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       # taz.de -- Aufschwung: Gut zu tun
       
       > Es gibt wieder mehr Beschäftigung in der Stadt. Erfreulicherweise
       > entstehen nicht nur Minijobs, sondern viele sozialversicherte Stellen.
       > Doch auch da muss man genau hinschauen.
       
   IMG Bild: Der Weg zum Job ist nicht mehr ganz so schwer zu finden wie noch vor einigen Jahren
       
       Es war ein düsteres Bild, das in den vergangenen Jahren vom Berliner
       Arbeitsmarkt gezeichnet wurde. Reguläre Jobs sind in dieser nahezu
       industriefreien Gegend rar, hieß es. Und wenn man schon eine Stelle findet,
       dann meist nur eine befristete. Oder schlecht bezahlte. Überhaupt beute
       sich hierzulande jeder Zweite selbst aus, so das Lamento. Die Unsicherheit
       nehme zu, das Prekariat boome.
       
       Schaut man sich die Zahlen an, stellt man fest: Da ändert sich was. Es gab
       mit 1.804.600 Erwerbstätigen in der Stadt so viel Beschäftigung wie lange
       nicht. Die Arbeitslosigkeit lag im März 2015 bei 11 Prozent. Damit hat
       Berlin die viel zitierte rote Laterne abgegeben und steht im
       Bundesvergleich immerhin nur noch an drittletzter Stelle vor Bremen und
       Mecklenburg-Vorpommern.
       
       Es gibt wieder Arbeit. Und es sind eben nicht nur Minijobs oder
       Selbstständigen-Tätigkeiten, die entstehen. Nach der Jahrtausendwende nahm
       die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ab. Doch bereits
       seit 2006 geht es wieder bergauf: Seitdem kamen fast 200.000 abgesicherte
       Jobs hinzu. Über 1,2 Millionen Berliner haben inzwischen wieder eine solche
       begehrte Stelle.
       
       „Es ist eine gute Nachricht, dass sich das Wachstum vor allem aus
       sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung speist“, freut sich denn auch
       Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die
       Beschäftigungsentwicklung in Berlin sei auch deutlich besser als im Bund.
       Neue Jobs entstünden vor allem im Dienstleistungsbereich, etwa im
       Tourismus. Aber auch soziale Einrichtungen wie beispielsweise Heime würden
       mehr. Das spiegele die Probleme in der Stadt, sagt Brenke. „In Berlin
       arbeiten im Sozialwesen inzwischen genauso viele Menschen wie in der
       Industrie.“
       
       Typisch für Berlin ist auch die große Zahl an Selbstständigen: freie
       Künstler, Grafiker, Drehbuchautoren, Ärzte und Juristen. Über Jahre war der
       Anteil der Selbstständigen an den Erwerbstätigen auf zuletzt 17,3 Prozent
       gestiegen. 2013 sank er erstmals wieder auf 16,8 Prozent. Brenke vermutet,
       dass manche, die nur auf ein geringes Einkommen kamen, die Selbständigkeit
       zugunsten einer abhängigen Beschäftigung aufgegeben haben. „Gerade in der
       Kreativwirtschaft verdienen Selbstständige mitunter kläglich.“
       
       Der Volkswirt stellt auch fest, dass die Zahl der Arbeitenden in Berlin
       stärker gewachsen ist als das Arbeitsvolumen. Das bedeutet: Es gibt mehr
       Menschen, die in Teilzeit arbeiten. Eine zweischneidige Entwicklung: Wer
       etwa die Familie mit den Beruf vereinbaren will, ist auf Teilzeitarbeit
       angewiesen. Wer aber von dem geringeren Einkommen nicht leben kann, für den
       ist eine Teilzeitstelle ein Problem.
       
       Wenn es um zunehmende Unsicherheiten im Job geht, wird oftmals auch auf die
       Befristungen von Arbeitsverträgen verwiesen. Tatsächlich stieg der Anteil
       der zeitlich begrenzten Jobs in Berlin von 12,6 Prozent im Jahr 2000 auf
       16,3 Prozent im Jahr 2009. Doch seitdem entwickeln sich die Dinge positiv:
       2013 zählte das Landesamt für Statistik 164.100 befristete Beschäftigte –
       das sind 12,7 Prozent aller abhängig Erwerbstätigen. Bereits seit 2007
       werden im Gegenzug die unbefristeten Arbeitsverhältnisse mehr: 1,1
       Millionen Berliner haben inzwischen wieder einen Job ohne zeitliche
       Begrenzung.
       
