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       # taz.de -- Debatte Gender Pay Gap: Mehr Sinn! Mehr Profit! Mehr Frauen!
       
       > Frauen entscheiden sich oft für soziale Berufe. Aber Ingenieurinnen und
       > Mechanikerinnen verdienen deutlich besser.
       
   IMG Bild: Wo ist der Sinn? Frauen fühlen sich in sozialen Berufen oft erfüllter.
       
       Kürzlich kam ich zufällig mit ein paar Frauen ins Gespräch, die einen Beruf
       haben, von dem ich bis dahin noch nie gehört hatte: Lacklaborantinnen. Was
       sie erzählten, klang wie aus dem Bilderbuch für Frauenförderpläne. Die
       Arbeit macht ihnen Spaß, sie sind stolz auf ihr Wissen, und sie verdienen
       gutes Geld. So weit also alles paletti. Doch dann sagte eine ganz
       unvermittelt, sie würde sich trotzdem manchmal wünschen, etwas Sinnvolles
       zu tun. Ich war ein bisschen perplex. Denn gute Lacke zu entwickeln ist
       doch ganz unbestreitbar sinnvoll. Also fragte ich, wie sie das meint.
       
       Ja, antwortete sie, irgendwie wäre es schon ganz okay, Lacke zu entwickeln.
       Aber sie hätte eben das Bedürfnis, auch noch etwas „wirklich Sinnvolles“ zu
       tun. Altenpflege oder als Erzieherin zum Beispiel. Etwas, wo man anderen
       Menschen helfen kann, ganz konkret. Da war sie also wieder, diese weibliche
       Liebe zu den „helfenden Berufen“, die zu einem Gutteil an den
       Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern schuld ist.
       
       Vielleicht liegt aber genau hier das Problem: Wir haben weitgehend
       vergessen, dass auch die Entwicklung und Herstellung von Dingen im Prinzip
       etwas wirklich Sinnvolles ist. Was im Bereich der Sozialberufe unmittelbar
       einsichtig ist – dass, wer dort arbeitet, etwas im Dienst der Allgemeinheit
       tut –, wird im Bereich der industriellen Produktion von ihrem
       kapitalistischen Überbau unsichtbar gemacht: Lacke, die werden doch nicht
       für das gute Leben auf dieser Welt produziert, sondern für den Profit!
       
       Und viele Menschen, offenbar mehr Frauen als Männer, wollen eben nicht „nur
       für den Profit“ arbeiten. Auch wenn man ihnen dafür viel Geld bezahlt,
       bleiben sie unzufrieden, solange ihnen der Sinn ihrer Arbeit nicht
       einsichtig ist.
       
       ## Auch Industrieberufe sind sinnvoll
       
       Und das ist auch gut so. Wir können gar nicht genug Leute haben, die bei
       ihrer Berufswahl auf den Sinn des Ganzen achten. Aber zu glauben, dass nur
       Altenpflegerinnen und Kinderärztinnen etwas Sinnvolles tun, ist ein Irrtum.
       Auch Ingenieurinnen, Mechanikerinnen und Lacklaborantinnen tun das –
       vorausgesetzt natürlich, sie arbeiten nicht in einem Atomkraftwerk oder in
       einem giftigen Chemiekonzern, der seinen Müll lieber im Meer ablädt, als
       auf ein bisschen Gewinn zu verzichten. Das ist die Schraube, an der wir
       drehen müssen, wenn es darum geht, mehr Frauen für Industrieberufe zu
       gewinnen.
       
       Trotzdem sind auch jetzt rund um den Equal Pay Day wieder zahlreiche
       Artikel erschienen mit dem Tenor: Die Frauen sind doch selbst schuld, wenn
       sie weniger verdienen, sie wählen ja freiwillig die schlecht bezahlten
       Berufe. Offenbar hat es sich noch immer nicht herumgesprochen, dass es der
       feministischen Ökonomiekritik nicht einfach nur um das Verhältnis von
       Frauen und Männern geht. Es wäre doch überhaupt nichts gewonnen, wenn die
       Ungerechtigkeiten im Verhältnis von gut und schlecht bezahlter Arbeit so
       bleiben, wie sie sind, nur dass die Geschlechterquote überall genau
       fifty-fifty betrüge!
       
