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       # taz.de -- Film „Fassbinder“: Schnarchende Hunde treten
       
       > Gröber geht's nimmer: Annekatrin Hendel versucht sich an einem Porträt
       > Rainer Werner Fassbinders. Werk und Leben setzt sie umstandslos in eins.
       
   IMG Bild: In „Fassbinder“ erfährt man einiges über sein Liebesleben kaum etwas über Ästhetik und Ideen. Rainer Werner Fassbinder auf einer undatierten Aufnahme.
       
       Bevor Rainer Werner Fassbinder im Juni 1982 starb, hatten die katholische
       Kirche und das Zentralorgan kleinbürgerlicher Anstandswahrung aus dem Hause
       Springer kaum eine Gelegenheit ausgelassen, den Filmemacher wegen seiner
       Lebensweise fertigzumachen. Bisexuell sein und daraus keinen Hehl machen,
       sich ums Steuerzahlen nicht mit der notwendigen Penibilität kümmern, Drogen
       nehmen und dann auch noch fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Serie
       drehen, bei der manche Szenen so dunkel sind, dass man nicht genau erkennt,
       was passiert, das war zu viel für einen Teil der westdeutschen
       Öffentlichkeit.
       
       Je länger Fassbinders Tod zurückliegt, umso weniger Ressentiments löst die
       Vita aus und umso mehr Aufmerksamkeit ziehen die Filme auf sich. Das
       zumindest dachte ich, bis ich „Fassbinder“ sah, ein Filmporträt von
       Annekatrin Hendel, das in dieser Woche ins Kino kommt und den
       Erinnerungsparcours – zum 70. Mal jährt sich am 31. Mai der Geburtstag –
       eröffnet. All das, was der Boulevard zu Lebzeiten des Regisseurs kleffend
       von sich gab, wird hier repetiert, wenn auch in säuselndem Tonfall.
       
       Das Stichwort „Bürgerschreck“ fällt früh, Hanna Schygulla spricht es aus,
       und leitmotivisch bestimmt es, was folgt. Viel erfährt man über Fassbinders
       Liebesverhältnisse und deren Scheitern, über Steuerschulden, Aufputsch- und
       Beruhigungsmittel, so gut wie nichts über Ästhetik, Programm, Ideen,
       politische Positionierungen und die intensive Auseinandersetzung mit der
       deutschen Geschichte.
       
       Frappierend, mit welcher Nonchalance Werk und Leben in eins gesetzt werden.
       Nachdem die Schauspielerin Margit Carstensen „Die bitteren Tränen der Petra
       von Kant“ als unmittelbaren Ausdruck einer unglücklichen Liebschaft des
       Regisseurs interpretiert hat, wird man Zeuge, wie ein Bild aus dem Film in
       eine Zeichnung überführt wird: Die Figur der unglücklich liebenden Petra
       von Kant (Carstensen) verwandelt sich in der Übermalung in Rainer Werner
       Fassbinder, die Figur der mit der Geliebten Katz und Maus spielenden Karin
       (Hanna Schygulla) in Günther Kaufmann.
       
       ## Schneewittchen, deplatziert
       
       Die Filmtitel, auf die Hendel nicht näher eingeht, lässt sie kurz
       einblenden, dazu ertönt aus dem Off Rammsteins „Sonne“, und man ist ratlos:
       Was hat diese martialische Schneewittchen-Bergwerks-Fantasie mit Fassbinder
       zu tun? „In einem Jahr mit 13 Monden“, einer der wichtigsten Filme des
       Regisseurs, bekommt ein bisschen mehr Screentime, aber nur zu einem Zweck:
       um etwas über den Tod von Armin Meier, Fassbinders Geliebtem, zu sagen.
       Dass Meier Fleischer war, ist für Hendel das entscheidende Detail.
       
       Für den Überschuss der dazu gezeigten Schlachthausszene – blutige
       Kalbsköpfe, Rezitationen aus Goethes „Torquato Tasso“, Pumps auf dem
       Kachelboden, eine Mise en Scène, die mit den Blick verstellenden Objekten
       arbeitet – interessiert sich Hendel keine Sekunde.
       
       Die Liste ließe sich fortsetzen – von albernen Lichtspielen, in die sich
       Volker Schlöndorff hineinstellt, über die Weichzeichnereffekte, die den
       Kopf von Hanna Schygulla wie Lichtregie-Botox umfloren, bis hin zu den
       Selbstinszenierungen der Cutterin und Nachlassverwalterin Juliane Lorenz,
       die die mit Fassbinder geteilte Münchner Wohnung nach all den Jahren zum
       ersten Mal wieder betritt und juchzt, als sie Babyausstattung sieht.
       
       Kaum zu ertragen auch die Hast, mit der Hendel durch das Oeuvre rast.
       Einmal etwa wird kurz erwähnt, dass das Gespräch, das Fassbinder in seinem
       Beitrag zum Kompilationsfilm „Deutschland im Herbst“ (1978) mit seiner
       Mutter führt, das Gespräch sei, dass in der Bundesrepublik zwischen den
       Generationen hätte geführt werden müssen, aber nicht geführt wurde. Als
       wären Innehalten, Vertiefen und Reflexion giftige Substanzen, folgen darauf
       sofort eine Szene aus „Die Ehe der Maria Braun“ und, rot darüber geblendet,
       die Jahreszahl 1945.
       
       ## Kontroverse um den Nachlass
       
       Die Rainer Werner Fassbinder Foundation, die von Juliane Lorenz geführt
       wird, hat den Film koproduziert, Lorenz firmiert als Ideengeberin. So nimmt
       es nicht Wunder, dass kontroverse Fragen, die den Nachlass betreffen,
       unberührt bleiben. Im Frühjahr 2007 lancierten 25 Fassbinder-Weggefährten
       rund um Ingrid Caven einen offenen Brief, in dem sie darüber klagten, von
       Lorenz aus der Hege des Erbes herausgedrängt zu werden, und forderten, der
       Nachlass möge an eine öffentliche Einrichtung, eine Kinemathek zum
       Beispiel, übergeben werden. Von den Unterzeichnern des Briefes interviewt
       Hendel keinen.
       
       Ob das alles naiv oder perfide ist, lässt sich nicht mit letzter
       Bestimmtheit sagen. An der Grobheit dieses Films dagegen besteht kein
       Zweifel; um das zu erkennen, hätte es die auf einen billigen Lacher
       zielende Szene gar nicht gebraucht, in der der Tonmann nach den Hunden
       tritt, die unter dem Küchentisch von Margit Carstensen schlafen und
       schnarchend die Aufnahmequalität beeinträchtigen.
       
       29 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cristina Nord
       
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   DIR DDR
   DIR Martin-Gropius-Bau
       
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