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       # taz.de -- Messe sperrt Sterbehilfe-Verein aus: Worüber geschwiegen werden muss
       
       > Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben darf nicht an einer
       > Fachmesse Ende der Woche in Bremen teilnehmen. Das hat die Evangelische
       > Kirche durchgesetzt.
       
   IMG Bild: Kein Stellplatz in Bremen: Lkw der Kampagne "Mein Ende gehört mir! Für das Recht auf Letzte Hilfe" im Oktober 2014 in Berlin
       
       BREMEN taz | Eine Veranstaltung mit dem Titel „Leben und Tod“ scheint so
       ziemlich alles zu umfassen, was Menschen im Allgemeinen betreffen könnte.
       Auf der gleichnamigen Bremer Messe, die am kommenden Freitag beginnt, ist
       das anders: Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) klagt
       darüber, dass ausgerechnet sie von der Teilnahme ausgeschlossen werde.
       Trotz frühzeitiger Anmeldung sei ihr der Aufbau eines Standes nicht
       gestattet worden – ohne nähere Erläuterung. Nachfragen seien unbeantwortet
       geblieben.
       
       Gegenüber der taz bestätigt Messe-Sprecherin Christine Glander die
       Ablehnung: Sterbehilfe sei „nicht das Thema der ,Leben und Tod‘“, erklärt
       sie. „Wir hoffen, dass unsere Besucher die Messe mit möglichst vielen
       Informationen, Hilfsangeboten und vor allem dem tröstlichen Gedanken
       verlassen, dass eine Selbsttötung nicht notwendig ist.“
       
       „Natürlich wollen wir alle so lang wie möglich leben“, sagt nun aber auch
       Evelyne Gläß, die als ehrenamtliche Mitarbeiterin des DGHS den Messestand
       beantragt hat. Es könne eben auch Zustände geben, in denen die
       schmerztherapeutische Versorgung an ihre Grenzen komme: „Wenn jemand seine
       Situation als unaushaltbar erlebt“, so Gläß, „muss er individuell über
       seinen Tod entscheiden können.“ Und dabei seien Menschen möglicherweise auf
       Hilfe angewiesen. Formen von passiver Sterbehilfe – eine aktive lehnt auch
       die DGHS ab – seien auch auf der Messe „Leben und Tod“ präsent. Umso
       weniger begründeter sei da der Ausschluss der als gemeinnützig anerkannten
       DGHS, findet die Aktivistin.
       
       In der Tat befassen sich auf der Messe mehrere Veranstaltungen intensiv mit
       dem Thema Patientenverfügung. Bei ihnen geht es wesentlich um Bestimmungen
       darüber, unter welchen Umständen Patienten lebensverlängernde Maßnahmen
       ablehnen – also passive Sterbehilfe in Form von Behandlungsabbruch fordern.
       
       Während aktive Sterbehilfe in Deutschland unter Strafe steht, ist der
       ärztlich assistierte Suizid gesetzlich keineswegs verboten. Von Medizinern
       wird er allerdings mehrheitlich abgelehnt. So schließt die
       Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer passive Tötungsbeihilfe aus –
       beispielsweise, dass ein Arzt dem Patienten einen Giftcocktail zur
       Verfügung stellt und dann den Raum verlässt.
       
       Innerhalb der Landesärztekammern ist diese Position umstritten. In Berlin
       etwa sind Ärzte nicht in Gefahr, wegen Sterbehilfe ihre Approbation zu
       verlieren, ihre Bremer Kollegen hingegen schon. Doch gerade in Bremen waren
       kürzlich auf einem palliativmedizinischen Kongress Stimmen laut geworden,
       die das Verbot des ärztlich assistierten Suizids scharf kritisieren.
       Kongressleiter Hans-Joachim Willenbrink, Chefarzt der Bremer Klinik für
       Schmerztherapie und Palliativmedizin im Klinikum Links der Weser,
       kritisierte in dieser Frage scharf den Chef der Bundesärztekammer: „Mit
       welchem Recht schwingen Sie die rechtliche Keule über uns Mediziner?“ Eine
       etwaige Suizid-Assistenz, so Willenbrink, müsse die Entscheidung des
       behandelnden Arztes bleiben.
       
       Zu solchen Diskussionen soll es auf der Messe „Leben und Tod“ offenbar
       nicht kommen. Auf anderen Messen hingegen ist die DGHS durchaus vertreten:
       „Solche Absagen wie in Bremen hat es seit zehn Jahren nicht mehr gegeben“,
       sagt Wega Wetzel von der DGHS-Bundesgeschäftsstelle – „im Gegenteil“. Ihre
       Organisation werde häufig zur Teilnahme eingeladen.
       
       Während die DGHS in der Regel auf allgemeinen Senioren-Messen präsent ist,
       trifft sie in Bremen auf eine spezielle Situation: „Tod und Leben“ ist zwar
       eine Eigenveranstaltung der Bremer Messe-Gesellschaft, aber sie hat einen
       Beirat, und den prägen Hospizverbände und kirchliche Vertreter. Deren
       Ablehnung wertet Gläß als „unlautere politische Einflussnahme“. Die Messe –
       als zu Hundert Prozent städtische Gesellschaft – dürfe sich nicht einem
       Beirat beugen, der „eine Minderheitenposition“ vertrete, sagt sie.
       „Minderheit“ insofern, als laut einer Forsa-Umfrage 77 Prozent der
       deutschen Bevölkerung die Möglichkeit einer ärztlichen Suizidassistenz
       befürwortet.
       
       Das kommt nun wohl auch bei der Bremer Messe an. Deren Sprecherin betont
       auf weitere Nachfrage, dass sich die Ablehnung der DGHS nur auf die
       aktuelle Veranstaltung beziehe: „Wir werden über dieses Thema mit unserem
       Beirat im Gespräch bleiben.“
       
       4 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Henning Bleyl
       
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