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       # taz.de -- Lügen und Politikverdrossenheit: Sag jetzt nix, ich weiß Bescheid
       
       > Kann man denn niemandem mehr trauen? Unehrliche Kanzleramtsminister und
       > politikverdrossene Bremer zeigen: Die Lüge gehört zu Deutschland.
       
   IMG Bild: Was bitte? DASKANZLERAMTHATGELOGEN?
       
       Nun stimmt es natürlich: Was haben die uns unverblümt beschissen und
       belogen. Ein Abkommen haben sie uns versprochen, in Buchstaben: Abkommen.
       Und dann sollte endlich dies und das geregelt werden: Dass die Amis die
       Deutschen nicht mehr so bespitzeln zum Beispiel („No Spy“) oder dass sie es
       zumindest nicht mehr gar so offiziell tun. Damals, im Wahlkampf 2013 kurz
       nach Beginn der Snowden-Enthüllungen, behauptete die ansonsten in
       Überwachungsfragen gelangweilte deutsche Bundesregierung zur allgemeinen
       Lageberuhigung, die US-Seite hätte ein solches Abkommen angeboten. Das war
       gelogen. Was bitte? DASKANZLERAMTHATGELOGEN?
       
       Wir werden daraus Schlüsse ziehen müssen.
       
       Denn hängt das nicht mit dieser ganzen Politikverdrossenheit zusammen? In
       Bremen ging gerade wieder niemand mehr zur Wahl, und wenn doch, dann um wie
       immer den Spitzenkandidaten der SPD zu wählen, der – Deckname Böhrnsen –
       zwar am Sonntag noch Bürgermeister werden wollte, aber am Montag plötzlich
       doch nicht mehr – obwohl er bei der Wahl zwar die meisten Stimmen erhalten
       hat, aber für seinen Geschmack offenbar noch nicht genügend. Jetzt wird da
       bestimmt irgend so ein Sozi Bürgermeister, den allerdings niemand dazu
       wählen konnte. Ja werden wir denn eigentlich nur noch verarscht?
       
       Es hat sich, historisch betrachtet, als heilvolle Erfahrung erwiesen, davon
       auszugehen.
       
       „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“
       
       „Es war die Hand Gottes.“
       
       „I did not have sexual relations with that woman.“
       
       „Ich habe niemals gedopt.“
       
       „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“ 
       
       Oder auch einfach: „Nein.“ 
       
       Selbst die wunderbarsten Lügen der Welt beweisen: Selten war es für die
       Belogenen wirklich überraschend, als sich später einmal herausstellte, dass
       sie betuppt worden waren. War es nicht immer schon die Lüge, die wir scharf
       verurteilten, aber die Notlüge, die wir dann doch klammheimlich
       tolerierten?
       
       Die Notlüge ist eine Institution. Politisch ist sie geachtet. Sie gehört
       zum rituellen Kern der politischen Kommunikation. Das Schöne an ihr: Jeder
       weiß um sie.
       
       Dass etwa Schulden, wie es eine linke Lebenslüge („Theorie“) sagt, dadurch
       bekämpft werden können, noch mehr Schulden zu machen, ist solch eine
       politische Notlüge. Unfug, aber nützlich.
       
       Nun genießt ausgerechnet in diesen Tagen, in denen so viel Schleierhaftes
       publik wird (Selektorenlisten, Sturmgewehre und so), die Lüge keine
       besondere Popularität. Das liegt vorwiegend daran, dass quasi täglich
       Kanzleramtsminister ihrer überführt werden.
       
       Das hat ja durchaus auch eine gute Funktion. Wenn Lügenbolde in der Politik
       ertappt werden, finden viele Menschen ja durchaus Gefallen an der doch
       funktionierenden Demokratie. Aber im Ernst: Darf denn heute wirklich noch
       jemand schwer überrascht tun, dass der Bundesregierung das Zustandekommen
       eines sogenannten No-Spy-Abkommens schon damals genauso schnuppe war wie
       heute? Und dass die SPD in Bremen die Armut bekämpfen will, die sie seit 69
       Jahren mit verursacht – eine Neuigkeit?
       
       Wie sehr sich ein Völkchen verschaukeln lässt, hat nicht nur mit dem Mut
       des Lügners, sondern stets auch mit dem Völkchen zu tun. Und so, wie wir
       heute mal glauben mögen, man könne den Kapitalismus mit dem Keynesianismus
       besiegen, so glaubt wohl die Mehrheit der Deutschen auch, dass Angela
       Merkel nur aus den richtigen Gründen ein bisschen schummeln wird. Das ist
       zwar falsch, aber immerhin nicht gelogen.
       
       12 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Kaul
       
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