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       # taz.de -- Trainingskurse für straffällige Jugendliche: „Kuschelpädagogik“ wirkt
       
       > Eine Evaluation der Sozialen Trainingskurse für straffällig gewordene
       > Jugendliche in Bremen ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Wegsperren nicht
       > nötig ist.
       
   IMG Bild: Wegsperren in der JVA Oslebshausen? Da gibt es noch Besseres!
       
       BREMEN taz | Drei Jugendhilfeträger bieten in Bremen sogenannte „Soziale
       Trainingskurse“ für straffällig gewordene Jugendliche an – und zum ersten
       Mal haben sie gemeinsam ihre Arbeit evaluieren lassen. Drei Jahre lang
       begleitete das Bremer Institut für Soziale Arbeit und Entwicklung (Bisae)
       die Kurse. Das am Freitag präsentierte und 130 Seiten starke Ergebnis macht
       deutlich: Der seit der Etablierung ambulanter Jugendhilfen in den
       80er-Jahren immer wieder gegen sie gerichtete Vorwurf der wirkungslosen
       „Kuschelpädagogik“ ist falsch.
       
       Ohne externen Auftrag und auf eigene Kosten haben die Träger Bremer
       Integrationshilfen e. V. (Brigg), Jugendhilfe und Soziale Arbeit gGmbH
       (JUS) und Stadtteil-Schule e. V. die Evaluation in Auftrag gegeben: „Da wir
       uns gegenseitig nicht als Konkurrenz betrachten, war klar, dass wir das
       gemeinsam machen“, sagt Brigg-Geschäftsführer Christoph Knievel. Die
       Auswertung soll dem Qualitätsmanagement dienen und Schwachstellen
       aufzeigen. „Wir hoffen aber auch, dass die Akzeptanz dieser Maßnahmen
       dadurch gefördert wird“, so Knievel.
       
       Wenngleich es Zufall ist, dass die Auswertung gerade jetzt fertig geworden
       ist, so scheint der Zeitpunkt doch gerade richtig. Durch einige straffällig
       gewordene, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ploppt die Diskussion um
       angemessene Maßnahmen in den Medien und den sozialen Netzwerken wieder auf:
       Da werden geschlossene Unterbringung und ein „Ende der Kuschelpädagogik“
       gefordert. Der Senat reagierte: Er plant neben dem Knast in Oslebshausen
       ein geschlossenes Heim für auffällig gewordene Flüchtlingsjugendliche, die
       laut Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) mit den „herkömmlichen
       Instrumenten des Jugendhilfesystems“ nicht mehr zu erreichen seien.
       
       Das sehen alle drei Träger anders. Knievel ist sich sicher, dass mit diesen
       Jugendlichen der gleiche Weg eingeschlagen werden kann wie mit straffällig
       gewordenen Bremer Jugendlichen. Die nämlich werden vom Gericht und der
       Jugendgerichtshilfe zu den Trainingskursen „verknackt“, die in der Regel
       sechs Monate dauern. Besucht werden die ein- bis zweimal wöchentlich
       stattfindenden und bei Bedarf durch Einzelhilfen ergänzten Kurse von
       durchschnittlich acht Menschen zwischen 15 und 21 Jahren. Die
       Abbrecher-Quote, die im Evaluationsbericht leider fehlt, bewegt sich laut
       Knievel zwischen 20 und 30 Prozent.
       
       Die JUS beschreibt als Ziel der Kurse, „dass sich die jungen Menschen mit
       ihren Verhaltensmustern und ihrer Lebenssituation auseinandersetzen. Neue
       Lebens- und Lernerfahrungen, das Erarbeiten und Erproben von
       Verhaltensalternativen, das Erkennen eigener Stärken und die Verbesserung
       ihrer Lebenslagen sollen sie langfristig befähigen, ein
       eigenverantwortliches, sozialverträgliches und straffreies Leben zu
       führen“. Die Kurse erfolgen auf Basis von Beziehungsarbeit und
       Wertschätzung und berücksichtigen die individuellen Lebenslagen.
       
