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       # taz.de -- Pflanzengift in Argentinien: Hohes Krebsrisiko für Dorfbewohner
       
       > In der argentinischen Landwirtschaft kommt das Mittel Glyphosat
       > großflächig zum Einsatz. Agrarlobby, Behörden und Politiker spielen die
       > Gefahr herunter.
       
   IMG Bild: Beim Anbau von Soja wird in Argentinien in großen Mengen das wahrscheinlich krebserregende Glyphosat eingesetzt.
       
       BUENOS AIRES taz | Argentiniens Landbevölkerung lebt mit erhöhtem
       Krebsrisiko. Rund 12 Millionen Menschen wohnen in Orten mit weniger als
       100.000 Einwohnern, die von Soja- und Maisfeldern umgeben sind. Vielerorts
       werden sowohl Ölsaaten- und Getreide in hoch aufragenden Silos sowie
       Agrochemikalien in großem Umfang gelagert.
       
       Dieses Szenario trifft auf Monte Maíz in der zentralargentinischen Provinz
       Córdoba zu. Auf dem Land rund um das Dorf werden Soja- und Mais angebaut.
       Im Ort lagern Getreide und Soja, die chemisch gegen Pilzbefall und Fraß
       behandelt wurden. Außerdem werden in dem Ort große Mengen von
       Agrochemikalien aufbewahrt, vor allem Glyphosat.
       
       Vor knapp einem Monat hat die Weltgesundheitsorganisation WTO Glyphosat als
       „wahrscheinlich krebserzeugend bei Menschen“ eingestuft. Ein Vorgang, der
       in der argentinischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Was umso mehr
       verwundert, da nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation „Mediziner
       aus besprühten Orten“ jährlich rund 320 Millionen Liter Glyphosat auf den
       argentinischen Feldern ausgebracht werden.
       
       Doch in Argentinien wird die Gefährdung durch Glyphosat im Zusammenspiel
       von Agrarlobby, staatlichen Behörden und ProvinzpolitikerInnen seit Jahren
       heruntergespielt. Vorliegende Studien werden missachtet oder öffentlich als
       nicht seriös abqualifiziert; Wissenschaftlern, die sich kritisch mit dem
       Folgen des Sojabooms auseinandersetzten, droht die Isolierung.
       
       ## Extrem viele Krebserkrankungen und Fehlgeburten
       
       Jahrelang lebten die rund 8.200 EinwohnerInnen von Monte Maíz mit der
       Frage, warum sich in ihrem Ort die Zahl der Krebserkrankungen, Fehlgeburten
       mit Missbildungen, sowie Erkrankungen der Atemwege häuften. Schließlich
       holten sie sich wissenschaftliche Hilfe von den Universitäten Córdoba und
       La Plata. MedizinerInnen und Studierende gingen von Tür zu Tür, fragten
       nach den Erkrankungen der AnwohnerInnen, nahmen Boden- und
       Trinkwasserproben.
       
       Die Resultate sind erschreckend [1][(Studie als .pdf-Download)]. Krebs ist
       die häufigste Todesursache in Monte Maíz. Für das Jahr 2014 sind 33,4
       Prozent der Sterbefälle auf ein Krebsleiden zurückzuführen, vor allen
       Brust-, Rückenmarks-, Prostata-, Schilddrüsen- und Hautkrebs. Während Krebs
       im Landesdurchschnitt mit rund 20 Prozent noch hinter den Herz- und
       Gefäßerkrankungen als Todesursachen rangiert, liegt die Zahl der
       Krebserkrankungen in Monte Maís um das Dreifache über dem
       Landesdurchschnitt.
       
       In absoluten Zahlen auf jeweils 100.000 Einwohner ungerechnet kämen Monte
       Maíz auf 707 Menschen mit Krebserkrankungen, in der Provinz Córdoba sind es
       264 Menschen und 217 in ganz Argentinien. 21,6 Prozent der notierten Fälle
       sind Männer unter 44 Jahren, auf Provinzebene liegt diese Rate bei 11,6
       Prozent.
       
       Hinzu kommt das erhöhte Risiko einer Fehlgeburt. In Monte Maíz erleiden 9,9
       Prozent der schwangeren Frauen eine Fehlgeburt, während diese Rate im
       Landesdurchschnitt jährlich bei 3 Prozent liegt. Die MedizinerInnen
       stellten auch zahlreiche Fälle der Autoimmunkrankheit Lupus, Erkrankungen
       der Atemwege und der Schilddrüse fest. Ähnliche Resultate wie die in Monte
       Maíz wurden beispielsweise im Ort Ituzaingó, ebenfalls in der Provinz
       Córdoba, dokumentiert. Sie ließen sich in vielen Orten finden, so die
       Auffassung der MedizinerInnen.
       
       ## Wind verbreitet Glyphosat
       
       Die Agrarlobby blieb nicht untätig. Mit Telefonaten wurde der Bürgermeister
       von Monte Maíz unter Druck gesetzt, die öffentliche Präsentation der
       Ergebnisse abzublasen. Gegenwind kommt auch von der medizinischen Fakultät
       der Universität Córdoba. Zwar unterstütze die Fakultät weiterhin den von
       ihr gegebenen Untersuchungsauftrag für die Verbreitung von Krebskrankheiten
       in Monte Maís, die vorgestellten Ergebnisse seien jedoch wissenschaftlich
       nicht haltbar.
       
       „Es ist doch höchst auffallend, dass bereits nach 48 Stunden, in denen 5000
       mutmaßliche Befragungen ausgewertet sein sollen, die wiederum in zwei Tagen
       von lediglich 27 Studenten durchgeführt worden sein sollen, bereits alle
       Informationen vorliegen,“ kritisierte Fakultätsdekan Marcelo Yorio. Die
       Studie stellt jedoch gar keine wissenschaftlich erwiesene Kausalkette
       zwischen den einzelnen Chemikalien und dem erhöhten Krebsrisiko dar.
       
       Dennoch wird deren Einsatz als plausible Ursache nahegelegt. „Die
       landwirtschaftliche Zone [um Monte Maíz] umfasst 65.000 Hektar, auf denen
       jährlich 630.000 Liter Pestizide ausgebracht werden,“ heißt es in der
       Studie. Als Risikoquellen werden zudem die großen Silos im und um den Ort
       genannt, in denen Soja, Mais und Getreide eingelagert wird und in deren
       Hülsen und Schalen Reste von Glyphosat und anderen Agrochemikalien gefunden
       wurden, die sich beim Einlagern und bei Wind über der Ortschaft ausbreiten.
       
       Ihren Anteil an der Verbreitung hat auch die nahegelegene Mülldeponie, auf
       der jahrelang die leeren Behälter der Chemikalien verbrannt wurden. Zudem
       wurde festgestellt, dass in Monte Maíz jährlich 600.000 Liter Glyphosat in
       den 22 Vermarktungsstellen eingelagert und wieder abtransportiert werden.
       Die einzige gute Nachricht ist, dass das Trinkwasser im Ort nicht belastet
       ist.
       
       24 Apr 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.reduas.com.ar/wp-content/uploads/downloads/2015/03/%C3%BAltimoMMM.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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