam 1970 seinem
       Gegenspieler, der das entscheidende Tor geschossen hatte, die Brille von
       der Nase riß und sie auf dem Rasen zertrampelte. „Wenn du dich mal
       gründlich langweilen willst, schau dir eine Mannschaft an, die von Bilardo
       trainiert wird“, sagt man in Argentinien. Carlos Bilardo nämlich ist ein
       strenger Verfechter des Zweckfußballs; das 1:0 schießen und dann
       dichtmachen, heißt seine Devise, die Argentinien 1986 um ein Haar die
       Weltmeisterschaft gekostet hätte. Im Achtelfinale gegen Uruguay, im
       Viertelfinale gegen England und im Endspiel gegen die BRD befolgten die
       Spieler die fatale Taktik, Argentiniens Prunkstück - der Angriff mit
       Valdano, Burruchaga und Maradona - zog sich nach der Führung in die
       Defensive zurück, und jedesmal schlug hohe Überlegenheit in tiefe
       Bedrängnis um. Viel Glück und die Genialität des Duos Maradona/Burruchaga
       retteten Bilardo damals, und der Titel versöhnte seine Kritiker.
       
       Außer Menotti. Der Weltmeistertrainer von 1978 dachte nicht daran, sein
       vernichtendes Urteil - „Bilardo tötet das Herz unseres Fußballs“ - zu
       revidieren, und höhnte über den verhaßten Rivalen: „Der sitzt abends immer
       noch zu Hause und denkt darüber nach, wie und warum er überhaupt
       Weltmeister geworden ist.“ Der Kampf zwischen linkem Fußball und der
       Philosophie des 1:0 wird eben nicht durch Titel entschieden.
       
       Franz Beckenbauer kommt in dem Buch nur mit einer kurzen biographischen
       Notiz vor. Das kann sich bei der nächsten Auflage schon geändert haben.
       Dann nämlich ist hierzulande mit Berti Vogts wohl längst eine neue
       taktische Variante angesagt: Terrierfußball. Und spätestens das macht auch
       den Kaiser von Kitzbühel zum „großen Fußballstrategen“.
       
       Matti
       
       Ludger Schulze: „Trainer. Die großen Fußballstrategen“, Copress Verlag
       1989, ISBN 3-7679-0292-3, 39 Mark
       
       31 Oct 1989
       
       ## AUTOREN
       
   DIR matti
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA