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       # taz.de -- Männer als Frauenpolitiker: Familie macht er mit links
       
       > Jörn Wunderlich ist seit langem familienpolitischer Sprecher der
       > Linksfraktion. Inzwischen hat er Kollegen bei der Union und der SPD.
       
   IMG Bild: Jörn Wunderlich im Bundestag.
       
       Am Revers trägt er ein kleines Abzeichen: pinkfarbener Pfeil, der auf einen
       schwarzen Winkel trifft. Es ist das Zeichen von „He for She“, der
       Gleichberechtigungskampagne der UN. Jörn Wunderlich ist einer der wenigen
       Männer in Deutschland, die mit diesem Symbol rumlaufen.
       
       Wunderlich, 55, ist ein großer, kompakter Mann mit einer tiefen Stimme und
       einem festen Händedruck. Dass sich so jemand öffentlich zu einem
       vermeintlich „weichen“ Thema bekennt, für „Gedöns“, wie Exkanzler Gerhard
       Schröder es einmal formulierte, hat auch mit dem Amt zu tun, das Wunderlich
       bekleidet: Er ist der familienpolitische Sprecher der Linkspartei im
       Bundestag, und das schon in der dritten Legislaturperiode, seit 2005, als
       er das erste Mal ins Parlament gewählt wurde.
       
       Damit ist er der erste Mann, der so lange dieses Amt bekleidet. Vor ihm gab
       es zwar schon andere Männer, die sich – auf ihre Weise – in der
       Familienpolitik engagierten. Der CDU-Mann Heiner Geißler etwa, der als
       Familienminister ab 1982 für den Abtreibungsparagrafen und den Schutz des
       ungeborenen Lebens focht. Oder SPD-Mann Friedhelm Farthmann, der 1978
       Frauenbeauftragter in Nordrhein-Westfalen wurde, strikt gegen die
       Frauenquote in seiner Partei war und das Instrument „Tittensozialismus“
       nannte.
       
       Oder Johannes Singhammer von der CSU, der von 2005 bis 2009 im Bundestag
       Chef der Unions-Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend war und
       sich insbesondere für die traditionelle Alleinverdienerfamilie aussprach.
       
       ## Das Familienbild hat sich verändert
       
       ## 
       
       Doch die Familienbilder, die die männlichen Familienpolitiker früher
       präferierten, haben sich gewandelt. Heute geht es nicht mehr um tradierte
       Rollenbilder und die Frage, ob Frauen etwas in der Politik zu suchen haben.
       Heute geht es darum, wie Frauen und Männer Beruf und Familie besser
       koordinieren können. Dass Männer aktive Väter sein und nicht mehr so viel
       arbeiten wollen. Dass Mütter Firmen und Männer den Haushalt schmeißen.
       „Früher“, sagt Wunderlich, „mussten die Väter sich eingestehen, dass sie
       nicht mitbekommen haben, wie die Kinder groß geworden sind. Heute machen
       Männer Familienpolitik, und niemand stört sich dran.“
       
       Wunderlich ist nicht mehr der einzige familienpolitische Sprecher im
       Bundestag. In dieser Legislaturperiode hat er zwei Kollegen bekommen: Sönke
       Rix von der SPD und Marcus Weinberg von der CDU. Rix, 39, ist seit 2013
       frauen- und familienpolitischer Sprecher seiner Partei. Weinberg, 47, wurde
       ein Jahr später auf diesen Posten berufen.
       
       Drei familienpolitische Sprecher bei vier Parteien im Bundestag. Drei
       Männer, die zuständig sind für Familie und Kinder, für Kitas und gute
       Bildung, für Frauen, die Frauenquote und die gleiche Bezahlung beider
       Geschlechter, wenn sie die gleiche Arbeit tun. Als Wunderlich 2005 das
       erste Mal in seiner Rolle in Deutschland und im Ausland auftrat und
       erklärte, dass all diese Themen „Querschnittsthemen“ seien, dass sie also
       in allen anderen politischen Bereichen mitgedacht werden sollten, schauten
       ihn viele verdutzt an. Weiß der, was der da redet?
       
       ## Er wollte eigentlich Rechtspolitiker werden
       
       Auch das ist mittlerweile anders. Gerade war er in New York, bei der
       UNO-Frauenrechtskonferenz. Dort kennt man ihn schon, vor ein paar Jahren
       leitete er die deutsche Delegation. Diesmal hat ihm Lakshmi Puri, die
       Vizegeschäftsführerin von UN Women, der Frauenrechtsorganisation der
       Vereinten Nationen, den Kampagnenbutton „He for She“ ans Sakko geheftet.
       „Auch Männer können sich für Frauenrechte starkmachen“, sagt Wunderlich.
       