       Das „wirkt“, schlussfolgert das Institut für Soziale Arbeit und Entwicklung
       – und zwar nicht wegen, sondern trotz des „Zwangscharakters“. Schließlich
       stehen jenen, die nicht wollen, und denen, die den Kurs abbrechen,
       jugendstrafrechtliche Konsequenzen wie Arrest bevor. Gleichwohl ist die
       Akzeptanz der Kurse nach anfänglichem Widerstand durchgehend hoch. Die
       befragten Jugendlichen äußern sich positiv über die Maßnahmen und die
       Betreuer: Sie „können, und das kann nicht zuletzt angesichts des
       Zwangskontextes als eine beachtenswerte ’Wirkung‘ gelten, vielfältige“ –
       durch die Trainingskurse angestoßene – „persönliche Bildungs- und
       Veränderungsprozesse benennen“. Hier geht es also um die Wirkung auf die
       Lebenswelt der Jugendlichen; dass ambulante Maßnahmen zudem mit einer
       niedrigeren Rückfallquote einhergehen als freiheitsentziehende, haben
       Studien bereits bewiesen.
       
       Auch den jugendlichen Flüchtlingen könnten ambulante Hilfen zuteil werden,
       sagt Knievel, die Voraussetzungen seien vorhanden. „Was fehlt, sind
       mehrsprachige MitarbeiterInnen und Wohnraum.“ Alle Träger böten ohnehin
       Intensivbetreuungen für Minderjährige an, die in eigenen Wohnungen lebten:
       „Wir betreuen sogar Jugendliche, die bereits aus geschlossenen
       Einrichtungen rausgeflogen sind“, sagt Knievel.
       
       Allerdings hat die Sozialbehörde im Herbst behauptet, kein Bremer
       Jugendhilfeträger habe Bereitschaft gezeigt, sich der straffälligen
       Flüchtlingsjugendlichen anzunehmen – und daraufhin den umstrittenen Lothar
       Kannenberg nach Bremen geholt, in dessen „Bootcamp light“ in Rekum seit
       November Jugendliche leben. „Das stimmt“, sagt Knievel, „aber die Behörde
       hat nach stationären Angeboten gefragt – und die haben wir nicht.“
       
       Dabei würden die ambulanten Maßnahmen durchaus anerkannt: „Die Behörden und
       die Gerichte akzeptieren uns, die Kooperation klappt hervorragend.“ Aber
       mit Leuten wie Kannenberg, sagt er, „hat die Stadt recht schnell ein
       Problem weniger – und die jetzt geplante geschlossene Unterbringung ist für
       sie ebenfalls leichter und schneller umsetzbar als ambulante Hilfen“. Denn
       während nur ein Träger für ein „Heim“ benötigt würde, müssten sich bei der
       ambulanten Hilfe verschiedene Träger aufteilen. Und: „Da muss Wohnraum her
       – und zwar für die einzelnen Jugendlichen, nicht für Gruppen“, sagt
       Knievel. Wenn man zehn straffällig gewordene Jugendliche – so wie jetzt im
       Stadtteil Strom – gemeinsam und weitestgehend unbetreut in einem Hotel
       unterbringe, „ist doch klar, dass das nicht funktioniert“.
       
       Gegen geschlossene Heime wendet sich auch Olaf Emig vom Institut für
       Soziale Arbeit und Entwicklung, der an der Evaluation mitwirkte: Er hat
       jetzt der Bürgerschaft eine Petition übergeben, unterzeichnet von
       Flüchtlingsgruppen und Wohlfahrtsverbänden, dem Kriminalpolitischen
       Arbeitskreis, JuristInnen und SozialwissenschaftlerInnen. Bremen müsse
       stattdessen eine „an den fachlichen Erfordernissen orientierte und
       integrative Jugendhilfe“ anbieten.
       
       21 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
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