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       # taz.de -- Justizfarce in der Türkei: Vier Staatsanwälte entlassen
       
       > Ihre Korruptionsermittlungen führten 2013 zur Festnahme von 60
       > regierungsnahen Personen. Die Entlassungen sprechen rechtsstaatlichen
       > Prinzipien Hohn.
       
   IMG Bild: Protest gegen die AKP im Dezember 2013: DemonstrantInnen fordern Erdogans Rücktritt
       
       ISTANBUL taz | Mit der Entlassung von vier Staatsanwälten und einem Richter
       fand gestern eine Affäre ihren vorläufige Schlusspunkt, die im Dezember
       2013 die Türkei erschüttert hatte.
       
       Damals hatte ein Team von Sonderermittlern, zu denen die vier jetzt
       gefeuerten Staatsanwälte gehörten, im Rahmen umfangreicher
       Korruptionsermittlungen mehr als 60 Personen festnehmen lassen, die alle
       zum Dunstkreis der Regierung von Tayyip Erdogan gehörten. Unter ihnen waren
       Söhne amtierender Minister, Funktionäre und Geschäftsleute, die zumeist
       alle mit Erdogan persönlich gute Kontakte hatte.
       
       Die Ermittlungen führten zwar dazu, dass die vier betroffenen Minister
       zurücktreten mussten, ansonsten aber ließ Erdogan mit aller Macht die
       weiteren Ermittlungen unterdrücken. Der damalige Ministerpräsident und
       heutige Präsident der Türkei ging sofort in die Offensive und bezeichnete
       die Korruptionsermittlungen als einen „Putschversuch“ gegen ihn.
       
       Der Hintergrund dieses Vorwurfes ist, dass zu mindestens ein Teil der
       Staatsanwälte und auch der Polizisten, die in die Ermittlungen eingebunden
       waren, Anhänger der islamistischen Gülen-Sekte waren – einer Bewegung, mit
       der die AKP Regierung jahrelang eng zusammen gearbeitet hatte und deren
       Guru, Fethullah Gülen, seit Jahren in den USA lebt. Monate zuvor war es zu
       ersten Auseinandersetzungen zwischen der [1][„Cemaat“, der „Gemeinde“], wie
       die Gruppe in der Türkei genannt wird, und der Regierung gekommen. Man
       munkelte, die Cemaat sei Erdogan zu mächtig geworden.
       
       ## Weitverbreitete Korruption
       
       Das Problem ist die Vermischung zwischen den Korruptionsermittlungen und
       dem Machtkampf zwischen einer islamistischen Sekte und einer islamischen
       Regierung. Die Korruptionsbelege, die im Zuge der Affäre an die
       Öffentlichkeit kamen, waren erdrückend. [2][Abgehörte Telefonate], Koffer
       voller Bargeld und Gefälligkeitsgenehmigungen für große Bauprojekte hat es
       zweifellos gegeben und gibt es ziemlich sicher nach wie vor. Die Korruption
       innerhalb der AKP-Regierung ist weit verbreitet. Genauso stimmt es aber
       auch, dass die konzertierte Aktion der Sonderstaatsanwälte im Dezember 2013
       sicher kein Zufall war, sondern ein Paukenschlag im innerislamistischen
       Machtkampf.
       
       Und der dauert bis heute an. Gnadenlos lässt [3][Erdogan seitdem den
       gesamten Staatsapparat nach tatsächlichen und vermeintlichen
       Gülen-Anhängern durchleuchten]. Ständig werden Leute versetzt, gefeuert
       oder gar festgenommen, denen man vorwirft, sie seien Anhänger der
       „Parallelstruktur“, wie die Gülen-Bewegung von Erdogan und seinen Leuten
       jetzt genannt wird.
       
       Ironisch ist, dass einer der jetzt gefeuerten Staatsanwälte, Zekeriya Öz,
       wenige Jahre zuvor der gefürchtete und verhasste Hauptankläger in den
       sogenannten „Ergenekon Verfahren“ war. Die Erdogan-Regierung ließ von 2008
       bis 2011 hunderte Militärs, Kemalisten und Intellektuelle anklagen, die in
       scharfer Opposition zur AKP standen. Genauso wie damals von Öz und anderen
       mit manipulierten Beweisen und fingierten Vorwürfen gearbeitet wurde,
       spricht seine jetzige Entlassung allen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn.
       Gewinnt die AKP die in knapp vier Wochen anstehenden Parlamentswahlen
       erneut, wird der Willkürstaat wohl endgültig festgeschrieben.
       
       13 May 2015
       
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