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       # taz.de -- Fashion Week in Moskau: Maßgeschneiderter Militarismus
       
       > Auf der Modenschau in Moskau war Military-Look Trumpf. Krieg ist
       > salonfähig geworden. Zur Armee will die Jugend dennoch nicht.
       
   IMG Bild: Ideal für Sofakrieger: Patriotismus zum Anziehen.
       
       MOSKAU taz | März 2014. Die Krim wird gerade von Russland annektiert, da
       geht das Hündchen Filja, eine beliebte Figur aus der russischen
       „Sandmännchen“-Sendung, zur Armee, es will Grenzschützer werden. Heute, ein
       Jahr später, ist bereits ganz Russland nachgezogen. An die
       Groß-Leinwand-Front.
       
       Eine Modenschau zum Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg im
       Moskauer Kulturhaus Loft. „Ich habe mir gestern das Stalingrad-Epos von
       Bondartschuk reingezogen und bin jetzt voll auf dem Patriotismus-Trip!“,
       flüstert ins Ohr der Freundin eine Besucherin, „die T-Shirts mit
       Putin-Konterfei hängen mir zum Hals heraus. Aber diese blauen Sweatshirts
       mit Kreml und bewaffneten Matrjoschkas drauf sind voll geil! Wenn die
       Street-Styler und Blogger sie tragen werden und die Looks posten, wird sich
       morgen ganz Moskau so kleiden!“
       
       Die eng bejeansten Damen aus der ersten Reihe kommentieren Kollektionen,
       die es bis zum Finale des „Wettbewerbs für Patriotische Kleidung #Sieg70“
       geschafft haben. In ihre Haare sind orange-schwarze St.-Georgs-Bändchen
       eingeflochten. Über dem improvisierten Laufsteg stolzieren schlanke Models
       mit rasierten Schläfen und steinernen Gesichtern. Sie tragen Kleider,
       Latzhosen und T-Shirts, worauf perlenbestickte Ähren, Sichel und Hammer
       prangen. Eine schwarze Ballerina auf dem weißen Pullover soll nach der Idee
       der „Sensus-Couture“-Designer russische Errungenschaften auf dem Gebiet der
       Ballettkunst versinnbildlichen.
       
       „Danke an unsere Veteranen! Wir sind hier, um ihre Heldentaten und ihren
       Mut zu verewigen!“, sagt der Moderator und kündigt zur Einstimmung einen
       Hit des patriotischen Popstars Oleg Gasmanow mit dem Namen „Herrschaften
       Offiziere“ an. In diesem Augenblick fällt das St.-Georgs-Bändchen von
       seinem Revers zu Boden. Er übersieht das und will gerade drauftreten, da
       springen die Zuschauer von ihren Sitzen hoch und deuten auf das Bändchen.
       Er hebt es bedächtig auf.
       
       Wenig später tauchen auf dem Podium die Boxer eines Sportclubs mit einer
       Sonderkollektion auf, sie läuft außer Wettbewerb. Angefeuert vom ratternden
       Konserven-Rezitativ der russischen Rap-Band „Basta“ gruppieren sich
       kraftprotzende Boys um ein ewiges Feuer aus Kunststoff, reißen die Daumen
       in die Höhe, nehmen Kampfstellungen ein, teilen Luftschläge aus.
       
       Die Augen sind von den Capes bedeckt, die schwarzen T-Shirts mit
       St.-Georgs-Bändchen bedruckt. An die T-Shirts sind gestickte
       Hängetaschen-Orden „Für den Mut“ und tellergroße Stoffmedaillen angenäht.
       Die Vorderseiten der Kurzhosen zieren Baumwollwinkel: „Baltische Flotte
       Russland“, „Pazifische Flotte Russland“, „Innenstreitkräfte Russland“. Auf
       den Hinterseiten sieht man die leuchtenden Ziffern „1941–1945“. Im
       Hintergrund laufen bewegte Bilder aus der Sowjetzeit: der Rote Platz,
       Veteranen mit Blumen, Frontbilder, Kampftechnik, Parteiführer. Und der von
       der Tribüne winkende Stalin.
       
