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       # taz.de -- Lohndrückerei in der Fleischindustrie: Zerleger werden ausgebeutet
       
       > In Niedersachsens Schlachthöfen herrschen mit Nettolöhnen von weniger als
       > vier Euro und 70-Stunden-Wochen frühkapitalistische Arbeitsbedingungen.
       > SPD und Grüne wollen gegensteuern.
       
   IMG Bild: Die Kosten für Arbeitskleidung und deren Reinigung wird vom Lohn der Schlachter abgezogen und fürs Arbeitsgerät "Messer" wird Miete fällig.
       
       HANNOVER taz | Von besseren Arbeitsbedingungen in Niedersachsens
       Schlachthöfen will die Fleischindustrie trotz massiven Drucks aus Politik
       und Gewerkschaften nichts wissen: Ohne jedes konkrete Ergebnis endete ein
       Spitzentreffen von Landeswirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) und seinem für
       Ernährung und Landwirtschaft zuständigen grünen Amtskollegen Christian
       Meyer mit Spitzenvertretern der Schlacht- und Zerlegebranche in Hannover.
       
       Dabei kritisieren die beiden Minister bereits seit Monaten besonders das
       System der sogenannten Werkverträge (siehe Kasten), mit denen das deutsche
       Arbeitsrecht systematisch unterlaufen wird. Das „Instrument Werkvertrag
       wird missbraucht“, findet der Sozialdemokrat Lies, der auch für das Ressort
       Arbeit zuständig ist. Auch Landwirtschaftsminister Meyer sorgt sich um
       „Image und Akzeptanz der Fleischwirtschaft“ in Deutschlands Agrarland
       Nummer eins: „Billiglöhne und Ausbeutung für Billigfleisch können nicht
       Niedersachsens Wettbewerbsmodell sein“, sagt er.
       
       Dabei setzt die Branche längst auf frühkapitalistische Arbeitsbedingungen –
       mit den Werkverträgen, die oft an Subunternehmen aus osteuropäischen
       Niedriglohnländern vergeben werden, wird nicht nur der Kündigungsschutz der
       Schlachter und Zerleger ausgehebelt. „Teilweise liegt die effektive
       Bezahlung bei unter vier Euro in der Stunde“, sagt Matthias Brümmer von der
       Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). „Die meisten gelernten
       Fleischer sind längst auf andere Berufe ausgewichen.“
       
       Ersetzt werden sie durch Arbeiter etwa aus Rumänien. Dort lag der
       durchschnittliche Monats-Nettolohn im Dezember bei 394 Euro. Entsprechend
       groß ist die Bereitschaft, sich in Deutschland ausbeuten zu lassen: Zwar
       gilt in den Schlachthöfen ein offizieller Branchen-Mindestlohn von aktuell
       acht Euro, der zum Oktober auf 8,60 Euro angehoben werden soll.
       
       Gedrückt werde der aber durch miese Tricks, klagt der Oldenburger Brümmer,
       der für die NGG besonders den „Schweinegürtel“ zwischen Vechta und
       Cloppenburg seit Jahren im Blick hat: „Arbeitszeiten werden nicht
       aufgeschrieben.“ In Extremfällen werde bis zu 300 Stunden im Monat
       gearbeitet – das sind knapp 70 Wochenstunden.
       
       Selbst die Kosten der Arbeitskleidung und deren Reinigung werde manchen
       Arbeitskräften vom Lohn abgezogen. Teuer bezahlt werden müssten
       Übernachtungen in billigen Bruchbuden. Selbst für das Arbeitsgerät werde
       Miete fällig: In der Branche heißt das dann „Messergeld“.
       
       Auch auf Bundesebene wollen Politiker deshalb gegensteuern. „Eine Schande
       für Deutschland“ sei der Missbrauch der Werkverträge, befand
       Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erst Mitte März beim Besuch im
       niedersächsischen Cloppenburg. Polizei, Staatsanwaltschaften,
       Gewerbeaufsicht, Zoll und Steuerfahndung sollten verstärkt gegen die
       Ausbeutung vorgehen, forderte der SPD-Chef. In Berlin werkeln Beamte der
       Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) seit Monaten an einem solchen
       Gesetz. Ob und wann das aber umgesetzt wird, ist unsicher: Ein erster
       Entwurf sollte bis Ostern vorliegen – jetzt ist vom Herbst die Rede.
       
       Entsprechend selbstsicher gibt sich die Fleischindustrie: Von einem
       Verhältnis von 80 Prozent arbeitsrechtlich abgesicherter Stammbelegschaft
       zu 20 Prozent über Werkverträge Beschäftigte, das die Sozialdemokraten Lies
       und Gabriel anstreben, will der Verband der Ernährungswirtschaft in
       Niedersachsen nichts wissen. „Eine solche feste Quote wird es nicht geben“,
       lacht dessen Hauptgeschäftsführer Michael Andritzky – schließlich ist das
       Verhältnis heute genau umgekehrt.
       
       9 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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