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       # taz.de -- Maler des Jahrhunderts: Grüße an den Überkünstler
       
       > In den Hamburger Deichtorhallen läuft die Ausstellung „Picasso in der
       > Kunst der Gegenwart“, die ohne ein einziges Original auskommt.
       
   IMG Bild: Der Heilige Geist der modernen Kunst schwebt in den Deichtorhallen.
       
       HAMBURG taz | Zwei Jahre lang wurde die ehemalige große Markthalle am
       Hamburger Deichtor für 16 Millionen Euro saniert und auf internationalen
       Museumsstandard gebracht. Jetzt sind die Bauarbeiten abgeschlossen und die
       Ausstellung „Picasso in der Kunst der Gegenwart“ läuft. Das klingt erst
       einmal sehr nach Lockruf mit einem großem Namen. Doch Dirk Luckow, der
       Leiter der Deichtorhallen, bezeichnet Picasso als „Jahrhundertgenie“,
       dessen Malerei und künstlerischer Individualismus sich bis heute nicht
       verbraucht hätten.
       
       Die 200 Arbeiten von 87 Künstlern, die sich allesamt auf den Großmeister
       beziehen, scheinen das klar zu bestätigen. Aber Picasso und manche seiner
       berühmten Werke sind längst schon Klischee.
       
       Dieser spanisch-französische egomane Künstler-Macho in seiner singulären
       Spezifik ist Allgemeingut geworden: eine Marke, ein Synonym für Kunst an
       sich. Niemand ist für so viele so sehr der Inbegriff des Künstlers. Das
       liegt auch daran, dass kaum ein anderer Künstler so sehr für
       unerschöpfliche Kreativität steht. Der Mann, der sagte, „Ich suche nicht,
       ich finde!“, hat ohne theoretische Konzepte stets in allen Stilen und
       Methoden produziert.
       
       Er war kreativ und destruktiv, kunsthistorisch gebildet suchte er die
       klassische Form, aber er war genauso auch wild, emotional und primitiv. Es
       gibt nicht den einen Picasso, stets wirkt immer nur eine Facette seines
       Lebens und seines Werkes.
       
       Die Künstlergruppe Art & Language hat 1980 versucht, den kommunistischen
       Maler von „Guernica“ und den überschwänglich emotionalen Genussmenschen,
       die Propaganda und die Abstraktion zusammenzubringen: Herausgekommen ist
       „Picassos Guernica in the Style of Jackson Pollock“, ein
       Action-Dripping-Bild mit den Grundlinien des Anti-Kriegsbildes. Überhaupt
       ist es immer wieder dieses besondere Bild und seine Geschichte, das die
       Jüngeren zu Kommentaren reizt.
       
       Robert Longo hat extra für die Ausstellung in den Deichtorhallen eine
       Großkopie erstellt, diese aber teilweise abgedeckt mit schwarzen Balken,
       die den Zugang verstellen und zugleich die Betrachter in die Situation
       hinein spiegeln. Thomas Zipp hat in seiner Variation das Bild von Personen
       und Tieren entleert und zeigt eine auf bloße Formen und leere Sprechblasen
       minimalisierte Fassung. Goshka Macuga erinnert in ihrer großen Installation
       daran, dass Guernica als Wandteppich-Reproduktion im Sicherheitsrat der
       Vereinten Nationen hängt – die ultimative Karriere einer weiterhin
       wirksamen Ikone: Als der damalige US-Außenminister Colin Powell 2003 zum
       Irak-Krieg aufrief, wurde sie mit einem blauen Vorhang verhüllt.
       
       Das Aufbrechen des malerischen Bildraums in der picassoesken Variante des
       Kubismus ist ein weiteres Unterthema der Ausstellung, die konsequent darauf
       verzichtet, auch nur ein Original von Picasso zu zeigen. Penk und Strawalde
       etwa stehen für die Rezeption in der DDR, in der Bücher über den
       kommunistischen Genossen aus formalen Gründen im Giftschrank standen. Zu
       sehen ist auch so manche Fotografie aus Picassos Umfeld und die erneut
       inszenierten Nachstellungen: So stellen Yasumasa Morimura und Zhou Tiehai
       das Foto mit den Croissant-Fingern nach, das Robert Doisneau 1952 von
       Picasso machte. Und Sandro Miller inszeniert den Hollywood-Schauspieler
       John Malkovich in der Pose des verschattet unter dem Hut nur ein Auge
       zeigenden, ikonischen Porträts von Irving Penn. Auch das deutsche
       Lieblings-Enfant-Terrible Kippenberger hat sich in Unterhose als Picasso
       abbilden lassen und auch Jonathan Meese lässt die Pinsel nicht vom großen
       Übervater. Nach so viel Ironie und Appropriation werden die Sichtweisen der
       Frauen auf den ausbeuterischen Macho nicht vergessen und die Tränen der
       Dora Maar gewürdigt.
       
