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       # taz.de -- Gendertraining an Wirtschaftshochschule: Karneval der Männlichkeiten
       
       > Wann ist der Mann ein Mann? Wirtschaftsstudenten stellen sich ihren
       > Männerbildern und erschrecken über sich selbst. Ein Bericht.
       
   IMG Bild: Charismatisch, energetisch, egoistisch, süchtig – so wirkt Börsenmakler Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) in „The Wolf of Wall Street“ auf angehende Manager.
       
       Die Väter vielleicht, und überhaupt die Älteren, die haben ein Problem mit
       ihrer Männlichkeit, die müssen halt den starken Mann markieren, die haben
       das so gelernt. So heißt es gerne. Und dann wird angefügt: Wir haben das
       nicht mehr nötig. Mein Sohn kommt gar nicht auf die Idee, „starke“ Frauen
       seltsam zu finden. Aber stimmt das? Mein jährlicher Realitycheck mit
       Jungerwachsenenkontakt und angehenden Managern stand an. Diesmal hieß das
       Seminar: „Männer. Leistung. Risiko“.
       
       15 Männer und zwei Frauen waren mit von der Partie. Mein Plan war
       aufgegangen: Vermeidet man im Veranstaltungstitel die Wörter Gender, Frauen
       oder Chefin, erregt man das Interesse auch von Männern. Das Prinzip
       funktioniert überall. In diesem Fall konnte ich Studierende zwischen 20 und
       22 Jahren gewinnen.
       
       Der zentrale gemeinsame Grund, sich eine Woche lang mit Männlichkeit,
       Leistung und Burn-out zu beschäftigen, war: Ausnahmslos wollten sie einmal
       sowohl Erfolg als auch Familie haben. Dass bereits ein gutes Leben kein
       Selbstläufer ist, vom perfekten nicht zu reden, war auch allen klar und die
       Suizide im Topmanagement in den letzten Jahren fanden sie beunruhigend.
       Also erhoffte man sich Tipps für eine zukunftsfeste Männlichkeit. Und fast
       alle Studenten empfanden es als unangenehm, sich ständig als richtiger Mann
       beweisen zu müssen.
       
       Was zeichnet eine richtige Männlichkeit aus? Klares Gruppenstatement: Man
       muss sich hart und entschlussfreudig zeigen. Bei jedem ersten Kontakt
       stünde dieses Theater an. Zart werden dürfe man nur bei Leuten, die man
       schon gut kenne. Wenn überhaupt. Meine Güte, hab ich mich verzählt? Sind
       wir wirklich schon im 21. Jahrhundert?
       
       Eine der beiden Studentinnen kommentierte das Bekenntnis ihrer Kommilitonen
       spitz, sie wolle aber immer einen richtigen Mann, nicht nur als Rollenspiel
       am Anfang. Und ihre Freundin bekundete ein wenig später, dass sie mit ihrem
       Geschlecht kein Problem hätte, noch nie wäre sie diskriminiert worden,
       außer von Feministinnen.
       
       ## Blowjob im Ferrari
       
       Und so wurde der Druck, sich in der Männergemeinschaft als richtiger Mann
       und als richtige Frau, also Nicht-Feministin, auszuweisen, zum
       Ausgangspunkt der gemeinsam angetretenen Lernreise. Zweiter Programmpunkt:
       „The Wolf of Wall Street“. Martin Scorsese verfilmt hier die
       Lebensgeschichte des Börsenmaklers Jordan Belfort und inszeniert eine Art
       Karneval zeitgemäßer menschenverachtender Männlichkeit. Und wie wirkt der
       Antiheld auf den Nachwuchs? „Charismatisch, energetisch, egoistisch,
       süchtig.“
       
       Der von Leonardo DiCaprio mit einer gewissen Ironie gespielte Belfort wird
       im Ferrari eingeführt, während seine blonde Frau ihm einen bläst. Die
       Kamera zeigt sie von hinten, das Symbol Blondine benötigt kein Gesicht,
       auch keinen Namen. Eine Minute später schmeißt er im Büro einen
       Kleinwüchsigen gegen eine Dartscheibe, zum Spaß. Später wird er alle seine
       Freunde und Kollegen verraten, seine Frau vergewaltigen und seine Tochter
       fast umbringen, – und natürlich die Ersparnisse der kleinen Leute verzockt
       haben. Doch diese Brutalität wurde schlicht nicht gesehen. Erst nachdem ich
       die Szenen erneut zeigte, kam sie zu Bewusstsein.
       
       In der Wahrnehmung der Studierenden hatte der Marker Erfolg gleich Reichtum
       die durchaus grob ausgestellte Gewalttätigkeit der Finanzbranche
       ausradiert. Das Erschrecken der Studierenden über ihre Ignoranz war echt.
       Ein Fragezeichen schlich sich in unser Seminar.
       