       ## Military kann auch weiblich sein
       
       Zehn patriotische Kollektionen des Landes sind durch. Den Hauptpreis –
       100.000 Rubel – gewinnt die T-Shirt-Serie „Die Heldenstädte“. Gemeint sind
       jene Orte, in denen sich während des Zweiten Weltkrieges große Schlachten
       ereignet haben. Bald werden diese T-Shirts im patriotischen Laden „Die
       Herzen Russlands“ im GUM-Kaufhaus auf dem Roten Platz zu kaufen sein.
       
       Die Mode-Glanzzeitschriften sind zum ersten Mal nicht trendführend, sondern
       legen eher nach. Die russische Vogue-Version filzt internationale
       Modenschauen auf Kleidung und Accessoires im Military Look und kommentiert
       die Ergebnisse wie folgt: „Die Military-Kleidung kann sehr weiblich wirken,
       wenn man ihr ein bisschen Koketterie verleiht.“
       
       Aber nicht alle Modedesigner sind bereit, patriotische Ware auf Bestellung
       zu produzieren. Die junge Modeschöpferin Anna Pogodina, die Inhaberin der
       bereits etablierten Marke „Ann Weather“, hat die Teilnahme am Wettbewerb
       abgesagt. „Ich liebe mein Land und finde den Personenkult um führende
       Politiker gar nicht so schlecht, so etwas gibt es andernorts auch. Was mich
       stört, ist die Ausführung. Mir fehlen da Leichtigkeit und Humor, schade,
       dass man bei uns mit so etwas keine Witze machen darf!“, erzählt sie.
       
       „Außerdem werden die patriotischen Aufschriften auf den T-Shirts die
       katastrophale Lage ihrer Produktion nicht verbessern. Sie wollen doch auch
       unterhalb der Gürtellinie etwas tragen. Oder? In ganz Russland gibt es nur
       zwei große Bekleidungsmarken, ’Gloria Jeans‘ und ’Deins‘. Und selbst die
       lassen die Sachen größtenteils in China herstellen. Also wird unser
       Patriotismus in dem Moment zu Ende sein, wo sich die Frage stellt: Sind Sie
       bereit, im Winter barfuß zu laufen oder werden Sie sich doch warme
       europäische Stiefel besorgen?“
       
       ## Studenten fürs Verteidigungsministerium
       
       Patriotismus hin oder her, verdienen lässt sich mit Militärmode
       offensichtlich ganz gut. Nach der Krim-Annexion hat sich die Moskauer
       Hochschule für angewandte Kunst voll den Nöten des
       Verteidigungsministeriums verschrieben. Von Studenten werden
       Militärkleidung, Accessoires und Souvenirs im Military Look erarbeitet.
       „Unser absoluter Hit ist die Altleder-Look-Jacke, die wir nach dem
       legendären sowjetischen Testpiloten Waleri Tschkalow genannt haben.
       Handarbeit, lauter Unikate!“, schwärmt die stellvertretende Rektorin Larisa
       Jegorowa.
       
       Ein anderer Renner seien Holzpuppen-Soldaten aus der Kollektion „Höfliche
       Menschen“. Jegorowa: „Die ersten beiden haben wir an die
       Präsidialverwaltung geschickt, als persönliches Geschenk für Wladimir Putin
       und Dmitri Medwedjew.“ Wie viele andere Russinnen, die Kinder haben, hat
       Jegorowa Verständnis für diejenigen, die nicht zum Armeedienst gehen
       wollen. „Gerade für diese Jugendlichen ist das Tragen von Militärkleidung
       eine gute Möglichkeit, doch noch zum Mainstream zu gehören“, findet sie.
       
       „Sofakrieger“ heißt das neue russische Phänomen. So nennt man junge
       Wehrpflichtige, die mit allen Mitteln versuchen, sich vor dem Armeedienst
       zu drücken. Daheim besprechen sie eifrig Nachrichten von der
       ostukrainischen Front, tauschen im Netz militärische Ratschläge und
       Armeewitze aus und posten neueste Camouflage-Outfits.
       
