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       # taz.de -- Bilder des Islamischen Staates: Schadet die Verteufelung des IS?
       
       > Wenn über den IS geschrieben wird, ist von Monstern und Barbaren die
       > Rede. Hilft uns das die Erfolge der Dschihadisten zu verstehen?
       
   IMG Bild: Der Henker Jihadi John, prominenter Kopf des IS
       
       Am Freitag erst tauchte wieder eines dieser Enthauptungsvideos auf, für die
       die Dschihadisten des Islamischen Staates mittlerweile bekannt sind. Es ist
       sechs Minuten lang. Angeblich werden darin drei kurdischen
       Peschmerga-Kämpfer im Nordirak getötet. Wie immer berichteten Agenturen:
       „Die Echtheit des Videos ließ sich zunächst nicht verifizieren.“
       
       Die Fakten sind oft eher vage und unklar, wenn über den Islamischen Staat
       geschrieben wird. Der Zugang zu den vom IS beherrschten Gebieten ist
       schwierig, Journalisten begeben sich schnell in Lebensgefahr, auch sie sind
       zu Zielen geworden. Es gibt allerdings recht klare Bilder der Kämpfer des
       IS, besonders im Westen. Sie erscheinen beispielsweise als Henker wie der
       Brite Jihadi John, der als schwarze Gestalt auftauchte und die Gefangenen
       des IS enthauptete. Oft ist von den [1][//:IS-Barbaren] die Rede, von
       Gewaltakten jenseits der Regeln der Zivilisation. Nicht nur
       Boulevardzeitungen sprechen von [2][IS-Monstern] oder [3][//:Isis-Bestien].
       
       In der [4][taz.am wochenende vom 21./22. März 2015] plädiert die
       Kriegsreporterin Francesca Borri dafür, die IS-Kämpfer trotzdem weiterhin
       als Menschen zu betrachten, nicht in erster Linie als Monster. Borri hat
       sich mehrere Jahre in Syrien mit dem Islamischen Staat beschäftigt, sie hat
       einige der Kämpfer getroffen. Am Ende hat sie diese nur noch von der
       türkischen Grenze aus betrachtet – als Silhouetten am Horizont. Es ist ein
       ähnliches Bild, wie es wohl viele gerade westliche Betrachter haben,
       geprägt von Distanz und Unschärfe. „Aber wer verbirgt sich hinter dieser
       schwarzen Silhouette?“, fragt Borri.
       
       Sie erkennt verschiedene Typen von Extremisten: Zivilisten und Kämpfer,
       Einheimische und Ausländer. Aus ganz persönlicher Sicht schildert sie, wie
       sie darum ringt, die IS-Kämpfer zu begreifen.
       
       ## Krieg gegen den Terror
       
       Gerade in dieser Woche sind einige andere Plädoyers erschienen, den
       Islamischen Staat nicht ausschließlich zu verteufeln – vor allem, weil es
       der Analyse wenige hilft. In seinem Essay im Spiegel schreibt etwa Georg
       Diez, der IS seien gerade keine Monster aus dem Mittelalter. Er zitiert den
       britischen Philosophen John Gray, der den Islamischen Staat eine „durch und
       durch moderne Bewegung“ nenne, ein Start-up des Terrors mit klarem
       Business-Modell. Diez verweist außerdem auf folgenden Zusammenhang: „Der
       Krieg gegen den Terror schuf den heutigen Terror des IS.“ Er meint damit
       vor allem die Verwüstung, die US-Truppen im Irak anrichteten.
       
