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       # taz.de -- Syrien-Tagebuch Folge 9: „Alawiten verteidigen das Regime“
       
       > Das Regime von Präsident Baschar al-Assad schürt gezielt konfessionelle
       > Spannungen. Das hat auch auch Auswirkungen auf die Armee.
       
   IMG Bild: „Wir kaufen alle Geschosse“: Ironische Installation von Militärschrott samt Graffito nahe des Dorfes Kafruna in der Provinz Idlib
       
       Der 36-jährige Osama ist Alawit. Ende 2012 desertierte er aus der syrischen
       Armee und floh in den Libanon. Seinen richtigen Namen will er aus Angst um
       seine Familie in Syrien nicht nennen. 
       
       Als Alawiten haben sie mich auf Posten geschickt, wo ich andere
       kontrollieren musste und mehr Verantwortung trug. Sie dachten, ich würde
       Baschar al-Assad mit meinem Leben verteidigen. Aber für mich war das ein
       Problem.
       
       Erst war ich beim Geheimdienst, dann haben sie mich auf einen sehr
       gefährlichen Posten versetzt. Ich war nicht in der Lage, zu töten und zu
       foltern und habe gefragt, warum sie mich versetzt haben. Da sagten sie:
       „Weil du Alawit bist. Diese Terroristen wollen deine Schwester und Mutter
       vergewaltigen.“ Man konnte mit ihnen nicht diskutieren. Die Generäle wissen
       genau, wie sie die Leute manipulieren und Hass unter den Religionsgruppen
       säen können.
       
       ## Im Zweifel mit den Minderheiten
       
       In meiner Einheit gab es Alawiten und Sunniten. In Versammlungen hieß es,
       Terroristen aus dem Ausland benutzten die Religion, um Syrien wegen Israel
       zu zerstören. War ein General nur mit Alawiten oder anderen Minderheiten
       zusammen, sagte er: „Ich vertraue diesen Sunniten nicht, ich vertraue nur
       dir – als Alawit, Christ, Druse.“
       
       Sie haben dieses Spiel gespielt, um die Gesellschaft zu spalten, aber
       dadurch wurde auch die Armee von innen zerfressen. Die sunnitischen
       Soldaten sind weggelaufen. Am Ende verlieren sie auch die Alawiten, denn
       die müssen dort kämpfen, wo sie die anderen aus Misstrauen nicht mehr
       hinschicken können. In den alawitischen Dörfern trauern sie um viele junge
       Männer und langsam verstehen sie, was das Regime macht. Aber die Angst vor
       den Sunniten ist riesig.
       
       Ich kenne alawitische Familien, deren Söhne am Anfang, als es nur
       friedliche Proteste gab, tot nach Hause kamen. Das waren Soldaten, die sich
       geweigert hatten, auf Demonstranten zu schießen und hingerichtet wurden.
       Die Armee brachte ihre Leichen mit einer Delegation und Staatsmedien im
       Schlepptau in die Dörfer und behauptete, sie seien von Terroristen getötet
       worden.
       
       ## Kampf gegen das Regime, nicht gegen die Alawiten
       
       Assad hat die Alawiten in Panik versetzt. In den Dörfern des
       Küstenhinterlandes gibt es keine Sunniten, die Menschen dort kennen keine
       persönlich und glauben den Horror, den das Regime erzählt. Sie denken, 17
       Millionen Sunniten warten darauf, sie umzubringen.
       
       Die Opposition hat leider verpasst, diesen Leuten zu erklären, dass sich
       ihr Kampf gegen das Assad-Regime richtet und nicht gegen sie als Alawiten.
       Selbst alawitische Oppositionelle haben sich geweigert, über Religion zu
       reden, weil sie keinen Konfessionalismus wollten. Dabei müssen wir darüber
       reden, um den Alawiten zu erklären, dass Assad sie nur benutzt, um an der
       Macht zu bleiben.
       
       Das Regime tut so, als würden die Alawiten das Land kontrollieren, dabei
       sind sie das schwächste Glied. Sie machen zwei von 23 Millionen Syrern aus.
       Ich glaube, die Zahl der Sunniten, die heute noch zum Regime stehen, ist
       größer als die aller Alawiten zusammen. Wir können das Regime nicht als
       alawitisch bezeichnen, denn dann würde es eine Konfession verteidigen. In
       Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die Konfession verteidigt das Regime.
       
       8 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kristin Helberg
       
       ## TAGS
       
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