       Der Gender Pay Gap ist lediglich ein Symptom für ein viel tiefer gehendes
       Problem, nämlich die systematische Unterbezahlung bestimmter
       gesellschaftlich notwendiger Arbeiten. Diese Schieflage hat ihre Wurzeln in
       historischen Geschlechterkonzepten, speziell in der Vorstellung, es sei die
       Bestimmung und die Natur der Frau, selbstlos für ihren Ehemann und ihre
       Kinder, aber auch für Bedürftige generell zu sorgen. Der Sinn einer
       „Frauen“-Arbeit steht, so gesehen, in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrer
       Entschädigung: Je sinnvoller sie ist, umso weniger muss man dafür bezahlen,
       denn ihr „Sinn“ ist ja Erfüllung genug.
       
       Dieser Mechanismus ist zu kritisieren, und zwar auch dann, wenn es sich bei
       den Betroffenen nicht mehr ausschließlich um Frauen handelt. Genau
       andersherum würde ein Schuh draus: Eine sinnvolle Arbeit ist schließlich
       gesellschaftlich mehr wert als eine sinnlose und sollte deshalb
       entsprechend gut bezahlt werden. Womit wir wieder bei der Frage wären,
       woran es sich bemisst, ob eine Arbeit sinnvoll ist.
       
       ## „Care-Arbeit“ respektieren
       
       Dabei ist auch ein kritischer Blick auf den Begriff „Care-Arbeit“ zu
       werfen. Er bezeichnet in der Regel die klassischen Sorgearbeiten, also
       Pflegen, Erziehen, Betreuen, Versorgen und so weiter, die heute nicht mehr
       nur privat in Haushalten, sondern auch schlecht bezahlt in Institutionen
       oder prekär in informellen Arbeitsverhältnissen geleistet werden. Es war
       wichtig, diese Tätigkeiten zunächst erst einmal als „Arbeit“ ins
       Bewusstsein zu holen, denn vor dem Feminismus galten sie eben als etwas,
       für dessen Erledigung die weibliche Natur mysteriöserweise von selbst
       sorgt. Erst durch ihre Sichtbarmachung seitens der Frauenbewegung können
       sie heute als Teil der Volkswirtschaft, als Teil der Ökonomie gesehen
       werden (was freilich nicht heißt, dass das auch immer geschieht).
       
       Problematisch ist es aber, wenn nun erneut ein Gegensatzpaar entsteht,
       nämlich das zwischen „guter Care-Arbeit“ und „böser Industriearbeit“. Ob
       eine Tätigkeit Care-Charakter hat, bemisst sich nicht daran, welchen Inhalt
       sie hat, sondern daran, in welchem Geist sie erledigt wird. Ist der Maßstab
       das gute Leben aller, das, was die Allgemeinheit braucht und was gut für
       die Welt ist? Oder ist der Maßstab ein anderer, zum Beispiel, wie viel
       Profit sich herausschlagen lässt?
       
       „Wirtschaft ist Care“ hat Ina Praetorius ihr Buch zu dem Thema betitelt,
       das gerade bei der Heinrich-Böll-Stiftung herausgekommen (und kostenlos
       erhältlich) ist. Die ganze Wirtschaft ist Care, nicht nur der Teil von ihr,
       der mit Helfen, Putzen, Pflegen, Erziehen und so weiter zu tun hat.
       „Care-Arbeit“ ist deshalb ein Begriff für eine Übergangszeit. Wir brauchen
       ihn, solange es notwendig ist, den Aspekt der Sinnhaftigkeit von Arbeit
       eigens zu betonen, weil er ansonsten nicht selbstverständlich mitgedacht
       wird. Aber Care-Arbeiten bezeichnen nicht ein bestimmtes Spektrum von
       Tätigkeiten, sondern eine Qualität, die dem Arbeiten generell zukommen
       müsste. „Care“ ist sozusagen nicht als Substantiv, sondern als Adjektiv zu
       verstehen: Jede Arbeit sollte Care-Arbeit sein.
       
       Und ich wette, dann würde es auch besser mit den „Frauen in Männerberufen“
       klappen.
       
       20 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Antje Schrupp
       
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