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       # taz.de -- Big Brother: Ein Ohr für den Norden
       
       > Datenschützer warnen vor neuem Abhörzentrum der Küstenländer: Unklar sei,
       > wie Polizeibeamte dort überwachen sollen – und wer sie kontrolliert.
       
   IMG Bild: Antennen, noch ohne polizeilichen Auftrag gebündelt.
       
       HANNOVER taz | Das geplante Abhörzentrum aller fünf norddeutschen
       Bundesländer weckt massive Bedenken bei Datenschützern und
       Oppositionspolitikern. „Es geht um hochsensibele Telekommunikationsdaten“,
       warnte Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragter Thilo Weichert gegenüber
       der taz.
       
       Trotzdem sei bis heute unklar, wer genau künftig welche Informationen
       erheben darf und wie diese verschlüsselt werden sollen, sagt Weichert, der
       die Schaffung der Lauschzentrale federführend für die Datenschutzbehörden
       der Bundesländer Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und
       Mecklenburg-Vorpommern beobachtet.
       
       ## Gebündelte Fähigkeiten
       
       Anfang der Woche war bekannt geworden, dass das „Rechen- und
       Dienstleistungszentrum Telekommunikationsüberwachung Nord“ in Hannover
       angesiedelt werden soll. Angedockt an das Landeskriminalamt (LKA)
       Niedersachsen soll es dort voraussichtlich 2020 seine Arbeit aufnehmen.
       
       Die Innenminister der norddeutschen Bundesländer setzen dabei offenbar auf
       eine Bündelung der technischen Fähigkeiten – möglich wäre damit nicht nur
       eine noch umfassendere Überwachung, sondern auch Kosteneinsparungen.
       
       Geplant, dass „die Angehörigen des Rechen- und Dienstleistungszentrums den
       Ermittlerinnen und Ermittlern der Polizeibehörden der Länder für eine
       entsprechende Beratung zur Verfügung stehen“, bestätigte ein Sprecher des
       niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD) der taz. Eine
       Kostenobergrenze für das Abhörzentrum solle in einem Staatsvertrag
       festgeschrieben werden. Wann dieser unterzeichnet werde, stehe aber noch
       nicht fest.
       
       ## Verhandlungen im stillen Kämmerlein
       
       Oppositionspolitiker können bis dahin nur erahnen, in welchem Umfang sich
       das Lauschzentrum zu einem neuen Big Brother entwickeln könnte. „die
       Verhandlungen zwischen des fünf Landesregierungen laufen im stillen
       Kämmerlein ab“, sagt nicht nur Patrick Breyer, rechtspolitischer Sprecher
       der Piraten im schleswig-holsteinischen Landtag. Zwar verhandelten die
       Innenminister schon seit 2010 über das Abhörzentrum – eine Mitarbeit der
       Parlamente oder eine Beteiligung der Öffentlichkeit sei aber nicht
       vorgesehen.
       
       Massive Kritik kommt auch von der Linkspartei. Unklar sei, wer künftig die
       Spitzel der Polizei kontrollieren solle, warnt Christiane Schneider,
       innenpolitische Sprecherin der Linken in der Hamburger Bürgerschaft. Zwar
       sei bei Telekommunikationsüberwachungen (TKÜ) schon heute ein richterlicher
       Beschluss vorgeschrieben. „Doch der wird von den Polizeibeamten oft
       vergessen“, sagt Schneider. „Das Argument lautet dann, es sei Gefahr im
       Verzug.“ Sollten alle TKÜ-Maßnahmen aus ganz Norddeutschland künftig in
       Hannover gebündelt werden, „blickt überhaupt kein Richter mehr durch“,
       fürchtet die Hamburger Parlamentarierin.
       
       ## Die totale Überwachung
       
       Ähnlich argumentiert auch ihr niedersächsischer Parteifreund Herbert
       Behrens. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, was genau in diesem
       neuen Überwachungszentrum passieren soll, wie die Organisationsstrukturen
       aussehen“, fordert der linke Bundestagsabgeordnete aus Osterholz-Scharmbeck
       – schließlich planten auch die Bundesländern Berlin, Brandenburg,
       Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen ein ähnliches gemeinsame
       Überwachungsbehörde.
       
       „Allein in Berlin wurden mittlerweile mehr als 200.000 stille SMS
       verschickt, um Handynutzer zu orten“, warnt Behrens, der Sprecher für
       digitale Infrastruktur der Linkspartei ist. „Auf Norddeutschland übertragen
       wäre das die totale Überwachung.“
       
       Zur Kontrolle der Überwacher nötig seien deshalb genaue Vorschriften zur
       „personellen, organisatorischen und räumlichen Trennung“ des Abhörzentrums
       vom Tagesbetrieb des niedersächsischen Landeskriminalamts, fordert deshalb
       der Datenschutzbeauftragte Weichert. Ein niedersächsischer Datenschützer
       erklärt warum: „Im Prinzip kann man sich auf jede Leitung aufschalten.“
       
       31 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
       ## TAGS
       
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