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       # taz.de -- Lockerbie-Ausschuss wird zur Farce
       
       > TERROR Der US-Senat untersucht heute, ob der Agent al-Megrahi aus
       > britischer Haft entlassen wurde, damit BP vor Libyen Bohrlizenzen erhält.
       > London weist Vorwürfe zurück
       
       AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
       
       Hatte der Erdölkonzern BP etwas mit der Freilassung von Abdelbaset
       al-Megrahi zu tun? Der wegen des Lockerbie-Anschlags von 1988 zu
       lebenslanger Haft verurteilte ehemalige libysche Geheimdienstmitarbeiter
       ist im vorigen Jahr aus schottischer Haft entlassen worden, weil er unter
       Prostatakrebs im Endstadium leidet. Der US-Senat will heute untersuchen, ob
       der 900-Millionen-Dollar-Vertrag, den BP für Erdölbohrungen in Libyen
       abgeschlossen hat, Einfluss auf diese Entscheidung hatte.
       
       Der britische Außenminister William Hague hat in einem siebenseitigen Brief
       an den US-Senat erklärt, dass sich BP im Oktober und November 2007
       tatsächlich fünfmal mit Vertretern der damaligen Labour-Regierung getroffen
       habe, um auf den Abschluss eines Abkommens über Gefangenenüberstellung mit
       Libyen zu drängen. Andernfalls seien die Pläne für Tiefseebohrungen vor der
       libyschen Küste gefährdet. Hague sagte, das Verhalten von BP sei „völlig
       normal und legitim“ gewesen. Die Regierung wollte al-Megrahi zunächst von
       dem Abkommen ausschließen, verzichtete dann aber auf libyschen Druck
       darauf.
       
       Al-Megrahi wurde voriges Jahr aus humanitären Gründen freigelassen. Seine
       Verurteilung für den Anschlag auf ein US-Flugzeug über der schottischen
       Kleinstadt Lockerbie im Jahr 1988, bei dem 270 Menschen getötet wurden,
       beruhte auf dubiosen Indizien. Hans Köchler, Philosophieprofessor in
       Innsbruck und UN-Beobachter des Lockerbie-Prozesses, sprach schon damals
       von einem „spektakulären Justizirrtum“. Er glaubt, al-Megrahi sei zum
       Sündenbock gemacht und die ursprünglichen Ermittlungen in Richtung
       palästinensischer Organisationen seien aus politischen Gründen eingestellt
       worden. Köchler fordert eine öffentliche Untersuchung des gesamten Falls.
       
       Die Senatsuntersuchung gerät hingegen zur Farce. Vorige Woche
       veröffentlichte der Senatsausschuss einen Brief an den ehemaligen
       britischen Premierminister Tony Blair mit der Bitte, zur Anhörung zu
       erscheinen. Kurz darauf erklärte der Senat das Schreiben zum Irrtum. Sowohl
       der britische Exjustizminister Jack Straw als auch Schottlands Premier Alex
       Salmond von der Scottish National Party (SNP) und sein Justizminister Kenny
       MacAskill haben dem Senat abgesagt.
       
       Salmond forderte am Wochenende die Regierungen in Washington und London
       auf, endlich ihre Korrespondenz mit der schottischen Regierung zur
       Veröffentlichung freizugeben. Teile davon sind bereits durchgesickert. So
       war die US-Regierung bereit, einer Begnadigung al-Megrahis zuzustimmen, ihn
       aber nicht nach Libyen ausreisen zu lassen. Das geht aus einem Brief
       hervor, der vermutlich vom stellvertretenden Chef der US-Botschaft, Richard
       LeBaron, stammt, und widerspricht der wütenden Reaktion aus Washington nach
       al-Megrahis Freilassung.
       
       BP, das im Golf von Mexiko laut der deutschen Grünen-Vorsitzenden Claudia
       Roth gerade „die größte Umweltkatastrophe seit Tschernobyl“ angerichtet
       hat, will bald mit der Bohrung vor der Küste Libyens beginnen. Das
       bestätigte der Sprecher des Ölmultis, David Nicholas. „Schon die Bohrungen
       im Golf von Mexiko in 1.500 Meter Tiefe waren ein Experiment, das gründlich
       schiefging“, sagte Roth. Im Mittelmeer soll nun in 1.750 Meter Tiefe
       gebohrt werden.
       
       29 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR RALF SOTSCHECK
       
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