       In ihrer Titelgeschichte schildert Francesca Borri, wie sie den IS in
       Aleppo anfangs als eine der wechselnden islamistischen Milizen erlebte.
       Während die Stadt von Assads Militär bombardiert wurde, richteten die Leute
       vom Islamischen Staat Hilfsbusse ein und brachten die Menschen in Richtung
       türkischer Grenze. „Für viele Syrer ist der IS nicht der britische Typ, der
       dir den Kopf abschneidet“, schreibt Borri. „Es ist ein Fahrer dieser
       Busse.“
       
       Auch der Historiker Pierre-Jean Luizard liefert ähnliche Deutungsansätze
       für die Sympathie mit dem IS in manchen Regionen. Die Völker des Nahen
       Ostens wollten sich der postkolonialen Ordnung nicht länger beugen, zitiert
       der Perlentaucher aus Luizards [5][//:Gespräch mit télérama.fr.] Die
       irakische Armee habe sich im eigenen Land wie Besatzungstruppen verhalten.
       Bevor sie etwa in Mossul verschwand, habe sie die Korruption dort ins
       Unermessliche getrieben. „Als der IS einige dieser Korrupten enthauptet und
       gekreuzigt hatte, konnte die Bevölkerung feststellen, dass die
       Lebensmittelknappheit verschwunden war. Die Märkte wurden wieder beliefert,
       die Preise halbierten sich.“
       
       Die Passivität der Bevölkerung Mossuls habe sich schnell in einen Beitritt
       zu einem Staat islamischen Rechts verwandelt, der einen Unrechtsstaat
       ersetzte. „Ich rechtfertige die Islamisten nicht,“ stellt der Historiker
       Luizard klar, „aber wenn man einen Gegner zu verteufelt, bringt man sich
       darum, seinen Erfolg zu verstehen." Es ist ein Vorwurf, dem sich fast jeder
       ausgesetzt sieht, der Erklärungsansätze für die Akzeptanz des IS sucht –
       nicht nur in Mossul. Bedeutet das nicht, dass man verharmlost,
       bagatellisiert – und eben: rechtfertigt?
       
       ## Selbstmordanschläge in Tunesien und im Jemen
       
       In Tunis hat der IS sich in dieser Woche zu einem Anschlag bekannt, bei dem
       etliche Menschen starben. Auch für Selbstmordanschläge im Jemen will ein
       Ableger des Islamischen Staats verantwortlich sein. Die Anschläge richteten
       sich gegen zwei Moscheen, die vor allem von schiitischen Muslimen besucht
       wurden. Auch dort starben Dutzende Menschen.
       
       Der Reporter Wolfgang Bauer erklärt die Rolle der beiden islamischen
       Strömungen in dem Konflikt und hinterfragt in einer Reportage in der Zeit,
       für die er aus dem Irak berichtet, die gängigen Bilder der Journalisten.
       „Die Extremisten aus dem Ausland, die in der Weltpresse stehen und die
       berüchtigten Videos drehen, machen nur einen kleinen Teil der IS-Kämpfer
       aus“, stellt er fest. „Die meisten Männer führen ihnen die großen Stämme
       der Sunniten zu.“ Vier sunnitische Widerstandsgruppen etwa habe es in einem
       Vorort von Bagdad seit der US-Invasion gegeben. Sie alle seien jetzt mit
       dem IS verschmolzen. „Wessen Herrschaft ist schlimmer“, würden sich nun
       immer mehr Sunniten fragen. „Die sunnitischen IS oder die die schiitischen
       Milizen?“
       
       Was meinen Sie: Müssen wir stärker die Menschen in den IS-Kämpfern sehen?
       Oder ist das schon ein erster Schritt in Richtung Rechtfertigung? 
       
       Diskutieren sie mit!
       
       Die Titelgeschichten „Wer sind die Kämpfer des IS“ lesen sie in der
       [6][taz.am wochenende vom 21./22. März 2015].
       
       20 Mar 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://onlinetaz.hal.taz.de/http
   DIR [2] http://www.n-tv.de/politik/Die-IS-Monster-haben-meine-Frau-entfuehrt-article13535146.html
   DIR [3] http://onlinetaz.hal.taz.de/http
   DIR [4] /Ausgabe-vom-21/22-Maerz-2015/!156716/
   DIR [5] http://onlinetaz.hal.taz.de/http
   DIR [6] /Ausgabe-vom-21/22-Maerz-2015/!156716/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mara Bierbach
   DIR Johannes Gernert
       
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