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       # taz.de -- Urteil Hamburger Gefahrengebiete: Links sein ist kein Grund für Kontrolle
       
       > Die Hamburger Polizei darf in Gefahrengebieten nicht willkürlich Personen
       > durchsuchen, sagt ein Gericht. Doch das Urteil ändert wenig.
       
   IMG Bild: Demonstranten und Polizisten rangeln im Juli 2008 vor der Roten Flora miteinander.
       
       BERLIN taz | Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hält die Einrichtung von
       Gefahrenzonen durch die Polizei für verfassungswidrig. Das teilte das
       Gericht am Mittwoch mit. Die Richter gaben einer Bewohnerin des Hamburger
       Schanzenviertels recht, die in der Nacht zum 1. Mai 2011 von der Polizei
       kontrolliert wurde. Ihr Rucksack wurde durchsucht, außerdem erhielt sie ein
       Aufenthaltsverbot und wurde bis früh morgens in Gewahrsam genommen.
       
       Das Gericht stellte im Berufungsverfahren fest, dass nicht nur die
       Ingewahrsamnahme der Hamburgerin und das Aufenthaltsverbot rechtswidrig
       gewesen seien, sondern auch die Kontrolle der Identität und des Rucksacks.
       Die Frau sei von den Beamten ausgewählt worden, weil sie dem „linken
       Spektrum“ angehören könnte, hieß es in der Pressemitteilung – ein
       Kriterium, das unzulässig sei.
       
       In der Walpurgisnacht 2011 befürchtete die Polizei, die Lage könnte
       eskalieren. Elf Polizisten wurden in jener Nacht in Hamburg bei
       Maikrawallen verletzt. Dennoch entschied das Oberverwaltungsgericht, dass
       die Regelung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.
       
       Die Voraussetzungen für ein Gefahrengebiet sind laut den Richtern unklar.
       Die Polizei entscheidet allein, ob und wie lange eine solches Gebiet
       ausgwiesen wird. Ein weiteres Problem: Die Gefahr bleibt abstrakt. Die
       Belastung, die mit dieser Strategie verbunden ist, sei nicht angemessen, so
       das Gericht.
       
       ## „Schärfstes Gesetz Deutschlands“
       
       Gefahrengebiete sind eine Hamburger Besonderheit. CDU-Innensenator Udo
       Nagel hatte sie 2005 eingeführt. Er freute sich damals über „das schärfste
       Polizeigesetz Deutschlands.“ Die Polizei bekommt durch die Regelung
       Sonderrechte: Personen dürfen kontrolliert werden, ohne dass eine konkrete
       Gefahr oder auch nur ein Verdacht vorliegt.
       
       Bundesweit wurde die Regelung damals scharf kritisiert, weil sie zu noch
       mehr Gewalt führen könnte – vor allem als sie im Januar 2014 eingesetzt
       wurde, um die Demonstrationen für das autonome Kulturzentrum „Rote Flora“
       unter Kontrolle zu halten. Die Stadtviertel St. Pauli, das Schanzenviertel
       und Teile Altonas wurden zu gefährlichem Terrain erklärt, zur größten
       Gefahrenzone bislang.
       
       Gefunden hat die Polizei damals bei fast 1.000 Kontrollen eher wenig. Die
       Hamburger Linke [1][veröffentlichte eine Liste] der Polizei: 19 Böller
       wurden konfisziert, zwei Knüppel, ein Schlagstock, Pfefferspray, ein
       Taschenmesser und wenige weitere Gegenstände.
       
       Das Urteil ist lediglich ein Hinweis des Gerichts, das die geltende
       Rechtslage nicht ändert. Dies könnte nur das Verfassungsgericht in
       Karlsruhe tun. Die Hamburger Gesetzgebung bleibt deshalb fürs erste
       unverändert, die Polizei darf weiterhin Gefahrenzonen ausweisen.
       
       13 May 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.grundrechte-kampagne.de/aktuelles/neuordnung-des-gefahrengebietes-und-datenerfassung
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Viktoria Morasch
       
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