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       # taz.de -- Geschönte Statistik im Jobcenter: Zwei mal drei macht vier
       
       > SchülerInnen kritisieren Beschäftigungspolitik: Die vom Jobcenter
       > gezählten Vermittlungen von Ausbildungsplätzen führten in die Irre.
       
   IMG Bild: Kommt ohne Ausbildung klar, hat aber auch Superkräfte und viel Geld: Pippi Langstrumpf.
       
       BREMEN taz | Die Vermittlungszahlen des Jobcenters bei Ausbildungsplätzen
       in Bremen sind zu hoch gegriffen. Viele Schulabgänger tauchen in der
       Statistik gar nicht erst auf. Nur wer vom Sachbearbeiter als
       „ausbildungsreif“ eingeschätzt wird, gilt offiziell als Bewerber. Die
       anderen bekommen keine Vermittlung und werden nicht mehr gezählt.
       
       Dabei sind schon die offiziellen Vermittlungszahlen besorgniserregend: Denn
       obwohl lediglich ein kleiner Teil der 4.566 vom Jobcenter geführten
       BewerberInnen als „unversorgt“ gilt, ist im vergangenen Jahr nur rund ein
       Drittel von ihnen tatsächlich in regulärer Ausbildung gelandet. Der Rest
       steckt in Fördermaßnahmen oder hat das Bewerbungsverfahren aus unklaren
       Gründen verlassen.
       
       Herausgefunden hat das alles eine kleine Gruppe angehender ErstwählerInnen.
       Sie trieb die Sorge um einen Ausbildungsplatz um – und das trotz der neuen
       Jugendberufsagentur (JBA) und der Ausbildungsplatzgarantie, die
       Arbeitssenator Martin Günthner (SPD) für das kommende Ausbildungsjahr
       angekündigt hat.
       
       Bei einem Projekt zur Wahl beschäftigten sich die SchülerInnen mit dem
       Thema und bekamen die Zahlen vom Senat. Allerdings auf Umwegen: Auf der
       vergangenen Nacht der Jugend im Bremer Rathaus haben sie mit PolitikInnen
       über den Ausbildungsmarkt diskutiert.
       
       Und weil dabei viele Fragen offen geblieben sind, hat die SPD-Abgeordnete
       Sarah Ryglewski die Anregung der Jugendlichen aufgegriffen und eine Anfrage
       an den Senat gestellt. Das Ergebnis habe die SchülerInnen beunruhigt, sagt
       der pensionierte Lehrer Hans-Wolfram Stein. Er ist seit vielen Jahren
       Regionalkoordinator des Jugendförderprogramms „Demokratisch Handeln“ und
       betreut das Schülerprojekt zur Bürgerschaftswahl.
       
       Politisch brisant ist die von seinen SchülerInnen herausgefundene Zählweise
       auch wegen der anstehenden Arbeitsplatzgarantie. Sie betrifft schließlich
       die Frage, wie viele Menschen tatsächlich einen Anspruch darauf hätten.
       Eigentlich sieht das auch das Berufsbildungsgesetz so.
       
       Gezählt werden müssten die „bei der Bundesagentur gemeldeten
       Ausbildungsplätze suchenden Personen“ heißt es dort – nicht nur die als
       „ausbildungsreif“ geltenden. „Mit dem Schulabschluss sind sie berechtigt,
       eine Ausbildung anzufangen“, sagt Stein – aussortiert würden sie ja erst
       vom Jobcenter.
       
       Bevor die Schüler im Mai erstmals wählen dürfen, mischen sie sich in den
       Wahlkampf ein. An der Gesamtschule Ost beteiligt sich ein ganzer Jahrgang
       an dem Projekt, dazu kommen weitere Klassen von fünf verschiedenen Schulen.
       Und nach der Wahl wollen sie auf Bundesebene weitermachen.
       
       Unterstützung könnten sie da auch bei den Gewerkschaften finden: auch beim
       DGB wird die Zählweise kritisiert, da sie die Verantwortung von den nicht
       ausbildenden Betrieben auf die Betroffenen abwälze.
       
       Noch gar nicht die Rede ist dabei von den Jugendlichen, die sich
       eigenmächtig auf die Suche nach einem Platz machen, weil sie vom Jobcenter
       nichts erwarten. Zumindest deren Erfassung soll durch die neue JBA
       verbessert werden. Unumstritten ist das nicht: Die Linke hatte vergangene
       Woche datenschutzrechtliche Bedenken geäußert und angemahnt, dass mit der
       bloßen Verwaltung und Sanktionierung der Jugendlichen nichts besser werde
       (taz berichtete). 
       
       Für die Zahlen aber, die von den SchülerInnen gefordert werden, bräuchte es
       kein neues Verfahren. Es gab sie schon mal: Bis 2006 wurden alle
       BewerberInnen gezählt, heute nur die „reifen“.
       
       Rund 200.000 Ausbildungswillige verschwanden damit plötzlich aus der
       Statistik und befeuerten die öffentliche Diskussion um den
       Fachkräftemangel. Für Stein wären die tatsächlichen Zahlen ganz leicht zu
       beschaffen, wenn man denn wollte: Man müsse nur vor der Einschätzung der
       Ausbildungsreife „einen Strich auf einem Zettel machen“.
       
       ## Die SchülerInnen diskutieren mit den Abgeordneten: am 29. April um 11.30
       Uhr in der Aula der Gesamtschule Ost
       
       20 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
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