URI: 
       # taz.de -- 70 Jahre Kriegsende in Russland: Wladimir Putin fast allein zu Haus
       
       > Den Feierlichkeiten in Moskau am 9. Mai, dem Tag des Sieges, bleiben hohe
       > Repräsentanten westlicher Staaten fern. Grund: Der Krieg in der Ukraine.
       
   IMG Bild: Generalprobe für die Militärparade am 9. Mai in Moskau.
       
       MOSKAU taz | Die Vorbereitungen für den 9. Mai, den Tag des Sieges, laufen
       in Russland schon seit Wochen auf Hochtouren. Die Symbole des wichtigsten
       russischen Feiertags sind seit langem überall präsent.
       
       Auch das braunorange Sankt-Georgs-Bändchen, das heute den Triumph über
       Hitlerdeutschland symbolisiert, trat in den letzten Jahren einen
       rauschenden Siegeszug an: Es weht von Autoantennen, ziert Handtaschen,
       klebt an Metrowaggons, grüßt großflächig von Hauswänden und schmückt
       Preisschilder und offizielles Briefpapier. Selbst die Crew auf der
       ISS-Weltraumstation sollte auf die bindende Kraft des gestreiften Bändchens
       nicht verzichten, die fehlgeleitete Progress-Rakete hatte für die
       Kosmonauten welche an Bord.
       
       Der 9. Mai wird auch in diesem Jahr ausgelassen gefeiert. Doch bleibt
       diesmal eine Reihe von Gästen fern, die der Kreml gerne bei der Parade auf
       dem Roten Platz gesehen hätte. Nicht zuletzt plant Moskau eine Waffenschau,
       die der Welt seine wiedererlangte Stärke und kompromisslose
       Verteidigungsbereitschaft demonstrieren soll.
       
       Die Führungsriege des Landes erweckt zwar den Eindruck, als ließe sie sich
       von den Absagen aus dem Westen nicht beeindrucken, doch die Gelassenheit
       täuscht. Wenn Kremlchef Wladimir Putin oder Außenminister Sergej Lawrow
       sich dazu äußern, dann ist ein eingeschnappter Unterton nicht zu überhören.
       Jeder Staat habe selbst über eine Teilnahme zu entscheiden, sagte Putin.
       
       Wegen der Annexion der Krim und der russischen Intervention im ukrainischen
       Donbass haben die Regierungschefs der meisten EU-Staaten die Teilnahme an
       der Parade abgesagt. 68 ausländische Staats- und Regierungschefs lud Moskau
       zu den Feierlichkeiten ein. Mit viel Glück dürften es am Ende rund 20
       Vertreter werden. Darunter die Präsidenten der abtrünnigen georgischen
       Republiken Abchasien und Südossetien, denen die internationale Gemeinschaft
       die Anerkennung verwehrt. Die Ränge zu füllen, ist diesmal keine leichte
       Aufgabe. Um dem Eindruck vorzubeugen, Russland feiere alleine, bat der
       Kreml noch Vertreter aus Lesotho und Kap Verde dazu.
       
       ## Der Besiegte spurt nicht richtig
       
       Weder US-Präsident Barack Obama noch Großbritanniens David Cameron oder
       Frankreichs Präsident Francois Hollande nehmen teil. Kein Repräsentant der
       Alliierten der Anti-Hitler-Koalition wird vor Ort sein. Auch der Besiegte
       spurt nicht richtig. Am vergangenen Mittwoch legte Walter Steinmeier im
       ehemaligen Stalingrad mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow einen
       Kranz nieder.
       
       Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft erst am 10. Mai zu einem kurzen Halt
       in Moskau ein, um mit Wladimir Putin am Grab des unbekannten Soldaten einen
       Kranz niederzulegen. Sie will damit dem Einwand des russischen Vertreters
       bei der EU Wind aus den Segeln nehmen. Wladimir Tschischow hatte von einer
       „anstößigen Kampagne“ gesprochen, mit der die fernbleibenden Politiker „das
       Gedenken an jene sowjetischen Soldaten beleidigen, die im Krieg gegen den
       Faschismus gefallen sind“.
       
       Genau das wollte die Kanzlerin vermeiden. Sie wird der Rolle und dem hohen
       Blutzoll der Roten Armee bei der Befreiung Deutschlands Rechnung tragen,
       ohne sich vom Kremlchef vor den Wagen seiner Interventionspolitik spannen
       zu lassen.
       
       Offiziell schlägt die russische Propaganda den Bogen vom antifaschistischen
       Kampf gegen den Nationalsozialismus bis hin zum Widerstand gegen die
       vermeintliche „faschistische Junta“ in der Ukraine. Die Vermengung von
       Vergangenheit und Gegenwart ist eine bewusste Methode russischer
       Propaganda. Wer will, könnte aus einer Teilnahme an der Parade auch ein
       Quäntchen Berechtigung für das russische Aufrüstungsbestreben und die von
       Moskau behauptete Bedrohung herauslesen.
       