       ## Putins grüne Männchen
       
       Für großes Aufsehen sorgte Ende März die größte Modenschau Osteuropas, die
       Moskauer „Mercedes-Benz Fashion Week“, wo Putins grüne Männchen
       aufmarschierten. Ausschließlich männliche Models in Sturmhauben-Sweatshirts
       mit Aufschriften wie „Höflichkeit nimmt Städte ein“ waren vom Designer
       Leonid Aleksejew für seine neue Kollektion unter dem Brand „Die Armee
       Russlands“ kreiert.
       
       Vor zehn Jahren hatte er mit seiner Debütkollektion „Ultimatum – amor
       vincit omnia“ erstmals von sich reden gemacht. Seit einem halben Jahr
       leitet er nun das Designbüro des Verteidigungsministeriums und sorgt für
       ein neues Image der russischen Armee: „Ich helfe unserer Armee, anziehend
       zu wirken. Das ist meine persönliche Form von Patriotismus“, sagte
       Aleksejew kürzlich in einem Interview.
       
       Es ist Samstagnachmittag im Store „Technik für Jugend“ im Kinderkaufhaus
       auf dem Lubjanka-Platz. Es ist proppenvoll. Der Laden ist spezialisiert auf
       Panzer- und Jagdflugzeugmodelle und bietet die russlandweit größte Auswahl.
       Zu erstehen ist zum Beispiel eine Miniatur-Kopie der Flugabwehrrakete
       C-300, die Russland trotz der Beanstandungen des Westens und Israels nun
       doch nach Iran liefern wird.
       
       Oder die des Flugabwehrraketensystems BUK, mit welchem vermutlich die
       Malaysia Airlines MH17 über der Ostukraine abgeschossen wurde. Auf die
       Frage, wozu denn die Kinder wissen müssen, was ein BUK sei, antwortet der
       Verkäufer, es sei heutzutage für heranwachsende Generationen eine Pflicht,
       die eigene Militärgeschichte zu kennen, „Kriege gab es leider immer schon.
       Und die Russen waren immer schon Patrioten.“
       
       Der durchschnittliche russische TV-Patriot weiß nicht unbedingt, was sich
       bei ihm um die Ecke tut, dafür aber umso mehr, wie es um die „mordende
       Junta in Kiew“ steht. Zwar wächst laut Befragungen, gerade unter
       Jugendlichen, die Zahl der TV-Abstinenzler ständig, noch sind sie aber eher
       Ausnahme. Die absolute Mehrheit bleibt auch nach und zwischen den
       Nachrichten an die Bildschirme gekettet: Agententhriller, Mafia-Seifenopern
       und Kriegsblockbuster.
       
       Der Umgang mit Waffen und Schutzmasken gehört wieder zum Schulprogramm,
       genauso wie Politische Information und Patriotische Erziehung. Zu einer
       gruseligen Donbass-Show, die in Moskau vor einigen Wochen geboten wurde,
       pilgerten bei freiem Eintritt ganze Familien, um sich blutüberströmte
       Opfernachbildungen und kugeldurchlöcherte Lasterwracks aus der Ostukraine
       anzugucken.
       
       Krieg ist in Russland salonfähig geworden. Normal. In den patriotischen
       Foren wird man fündig, wenn man wissen will, warum der Militär-Look unter
       Jugendlichen so populär ist: „Ich glaube, das ist eine Reaktion auf das
       Weltgeschehen. Eine Art Projektion, Informationsbearbeitung.
       
       Mode ist eine öffentliche Erscheinung, unser kollektives Unterbewusstsein,
       da erlebt man immer wieder Überraschungen“, schreibt Wera Roschtschupkina
       in ihrem Blog. „Ich glaube, es ist eine Art psychologische Abwehrreaktion.
       Wir haben sie im Blut: Unsere Großväter haben gekämpft, unsere Urgroßväter
       und Ururgroßväter … Im Grunde haben wir nie etwas anderes getrieben, als
       uns zu verteidigen. Und aufgepasst: In den letzten Kollektionen fehlt die
       Camouflage gänzlich! Wir verstecken uns nicht mehr. Wir spielen und
       lachen.“
       
       (Übersetzt von Irina Serdyuk)
       
       17 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR T. Dwornikowa
   DIR R. Oscharow
   DIR J. Kajafa
       
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