       Wie kommt jemand wie er zur Familienpolitik? „Ganz einfach“, sagt der
       Linkspartei-Mann: „Ich kenne mich von jeher mit Familiensachen aus.“ In
       seinem Leben vor der Politik war Wunderlich Richter am Amtsgericht in
       Chemnitz und dort viele Jahre „Familienrichter“. Vor ihm auf der
       Anklagebank saßen Jugendliche, die geklaut, eingebrochen und zugeschlagen
       haben. Die missachtet und alleingelassen wurden. „Familienpolitik“, sagt
       Wunderlich, „beginnt nicht erst im Land- oder Bundestag. Familienpolitik
       beginnt vor Ort, da, wo die Familien leben.“
       
       Eigentlich wollte der Mann, der in Gladbeck geboren wurde und den der Job
       vom Westen in den Osten verfrachtete, in die Rechtspolitik einsteigen. Aber
       dann hatte irgendwer in der Linkspartei die Idee mit der Familienpolitik.
       Warum eigentlich nicht? Als er damals für den Job als familienpolitischer
       Sprecher vorgeschlagen wurde, soll es nicht einmal eine Debatte darüber
       gegeben haben. Ein paar Jahre zuvor wäre das undenkbar gewesen, dass ein
       Mann in einen Bereich vordringt, der den Frauen vorbehalten galt.
       
       ## „Unter Schröder hat keine Familienpolitik stattgefunden“
       
       Aber es gibt noch den Posten der frauenpolitischen Sprecherin. Der ist bei
       den Linken mit Cornelia Möhring fest in Frauenhand. Anders als in den
       Regierungsfraktionen. Dort sind Rix und Weinberg zugleich familien- und
       frauenpolitische Sprecher. Das ist ein Novum, obgleich es mit Armin Laschet
       sogar schon mal einen Frauenminister gab. Der CDU-Politiker war von 2005
       bis 2010 Minister für Generationen, Frauen, Familie und Integration in
       Nordrhein-Westfalen. Laschet erkannte das Potenzial arbeitender Mütter, die
       dem Staat, der Familie und ihren Kindern mehr bringen, wenn sie nicht nur
       zu Hause hocken.
       
       Über die Frage, ob Mütter besser bei den Kindern oder im Job aufgehoben
       sind, denken die aktuellen Familien- und Frauenpolitiker gar nicht mehr
       nach. Das versteht sich von selbst, finden sie. „Wir ziehen da an einem
       Strang“, meint Wunderlich. Seit die CDU mit dem Elterngeld, den
       Vätermonaten und dem Kitaausbau sowohl die Familienpolitik als auch das
       Familienbild auf den Kopf stellte, gelten jene als rückwärtsgewandt, die
       stur an traditionellen Rollen festhalten. Das hat insbesondere die frühere
       Frauen- und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) zu spüren bekommen,
       die zwar Wahlfreiheit für alle propagierte, aber jegliche emanzipatorische
       Politik vermissen ließ. Das brachte ihr nicht nur den Zorn vieler Frauen
       ein, sondern auch den Spott mancher Männer. „Familienpolitik hat unter
       Schröder nicht stattgefunden“, sagt Wunderlich, der in zweiter Ehe
       verheiratet ist und zwei Kinder hat.
       
       Als der Bundestag Anfang März die Frauenquote beschloss, traten nicht nur
       Frauen ans Mikro, um dem Erfolg zu huldigen. Auffallend viele Männer
       befürworteten das Machtinstrument, vor dem sich insbesondere manche Herren
       in der Wirtschaft fürchten. So hielt Justizminister Heiko Maas (SPD) die
       30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte gar für den „größten Beitrag zur
       Gleichberechtigung seit Einführung des Frauenwahlrechts“. Sein Kollege Rix
       will die Regelung noch verschärfen, weil er glaubt, dass sich die Quote so
       bald nicht von selbst überleben wird.
       
       ## Seine feminine Seite: andere verstehen
       
       Wunderlich hat ein gespaltenes Verhältnis zur Quote. Er findet sie wichtig,
       weil „all die Freiwilligkeiten in der Wirtschaft nicht viel gebracht
       haben“. Er findet aber auch, dass sie die Opferrolle der Frauen
       manifestiert. Das sehen die weiblichen Quoten-Fans anders, auch in seiner
       Partei –, sie fordern 50 Prozent.
       
       Präsente Väter, Frauen als Chefs, Männer als Frauen- und Familienpolitiker.
       Es sieht so aus, als gibt es tatsächlich so etwas wie einen zarten
       Paradigmenwechsel. Wunderlich, Rix und Weinberg jedenfalls fühlen sich in
       ihrer „Gedöns“-Rolle akzeptiert und anerkannt. Sie ernten keine
       misstrauischen Blicke, sie erleben kein Getuschel und hören keine Sätze wie
       „Das verstehst du als Mann doch gar nicht.“ Im Gegenteil. Jörn Wunderlich
       zumindest ist in seiner Partei bekannt für seine „feminine Seite“. Er
       beschreibt sie so: „Ich versuche immer, mich in die Menschen
       hineinzuversetzen.“
       
       9 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
       ## TAGS
       
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