       Es ist erstaunlich, dass es diese zweieinhalb Jahre vorbereitete
       Ausstellung noch nicht vorher gegeben hat. Wirkungsgeschichten werden
       kunsthistorisch sonst gerne bearbeitet. Auch das Lernen von Vorbildern, das
       Kopieren und Imitieren, das Zitieren und ironische Posieren ist in der
       traditionell durch Meister-Schüler-Verhältnisse geprägten Kunstausbildung
       und im Aufgreifen medial präsenter Vorbilder im Copy & Paste-Verfahren
       durchaus Thema.
       
       ## Alle sind Picassos Schüler
       
       Picasso hatte keinen speziellen Schüler. Man kann aber sagen, dass
       irgendwie alle seine Schüler geworden sind. Doch niemand wagt es, sein Werk
       ganz dem Meister zu widmen. So findet die Ausstellung auch keinen
       hundertprozentigen Adepten, sondern zeigt intelligent und bunt versammelt
       zahlreiche, mitunter eher für die jeweiligen Künstler nur periphere
       Referenzen, die zusammengenommen das Universum Picasso spiegeln, vielleicht
       auch erst als solches konstruieren.
       
       Auf dem Kunstmarkt werden Picasso-Originale inzwischen mit eigentlich
       unbezahlbaren Millionenbeträgen gehandelt. Warum soll man sich die
       gewünschten Bilder also nicht selbst malen? Das wäre ganz in Picassos
       Sinne. Sein „Aneignungsfanatismus“, wie Dirk Luckow von den Deichtorhallen
       es formuliert, hat ihn zu andauernd produzierender Beschäftigung mit vielen
       großen Künstlern vor ihm geführt: Velasquez, Cranach, Rembrandt, El Greco
       oder Manet, um nur einige wenige zu nennen. In der Phase der Entwicklung
       des Kubismus gab es sogar einen direkten malenden Dialog mit Georges Braque
       oder Juan Gris.
       
       Warum soll man sich also nicht mit dem Übervater der Kunst in deutlich
       erkennbarer Weise konfrontieren und zumindest einmal auch im eigenen Werk
       eine künstlerische Aneignung des Stils oder der Haltung Picassos wagen?
       Marcel Duchamp hätte einen solchen Einfluss. Seine Konzepte begründen fast
       alle aktuelle Kunst, die sich nicht gerade auf Joseph Beuys bezieht. Und
       dann sind da noch die Surrealisten für die Traumdeuter und ihre Freunde.
       Aber Picasso bleibt der monumentale Maler-Löwe.
       
       Bei so viel Weltkunst bietet die Ausstellung auch einen lokal-historischen
       Bezug: Fritz Fenzl hat 1956 in der großen Hamburger Picasso-Ausstellung in
       der Kunsthalle, in der sogar das Original von „Guernica“ zu sehen war, die
       Betrachter beim Betrachten fotografiert. Das betont noch einmal: Das Spiel
       geht weiter. Es sollte den Besuchern und Betrachtern auch jetzt ein
       Vergnügen sein, ebenso wie die Künstler mit den verschiedenen
       Kunstbegriffen und Kunstoptionen zu jonglieren. Und man muss es dem großen
       Meister dabei nicht recht machen: Jede halbwegs begründbare Assoziation
       nährt den Mythos. Denn nur wer so sehr im Gespräch bleibt, wie Picasso,
       bleibt unsterblich.
       
       ## „Picasso in der Kunst der Gegenwart“: noch bis zum 12. Juli, Di bis So,
       11 bis 18 Uhr, Deichtorhallen, Deichtorstraße 1, Hamburg
       
       8 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hajo Schiff
       
       ## TAGS
       
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