       Dann wechselten wir auf die vermeintliche Loser-Seite: Wann verliert ein
       Mann seine Männlichkeit, wann also gibt es ein wirkliches Problem? Auch
       hier half die Popkultur weiter.
       
       ## Liegende Männer, stehende Frauen
       
       Die auf Fox laufende amerikanische TV-Serie „New Girl“ präsentiert eine
       unaggressive, emotionale, dialogbezogene Männer-WG plus Jess, sie ist der
       weibliche Neuankömmling. Die Endzwanziger sind ständig pleite. Gleichzeitig
       sind diese Anti-Männer natürlich allesamt gut aussehend, durchtrainiert und
       durchgestylt, so wie die Studis übrigens auch. In einer Szene nun liegen
       Nick und Schmidt auf dem Bett ihrer Mitbewohnerin und wollen diese
       überreden, sich für die bevorstehende Hochzeit bitte sexy anzuziehen. Nick
       muss unbedingt mit ihr angeben können. Jess spurt zunächst nicht so recht,
       doch einige Pointen später findet sich ein Kompromiss. Alles gut? Das
       Seminar sieht das anders.
       
       Nick und Schmidt stehen unter Zwang, Jess zwingt ihnen ihren Willen auf!
       Wieder sehen wir uns die Szene erneut an. Was lässt den aufgebrachten
       Studenten das Feilschen um das richtige Outfit als Unterwerfungsszene
       lesen? Die Antwort lautet: Die Männer liegen, die Frau steht. Und außerdem:
       Die reden alle so kameradschaftlich miteinander, gar nicht als Mann und
       Frau! Nicken in der Runde.
       
       Ein Mann ohne Dominanzgebahren ist kein richtiger Mann, sondern ein
       falscher. Eine wortgewandte, stehende Frau ist eine Domina, also auch
       falsch. Mit dieser Aussage sind nicht alle einverstanden, aber nur einer
       sagt etwas dagegen. Und es ist dann noch ein Stück Arbeit, bis wir trotz
       des Geld-ist-geil-Ideals bei den „Loosern“ ein Genießen entdecken, das den
       jungen Männern keine Herrschaft über andere erlaubt, aber die Freiheit
       gibt, Spaß zu haben, ohne dafür andere demütigen zu müssen.
       
       ## Kaffeepause! Dringend!
       
       Bleibt zu erwähnen, dass die Zahlen von den wenigen weiblichen Sprechrollen
       in Film und Fernsehen, nämlich rund 31 Prozent weibliche Hauptfiguren im
       deutschen Kinderfernsehen und 33 Prozent Sprechrollen für Frauen in den 100
       erfolgreichsten Hollywoodfilmen, offenen Unmut auslöste.
       
       Auch dass nur 35 Prozent der Frauen in Schulbüchern als berufstätig
       dargestellt werden – und, Überraschung! – nur 14 Prozent der von Leitmedien
       befragten Experten weiblich sind, wurde nicht goutiert. „Jetzt hören Sie
       schon auf. So schlimm ist es doch gar nicht, das sind doch nur Zahlen!“ Die
       Studis wollten jetzt dringend ihre Kaffeepause.
       
       Doch, es ist so schlimm. Und jetzt bloß nicht mit dem Finger auf die jungen
       Leute zeigen! Geschlechtergerechtigkeit ist in so gut wie keinem Milieu und
       in so gut wie keiner Altersklasse eine Aufgabe, die männlicherseits als
       Messlatte für Leistung oder Kompetenz anerkannt wird. Auch der Alltag in
       der taz führt das täglich vor. Die Studis spiegeln also nur den allgemeinen
       Reformstau. Unsere Gesellschaft ist emanzipativ so weit gekommen, wie man
       eben ohne Männer als Agent of Change kommt. Ausnahmen bestätigen die Regel.
       
       Und solange die Repräsentation von Frauen und Männern sich im staatlich
       finanzierten TV nicht vervielfältigt, solange an Schulen die Frauenbewegung
       nicht auch Thema im Geschichtsunterricht ist, Gleichstellung und der
       Frauenanteil in der Berufswelt nicht in der Sozialkunde unterrichtet wird
       und der Ethikunterricht Religionen nicht in Hinblick auf aggressive
       Männlichkeit ausleuchtet, wird sich daran nichts ändern. Meine
       Wirtschaftshochschule mit ihrem Gendertraining ist da eine einsame
       Ausnahme. Sie hat begriffen, dass Gerechtigkeit eine Gemeinschaftsaufgabe
       ist, keine Frauenfrage. Vielleicht kriegen das andere im 21. Jahrhundert ja
       auch noch hin.
       
       10 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
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