       ## Tsipras könnte kommen
       
       Aus der EU sagte bislang nur Zyperns Präsident Nikos Anastasiades zu, die
       Bestätigung des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras steht noch
       aus. Ein wenig überrascht, dass scheinbar auch der nationalkonservative
       ungarische Regierungschef Victor Orban der Veranstaltung fernbleiben
       könnte. Moskaus politische Führung hat für die Absagen eine einfache
       Erklärung parat: Druck aus Washington.
       
       Dem schloss sich auch der sowjetische Ex-Präsident, Michail Gorbatschow,
       an. Für die Tourplanung Merkels seien die USA verantwortlich, meinte er am
       Donnerstag.
       
       In der vergangenen Woche sagte auch Kim Jong Un die Reise ab. Dies sei
       jedoch nicht auf ausländische Intervention zurückzuführen, dementierte der
       Kreml. Kim Jong Un hätte die Fantasien über Russlands propagierte Wende
       Richtung Asien noch etwas beflügeln können.
       
       Mächtigster Staatsgast auf der Parade dürfte nun der chinesische Präsident
       Xi Jinping sein. Auch die Teilnahme der Kollegen aus Indien und Südafrika,
       die wie China und Russland zum Zusammenschluss der aufstrebenden
       BRIC-Staaten gehören, sorgte in Moskau für spürbare Erleichterung.
       
       Je isolierter der Kremlchef dasteht, desto wichtiger ist es für ihn, sich
       zuhause als international einflussreicher Politiker zu präsentieren, der im
       Kreise der Mächtigen nach den außenpolitischen Beutezügen noch mehr Gehör
       findet. Nachdenklich müsste den Kreml unterdessen die Haltung des
       weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko stimmen. Der enge
       Verbündete schwänzt die Parade mit dem Hinweis, er müsse in Minsk eine
       eigene abnehmen. Russlands Image leidet darunter, dass das Bild des
       „Befreiers“ in letzter Zeit wieder um Schattierungen reicher geworden ist.
       
       8 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
   DIR Wladimir Putin
   DIR Moskau
   DIR Russland
   DIR Russland
   DIR Russland
   DIR 70 Jahre Befreiung
   DIR Russland
   DIR Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
   DIR Konzentrationslager
   DIR Russland
   DIR Milos Zeman
   DIR Litauen
   DIR Wladimir Putin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Erinnerungskultur in Russland: Skandal um Kriegsdenkmal
       
       Dumm gelaufen: Vaterlandsverteidiger in Tobolsk ist ein deutscher Soldat
       und trägt einen Helm der Wehrmacht. Nun wurde die Skulptur abmontiert.
       
   DIR Russische Nachbarschaftspolitik: Breitseite gegen die Balten
       
       Russlands Generalstaatsanwalt soll prüfen, ob die
       Unabhängigkeitserklärungen Estlands, Lettlands und Litauens 1991 rechtens
       waren. ​
       
   DIR Historiker über 70 Jahre Kriegsende: „Stalin hasste die Frontkämpfer“
       
       Der „Tag des Sieges“ war nicht immer der wichtigste Feiertag Russlands.
       Historiker Nikita Sokolow über die Kultur des Erinnerns, Glanz von Paraden
       und Stalins Ängste.
       
   DIR Feier zu 70 Jahren Kriegsende: Putins protzige Parade
       
       Mit Panzern auf Partnersuche: Russland zeigt in der größten und teuersten
       Parade seit Ende der Sowjetunion neueste Militärtechnik.
       
   DIR 70 Jahre Kriegsende: Moskau und Peking Seite an Seite
       
       Russland und China zelebrieren Eintracht. Doch die Freundschaft ist
       brüchig. Vor allem Chinas zunehmende wirtschaftliche Dominanz behagt Moskau
       nicht.
       
   DIR Weltkriegsende: Die Krux mit dem Gedenken
       
       Der 8. Mai ist als "Tag der Befreiung" Anlass für viele Gedenkfeiern.
       Welcher Opfer gedacht werden soll, und wie das auszusehen hat, darüber
       scheiden sich die Geister.
       
   DIR Gedenken am 8. Mai: Tag des Sieges und der Niederlage
       
       Viele Polen haben den Eindruck, heute vermehrt an allen Fronten kämpfen zu
       müssen. Gegen Russland, Deutschland und Geschichtsrevisionisten.
       
   DIR Präsident mit Reiseverbot: Milos Zeman muss erst fragen
       
       Der tschechische Präsident darf nicht zum Moskauer Gedenken ans Kriegsende
       reisen. Die Regierung in Prag verweigert ihm den Ausflug.
       
   DIR Siegesfeier zum 2. Weltkrieg: Keiner will die Nachtwölfe haben
       
       Nach Polen verweigert nun auch Litauen dem russischen Rockerclub Nachtwölfe
       die Durchreise. Der Kreml übt indes Druck auf beide Länder aus.
       
   DIR Russischer Biker über NS-Gedenken: „Wir verteidigen uns gegen Satan“
       
       Der Präsident des Rockerclubs „Nachtwölfe“ über eine Bikerreise von Moskau
       nach Berlin zum Jahrestag des Kriegsendes 1945.