URI: 
       # taz.de -- Sollen Freier bestraft werden?JA
       
       > STRICH Die „Emma“ fordert das Ende der Prostitution. Schweden ist da
       > schon einen Schritt weiter
       
       Sibylle Berg, 51, schreibt Bücher, Theaterstücke und auch für Spiegel
       Online
       
       Es muss ein Unrechtsgefühl geschaffen werden, das im Moment meist bei
       Kunden von Prostituierten beiderlei Geschlechts nicht existiert. Immer
       dieser Bullshit vom ältesten Gewerbe der Welt: Natürlich, schon immer
       wurden Menschen ausgebeutet. Und sind schlecht bezahlte Angestellte
       wirklich Sklaven? Sie haben eine Wahl, wie einige Prostituierte. Geht es um
       Strafen für Freier, treten die SprecherInnen der SexarbeiterInnenvereine
       mit der Gegenthese von der Eigenbestimmung über den Körper an. Aber es geht
       um Fundamentaleres: Es sollte nicht mehr normal sein, dass meist Männer von
       einer Käuflichkeit des weiblichen Körpers ausgehen. Wenn der Freier bereit
       ist, eine Strafe zu zahlen und einen hohen Preis für die Dienstleistung
       selbstbestimmter SexarbeiterInnen, könnte das eine Diskussionsgrundlage
       sein. Jeder soll über seinen Körper verfügen dürfen. Man kann auch Nieren
       spenden oder seinen Körper vermieten. Aber keiner soll das als
       selbstverständlich begreifen. Das wäre das Ziel.
       
       Maud Olivier, 60, sitzt für die Sozialisten in der französischen
       Nationalversammlung 
       
       Sex zu kaufen: In Frankreich wollen wir das verbieten. Weniger Menschen
       sollen von Prostitution abhängig sein. Wir verstärken auch den Kampf gegen
       Zuhälterei. Wir versuchen, Prostituierte zu unterstützen, über die Risiken
       aufzuklären und ihnen zu helfen, wenn sie aussteigen möchten. Wir wollen
       auch präventiv vorgehen und die jungen Leute aufklären. Es ist nicht
       akzeptabel, einen anderen Menschen auszunutzen, um sein sexuelles Bedürfnis
       zu befriedigen. Prostitution ist Gewalt. Verbietet man sie, ist das ein
       weiterer Schritt zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen – 99
       Prozent der Freier sind Männer. Wenn man die kriminellen Strukturen hinter
       der Prostitution aufdeckt, wird die Nachfrage zurückgehen – wir sind dann
       kein lukrativer Markt mehr.
       
       Kajsa Ekis Ekman, 33, schreibt als Journalistin in Schweden über
       Prostitution 
       
       Der Käufer ist es, der für Prostitution verantwortlich ist. Weil er für Sex
       bezahlt, erschafft er eine Industrie, die Leid, Frauenhandel und
       Ungleichheit erzeugt. Prostituierte haben eine 40-mal höhere Sterblichkeit
       als andere Frauen. Prostitution beeinflusst auch die Beziehungen zwischen
       Männern und Frauen. Sie macht beide unehrlich. Die Prostituierte sagt, der
       Mann sei fantastisch im Bett, obwohl er es nicht ist. Und die Männer
       verbergen das, was sie tun. In Schweden werden Käufer von sexuellen
       Dienstleistungen seit 1999 bestraft. Der Anteil der Männer, die für Sex
       bezahlen, hat sich reduziert. Jetzt ist es nur noch einer von zwölf, nicht
       mehr einer von acht. Prostitution ist nicht mehr Teil des sexuellen Lebens.
       Wir können Sex auf Grund von gegenseitigem Verlangen haben, nicht aus
       ökonomischer Not heraus. Wichtig ist aber, dass Gesetze, die Freier
       bestrafen, von einem Programm begleitet werden, das Prostituierten hilft
       und ihnen neue Jobs verschafft.
       
       Hannes Jaenicke, 53, ist Schauspieler und Unterzeichner der Emma-Liste
       
       Jeder Freier, der eine nicht registrierte oder angemeldete Prostituierte
       bucht, sollte sich strafbar machen. Ich finde, so müsste das gut gemeinte,
       aber erschreckend naive Gesetz geändert werden. Gleiches muss gelten für
       jeden, der auf dem Straßenstrich oder im Bordell Minderjährige oder solche
       Sexarbeiter bucht, die keine gültige Aufenthaltsgenehmigung besitzen.
       Meiner Meinung nach müssten auch Bordellbetreiber und Zuhälter mit
       Haftstrafen belegt werden, die solche illegalen Sexarbeiter beschäftigen
       oder anbieten.
       
