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       # taz.de -- Kraft durch Boxen
       
       > BOXEVENT Am Samstagabend boxen Wladimir Klitschko und David Haye vor
       > 50.000 Zuschauern im Volkspark. Ganz in der Nähe wurde Boxen 1934
       > erstmals zum Massensport – als KDF-Veranstaltung
       
       „Die gefürchtete Rechte schlug immer wieder auf Walter Neusels Schädel ein,
       wie eine Axt, die auf feuchtes Sperrholz trifft. Bereits in der ersten
       Runde hatte der Ex-Weltmeister Max Schmeling dem zwei Jahre jüngeren Neusel
       eine Platzwunde über der Augenbraue zugefügt.“ So schildert
       Schmeling-Biograf David Pfeifer den Kampf, mit dem der Boxsport in
       Deutschland am 26. August 1934 zum Massenereignis wurde. Er fand fünf
       Kilometer Luftlinie von der Arena entfernt statt, in der am Samstagabend
       Wladimir Klitschko gegen den Briten David Haye um drei Weltmeister-Gürtel
       boxt. Und ist bis heute mit 100.000 Zuschauern der größte Boxkampf, der
       jemals in Europa ausgetragen wurde.
       
       In der Kaiserzeit noch verboten, wurde der Boxsport in der Weimarer
       Republik zwar immer populärer, zog bis dahin aber höchstens 10.000
       Zuschauer im Berliner Sportpalast an. Das wollten die
       nationalsozialistischen Sportfunktionäre ändern. Der Kampf „Mann gegen
       Mann“ hatte für sie große ideologische Bedeutung, und deshalb sollte das
       Boxen zum Volkssport Nummer eins aufgebaut werden. Die Nationale
       Berufs-Box-Gemeinschaft (NBBG) wurde gegründet und mit Max Schmeling gab es
       einen idealen Protagonisten.
       
       Der richtige Mann, diesen als Gladiator in Szene zu setzen, war auch bald
       gefunden: Der Hamburger Promoter Walter Rothenburg hatte bereits 1925 den
       ersten Boxkampf im Berliner Sportpalast durchgeführt und machte sich nun
       daran, die Vormachtstellung der USA im Boxen zu attackieren. Der Kampf
       Neusel gegen Schmeling sollte dafür das Fanal sein. Innerhalb weniger
       Wochen ließ Rothenburg die Sandrennbahn neben Hagenbecks Tierpark nach
       US-amerikanischem Vorbild in eine massentaugliche Boxarena umbauen. Damit
       tatsächlich die angestrebten 100.000 Zuschauer kamen, stellte die
       Nazi-Organisation „Kraft durch Freude“ Busse, mit denen Fans aus der ganzen
       Republik zu niedrigen Preisen herangekarrt wurden. „Kampfbesucher aus
       Berlin zahlten beispielsweise nur 13 Mark für die Fahrt, ein Mittagessen,
       einen Ausflug nach Blankenese und den Kampf selbst“, schreibt Pfeifer.
       
       Der 28-jährige Max Schmeling befand sich zu der Zeit gerade in einer
       sportlichen Krise und war von Neusel sogar von Platz drei der Weltrangliste
       verdrängt worden. Im Kampf gegen den „blonden Tiger aus Wanne-Eickel“
       wollte der Ex-Weltmeister endlich klar stellen, wer „Deutschlands Größter
       im Seilgeviert“ ist. Mit Erfolg: Nach der achten Runde gab Neusel schwer
       gezeichnet auf. „Für den deutschen Sport waren die propagandistischen
       Auswirkungen kaum abzuschätzen“, schrieb der Sportreporter Arno Hellmis
       über das Großereignis und Promoter Rothenburg erinnert sich in seiner
       Autobiografie: „Deutschland war auf dem besten Weg, Amerikas Boxmonopol zu
       brechen. Der boxgewaltige Garden in New York war ziemlich matt gesetzt.“
       
       1935 ließ Rothenburg mit massiver staatlicher Unterstützung in nur 42 Tagen
       in Hamburg-Rothenburgsort eine alte Lagerhalle mit 25.000 Zuschauern zur
       damals größten überdachten Sportarena der Welt ausbauen. Nur, um für den
       Kampf von Schmeling gegen den Amerikaner Steve Hamas den Madison Square
       Garden auszubooten, der 5.000 Zuschauer weniger fasste.
       
       Seinen großen Traum, Schmeling in Deutschland wieder zum Weltmeister zu
       machen, verwirklichte Rothenburg allerdings nicht. Selbst mit höchsten
       Gagen ließen sich James J. Braddock oder dessen Nachfolger Joe Louis nach
       Nazi-Deutschland locken. Schmeling verlor schließlich 1938 in New York
       gegen Louis und mit dem Beginn des 2. Weltkrieges war Deutschlands Angriff
       auf die Weltmarktführung im Boxsport ohnehin beendet. Den international
       bedeutungslosen Rückkampf gegen Neusel verlor der alternde Max Schmeling
       vor 35. 000 Zuschauern 1948 in der Hamburger Sport-Arena.
       
       Walter Rothenburg, der 1975 starb, pflegte nach dem Krieg seine zweite
       Leidenschaft als Schlagertexter. Möglich, dass die Zuschauer am Samstag
       nach dem Kampf Klitschko gegen Haye einen seiner Hits anstimmen. Fragt sich
       nur, welchen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute“, oder „Junge, komm’
       bald wieder“? RALF LORENZEN
       
       2 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR RALF LORENZEN
       
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