       Ver.di-Sprecher Andreas Splanemann sagt, er sehe den Dienstleistungsbereich
       trotz dieser Zahlen nach wie vor mit großer Sorge. „Es wird an allen Ecken
       und Enden versucht, Tarifverträge zu unterlaufen. Das ist ein
       Riesenproblem“, sagt Splanemann. So habe etwa die BVG einen Teil ihrer
       Tätigkeiten in die Tochterfirma Berlin Transport ausgelagert. „Da verdienen
       die Busfahrer rund ein Drittel weniger.“ Ähnliches sei bei der Charité und
       ihrer Tochter CFM zu beobachten. Nach wie vor würden auch häufig
       Leiharbeiter eingekauft, sagt Splanemann – die sind sozialversichert, haben
       aber meist ein geringeres Gehalt als die Angestellten der Unternehmen. „Man
       muss schon genau hinsehen, was für neue Jobs da entstehen“, warnt der
       Sprecher.
       
       Was die Bezahlung angeht, liegen die Berliner seit vielen Jahren etwa im
       Bundesschnitt. Sie verdienen schlechter als ihre Kollegen in
       Süddeutschland. Dem Gehaltsvergleich von Internetportalen zufolge hat eine
       Altenpflegerin in Berlin am Monatsende rund 200 Euro weniger auf dem Konto
       als eine Altenpflegerin in München - obwohl sie genau so viele Stunden
       gearbeitet hat. In den angrenzenden ostdeutschen Bundesländern verdienen
       die Menschen dafür deutlich weniger als in Berlin.
       
       Und auch mit dem Verdienst der Berliner geht es bergauf: Im Jahr 2014
       knackten die ArbeitnehmerInnen - teilzeit, vollzeit und geringfügig
       Beschäftigte - die 3.000-Euro-Marke: Sie verdienten im Schnitt 3.010 Euro
       im Monat brutto. Wie viel den Leuten netto bleibt, erfasst das Statistikamt
       nicht. Bei 65 Prozent wären es 1.957 Euro. Für ihr Gehalt können sich die
       Leute tatsächlich mehr kaufen als zuvor. Die Inflationsrate betrug im
       vergangenen Jahr nur 0,9 Prozent - bei einer Lohnsteigerung von 1,8
       Prozent.
       
       Am besten verdienten Berliner Beschäftigte 2014 in der Energieversorgung,
       Vollzeitkräfte kamen hier im Monat auf 5.843 Euro brutto. In Restaurants
       und Hotels dagegen ist wenig zu holen: Im Gastgewerbe erhielten die
       Vollzeitbeschäftigten im Schnitt 2.231 Euro brutto. Vor allem ungelernte
       Arbeitskräfte werden schlecht bezahlt. 2015 dürften sich diese Zahlen
       verbessern - seit Anfang des Jahres gilt der Mindestlohn.
       
       Etwas mehr Berliner haben inzwischen also eine gewisse Sicherheit im Job
       und viele ein bisschen mehr Geld in der Tasche. Man kann annehmen, dass die
       Menschen glücklicher sind. Sicher ist das nicht: Die Zufriedenheit bei der
       Arbeit hänge vor allem davon ab, wie gut die Persönlichkeit eines Menschen,
       seine Stärken und Wertevorstellungen, mit seiner Tätigkeit übereinstimmen,
       sagt Arbeitspsychologin Antje Ducki von der Beuth Hochschule für Technik.
       Die Bezahlung allein reißt es nicht raus. Ducki sagt: "Wenn Menschen ihre
       Fähigkeiten ausleben können und irgendwie das Gefühl haben, das, was sie
       machen, sei sinnvoll, dann sind sie glücklich."
       
       Was acht Berlinerinnen und Berliner über ihre Job erzählen, wie viel sie
       arbeiten, was sie verdienen lesen Sie in der taz.am wochenende.
       
       26 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Antje Lang-Lendorff
       
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