       ## NEIN
       
       Hans-Peter Uhl, 69, ist Bundestagsabgeordneter der CSU und im
       Innenausschuss 
       
       Bestraft man Freier generell, verbietet man die Prostitution. Das halte ich
       nicht für sinnvoll, weil es nicht realistisch ist. Die Prostitution ist das
       älteste Gewerbe der Welt, man kann sie nicht verbieten. Verbote, die nur
       auf dem Papier bestehen, sind nichts wert. Ich könnte mir vorstellen, dass
       Freier von Zwangsprostituierten bestraft werden: Wenn der Freier sieht,
       dass beispielsweise Gewalt oder Einschüchterung im Spiel ist. Auch, wenn er
       sieht, dass die Prostituierte minderjährig ist, sollte er eine Strafe
       bekommen. Das bleibt vage, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Viel mehr
       können sie auf dem Gebiet der Bestrafung nicht erreichen. Das Ziel muss
       sein, dass im Prostitutionsgewerbe nicht länger das Gesetz des Stärkeren
       gilt, sonst findet man sich schlicht mit Missbrauch ab. Leider hat die
       Reform durch SPD und Grüne genau dazu geführt. Es muss das Gesetz des
       Staates gelten und es darf kein Weisungsrecht eines Mannes über eine
       Prostituierte geben.
       
       Gregor Gysi, 65, ist Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag 
       
       Ich bin gegen die Bestrafung von Freiern, die eine freiwillige
       Sexualdienstleisterin bezahlen, schon weil dann Prostituierte wegen
       Beihilfe bestraft werden müssten. Wenn man – wie auch immer – ihre
       diesbezügliche Verurteilung ausschließen wollte, hätten sie kein
       Zeugnisverweigerungsrecht, müssten also gegen die Freier aussagen. Außerdem
       eröffnete man damit ein Feld der Erpressung, gerade durch Zuhälter. Ich
       glaube, mit der Forderung nach einer generellen Strafbarkeit der Freier
       wären Folgen verbunden, die nicht bedacht worden sind. Viel strikter muss
       dafür die Verschleppung von Mädchen und Frauen nach Westeuropa zum Zwecke
       der Prostitution bekämpft und verhindert werden. Das gilt für jeden Zwang
       gegenüber Mädchen und Frauen, sich prostituieren zu müssen.
       
       Johanna Weber, 45, Berufsverband für erotische und sexuelle
       Dienstleistungen 
       
       Nein, denn das wäre gleichbedeutend mit einem Berufsverbot. Ein Beispiel
       aus einer anderen Branche zeigt die Absurdität vielleicht besser. Wie wäre
       es, wenn Jounalismus erlaubt wäre, aber das Lesen der Artikel verboten? Das
       wäre doch auch Zensur! Die Freierbestrafung ist eine scheinheilige Methode,
       um die Prostitution durch die Hintertür abzuschaffen. Es werden ja nur die
       Freier bestraft, nicht wir Prostituierten. Dass wir dabei aber unsere
       Arbeitsplätze und somit unsere Existenzgrundlage verlieren, scheint
       niemanden zu interessieren, denn wir sollten ja froh sein, dass wir endlich
       aus dem Elend befreit werden. Wir wollen aber nicht gerettet werden und
       unsere Kunden sollen nicht kriminalisiert werden!
       
       Moritz Müller, 20, ist taz-Leser und hat unseren Streit per Mail
       kommentiertMan darf bei der Diskussion um ein Prostitutionsverbot nicht
       oberflächlich werden, sondern man muss klar differenzieren. Zwischen
       freiwilliger Prostitution auf der einen Seite und Menschenhandel und
       Zwangsprostitution auf der anderen gibt es einen gravierenden Unterschied –
       die Legalität. Menschenhandel ist illegal und wird bestenfalls auch
       strafrechtlich verfolgt, so sieht es das Grundgesetz vor. Prostitution ist
       hingegen auf freiwilliger Basis keineswegs illegal. Im Gegenteil: Jeder
       Mensch darf über seinen Körper selbst bestimmen, das ist ein Menschenrecht.
       Die Diskussion sollte sich deshalb nicht darum drehen, ob wir Freier
       bestrafen und Prostitution verbieten können. Wir müssen uns eher fragen, ob
       es nicht sinnvoll wäre, mehr Steuergelder und Justizbeamte dafür
       aufzubringen, Menschenhandel und Zwangsprostitution besser zu bekämpfen,
       statt über ein Prostitutionsverbot nachzudenken.
       
       9 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR SIBYLLE BERG / MAUD OLIVIER / KAJSA EKIS EKMAN / HANNES JAENICKE / HANS-PETER UHL / GREGOR GYSI / JOHANNA WEBER / MORITZ MÜLLER
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA