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       # taz.de -- Modezeichnungen und „Fast Fashion“: Äußerlich schön und nachhaltig
       
       > In Hamburg zeigt die Schau „Bilder der Mode“ Farb- und Formwandel. „Fast
       > Fashion“ rückt Sweatshop-Arbeitsbedingungen in den Fokus.
       
   IMG Bild: Bewusst ambilvalent: Litfasssäulen von Susanne Friedel.
       
       HAMBURG taz | Diese Künstler malten nicht einfach Kleider und Mäntel für
       Modemagazine: Sie haben auch auf kleinstem Raum Geschichten erzählt, um den
       Spagat zwischen Abbildung und Interpretation zu schaffen, zwischen
       Kunsthandwerk und Kunst. Das heißt, ein Kleid eben nicht nur darzustellen,
       sondern auf seine Ur-Idee an Farbe und Form abzuklopfen und weiterzudenken.
       
       Dieser Spielraum ist größer als der eines Modefotografen, und deshalb waren
       schon die ersten Modemagazine Ende des 19. Jahrhunderts stark an Zeichnern
       interessiert. Seither ist die Modezeichnung eine eigene Gattung, und deren
       Kulturgeschichte präsentiert die Schau „Bilder der Mode“ im Hamburger
       Museum für Kunst und Gewerbe derzeit auf 170 Blättern der Münchner
       Sammlerin Joëlle Chariau.
       
       Das beginnt mit den Art-déco-Dämchen eines Georges Lepape, geht weiter mit
       den an Uniformen orientierten Modellen der 1930er und 1940er Jahre des
       Coco-Chanel-Zeichners Christian Bérard. Die 1950er dominierte dann
       Christian-Dior-Zeichner René Gruau mit seinen Farbfeldern à la
       Toulouse-Lautrec. Und ab den 1960ern bediente sich Antonio Lopez vergnügt
       bei der Pop-Art.
       
       Die Frauen werden auf diesen Bildern immer selbstbewusster, bis sie auf den
       Aquarellen des 63-jährigen Mats Gustafson fast in die Abstraktion
       entfleuchen. Und François Berthoud, 53, zeichnet – konsequent
       minimalistisch – nur Beine und Schuhe oder kleckst ein Kleid namens „White
       Angel“ aufs schwarze Papier.
       
       All diese Bilder sind Kult und passen gut in ein Museum, das selbst eine
       beachtliche Modesammlung hat und lange als eher affirmativ galt. Das hat
       sich in den letzten Jahren geändert: 2014 gab es eine Ausstellung über
       Plastikmüll, und auch die aktuelle Schau „Fast Fashion“ ist hochpolitisch.
       
       Fast Fashion – das sind jene global produzierten, atemlos erneuerten
       Billigst-Kollektionen. Ökonomisch betrachtet ist das Modell genial: Trotz
       eines komplett gesättigten Markts in 14-Tages-Zyklen massig neue Kleidung
       zu verkaufen, gelingt mühelos. Die Konzerne verdienen Millionen – aber vor
       allem deshalb, weil die europäische und nordamerikanische Textilindustrie
       die arbeitsaufwändigen Herstellungsschritte zu 90 Prozent in
       Billigstlohnländer wie China, Moldawien, Bangladesch, Vietnam und Indien
       ausgelagert hat.
       
       Das kurbelt einerseits die Wirtschaft an, weil Arbeitsplätze für Ungelernte
       entstehen. Andererseits verdienen die Näherinnen oft nicht einmal das
       Existenzminimum. Und diejenigen, die die Kleidung anschließend mit
       Chemikalien behandeln, genießen kaum Arbeitsschutz.
       
       ## Enormer Preisdruck
       
       Der fehlte 2013 auch den 1.127 Toten des Einsturzes der Textilfabrik Rana
       Plaza in Bangladesch. Fotos von Taslima Akhter zeigen in Hamburg die Folgen
       des Unglücks: Ruinen, Überlebende, Tote. Auf der Metaebene agieren die
       Litfaßsäulen von Susanne Friedel. Unter dem Titel „Beyond Fashion“ hat sie
       Zitate von Textilarbeiterinnen über ihre Arbeitsbedingungen mit cool
       posierenden Fast-Fashion-Models kombiniert. Dieses Fehlen sozialer
       Nachhaltigkeit hat System: In der Branche herrscht enormer Preisdruck, und
       die Regierungen der Billiglohnländer wollen Investoren nicht durch hohe
       Standards vergraulen.
       
       Der Künstler Manu Washaus hat diese beiden Hälften der Welt wieder
       zusammengebracht: Seine Models tragen Hosen in US-Flaggenfarbe und
       T-Shirts, auf die Abbildungen der eingestürzten Fabrik gedruckt sind. Ja,
       auf wem ruhen wir uns eigentlich aus? Wessen Schicksal tragen wir ganz
       konkret mit uns herum? Und welchen ökologischen Fußabdruck erzeugt die
       zugehörige Industrie? Keinen guten: Weltweit setzt die Textilindustrie
       20.000 Chemikalien ein, um Kleidung zu „veredeln“.
       
       Das ist ein Drittel des gesamten Chemieeinsatzes aller Industrien. Zudem
       laufen die verseuchten Abwässer oft ungeklärt in die Flüsse. In China etwa
       haben 320 Millionen Menschen keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser.
       
       Bleiben noch der fehlende Tierschutz der Branche: Da werden Schafe beim
       Scheren brutal verletzt, Enten und Gänse für Daunen „lebendgerupft“.
       Angorakaninchen zieht man unter Schmerzen das Fell ab. Entsprechende Videos
       der Tierschutzorganisation Peta erzeugten 2014 einen globalen Aufschrei,
       sodass die meisten Hersteller Angorakleidung aus dem Sortiment nahmen. Ein
       ähnlich schockierendes Video hängt in der Hamburger Ausstellung – damit
       keiner sagen kann, er habe es nicht gewusst. Und es gibt ja Alternativen,
       wie das „Slow Fashion-Labor“ des Museums zeigt: Statt Leder kann man
       Lachshaut verwenden, die ohnehin anfällt, anstelle von Baumwolle
       Milchfasern, deren Herstellung weniger Wasser erfordert.
       
       ## Sachte aufschlitzen
       
       Um Seide zu gewinnen, kann man den Kokon sachte aufschlitzen und die Raupe
       ins Dunkel bringen, bis sie ein Schmetterling ist. Über
       Nachhaltigkeits-Labels und die für gerechten Lohn kämpfende
       Asia-Floor-Wage-Organisation kann man hier lesen. Ob alles Wissen für ein
       neues Kaufverhalten reicht? Allein in Deutschland ist der Konsum von
       Kleidung von 2000 bis 2010 um 47 Prozent gestiegen, es gibt inzwischen 24
       Kollektionen im Jahr. Überdies werden 40 Prozent der Kleidung allein in
       Deutschland ungetragen entsorgt – aber es gibt Bewegung: Secondhandläden,
       Tausch- und Mietmodelle existieren schon, über „Zero Waste“-Kreisläufe wird
       nachgedacht.
       
       Noch ist das nicht rentabel, aber ein Anfang ist gemacht. Obendrein
       eröffnet die Hamburger Schau eine kluge Diskussion über einen erweiterten
       Schönheitsbegriff: Demnach wäre wahrhaft ästhetische Mode nicht nur
       äußerlich schön, sondern auch nachhaltig. Strukturell schön, sozusagen.
       
       26 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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