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       # taz.de -- Kunst der Sinti und Roma: Den NS auskotzen
       
       > Sie überlebte im Nationalsozialismus mehrere KZs. Ceija Stojka erzählte
       > als eine der Ersten von dem Leid und benutzt ihre Kunst als Waffe der
       > Emanzipation.
       
   IMG Bild: Unter anderem in Heidelberg zu sehen: „1944. Auschwitz. Wir schämten uns.“
       
       SS-Stiefel, nackte Frauenkörper, flehend in die Luft geworfene Arme. Ceija
       Stojkas autobiografische Kunst erzählt von Demütigung und schierem Grauen.
       Manchmal, so scheint es, findet sie nur schwer Bilder dafür, dann kommen
       surreale Momente auf, dann ist etwa ein Bild von einzelnen, aufgerissenen
       Augen übersät, die hinter wirrem Gestrüpp harren.
       
       „1943, Angst“ heißt es. In schwarzen Tuschezeichnungen, Gouachen, bunten
       Gemälden und Gedichten verarbeitete die österreichische Künstlerin, was sie
       als Kind erlebte und überlebte: Auschwitz, Ravensbrück, Bergen-Belsen. Erst
       Ende der achtziger Jahre fing die Autodidaktin an zu malen, da war die Zeit
       gekommen auszukotzen, was sie hatte fressen müssen. Auch nach ihrer
       Befreiung noch, denn als Romni betrog sie die Gesellschaft um ihre
       moralische Anerkennung als Opfer der Nationalsozialisten.
       
       Heute gehört die 2013 verstorbene Stojka zu den bekanntesten
       Roma-Künstlerinnen. Vergangenen Sommer holten die Kuratoren Lith Bahlmann
       und Matthias Reichelt ihre Arbeiten nach Berlin, dann waren sie in der
       Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück zu sehen. Jetzt zeigt der Heidelberger
       Kunstverein sie. Stojkas herausragende künstlerische Position ist auch
       deswegen so wichtig, weil sie als eine der Ersten von dem Leid erzählte,
       das Sinti und Roma im „Dritten Reich“ widerfuhr. Die Vorurteile gegen
       Europas größte Minderheit sind bis heute tief in der Gesellschaft
       verankert, und auch die Kunstgeschichte lieferte lange Zeit vor allem
       folkloristische Klischees.
       
       Die Direktorin des Heidelberger Kunstvereins Susanne Weiß hat Stojkas
       Arbeiten jetzt an einen besonderen Ort geholt, denn seit 1982 befindet sich
       in der Stadt am Neckar der Sitz des Zentralrats Deutscher Roma und Sinti
       sowie ein Dokumentationszentrum, das die Geschichte des
       nationalsozialistischen Völkermords an ihnen vermittelt. Weiß hat eine
       Zusammenarbeit mit dem Zentrum initiiert. Im Rahmenprogramm zur Ausstellung
       hält etwa Silvio Peritore, der stellvertretende Vorsitzende des
       Zentralrats, einen Vortrag über die Bürgerrechtsbewegung der Minderheit;
       Frank Reuter, wissenschaftlicher Mitarbeiter, referiert zur Konstruktion
       und Stigmatisierung des „Zigeuners“ in der Fotografie.
       
       Die Künstlerin Sara Riesenmey hat einen Verbindungspfad zwischen dem
       Kunstverein und dem Dokumentationszentrum entworfen. Ausgehend von Stojkas
       Gedicht „Ich habe die Freiheit“ hat Riesenmey mehrere Linolschnitte mit
       Stacheldraht-Motiven angefertigt und sie mit Zitaten aus dem Gedicht
       kombiniert. Sie markieren jetzt den Weg zwischen den beiden Häusern durch
       die Innenstadt.
       
       ## Tradierung der Feind- und Zerrbilder
       
       Die Kunst sei über Jahrhunderte hinweg ein wichtiges Medium der Tradierung
       der Feind- und Zerrbilder vom sogenannten „Zigeuner“ gewesen, sagte Romani
       Rose zur Eröffnung der Heidelberger Ausstellung. Der Bürgerrechtler
       gründete den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit und ist seit über 30
       Jahren dessen Vorsitzender.
       
       Kunst könne aber auch eine Waffe der politischen Emanzipation und der
       Selbstbefreiung sein, so Rose weiter, es gelte, das Bewusstsein für die
       Beiträge zu schärfen, die Sinti und Roma für die europäische
       Kulturgeschichte über die Jahrhunderte geleistet hätten. Voraussetzung
       dafür sei, dass Sinti und Roma nicht nur als Objekte der Kunstgeschichte
       wahrgenommen würden, sondern selbst als Künstlerinnen und Künstler
       öffentlich in Erscheinung träten.
       
       Dafür setzt sich auch Moritz Pankok ein. In Berlin leitet er die Galerie
       Kai Dikhas, der Name aus dem Romanes heißt „Ort des Sehens“. Es ist die
       erste Galerie Westeuropas, die sich auf zeitgenössische Kunst von Sinti und
       Roma spezialisiert hat und ihr zu mehr Sichtbarkeit verhilft. Zu den
       vertretenen Künstlern gehört auch Ceija Stojka.
       
       ## Durchbruch in Venedig
       
       Darüber hinaus präsentiert die Galerie herausragende zeitgenössische
       Positionen wie die von Delaine Le Bas oder Daniel Baker. In einigen Monaten
       wird hier die Ausstellung „Ultima Verba“ mit Arbeiten des bisher vor allem
       in Frankreich bekannten Bildhauers Gérard Gartner zu sehen sein. Es sei
       eine der letzten Möglichkeiten, dessen Skulpturen in Deutschland zu sehen,
       sagt Pankok, denn kommendes Jahr werde Gartner sein Werk in einer
       Performance zerstören, auch um auf die geringe Sichtbarkeit von
       Roma-Künstlern in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen.
       
       Gerade hat die Kulturstiftung des Bundes 3,8 Millionen Euro für den Aufbau
       eines digitalen Archivs der Kultur und der Künste von und über Sinti und
       Roma in Europa bewilligt. Zu den Partnern gehören das Dokumentationszentrum
       Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg, das Museum für Romakultur in Brünn,
       Tschechien, das Romani Archive and Documentation Center an der Universität
       von Texas, Austin, das Museum für Ethnografie in Budapest sowie das in
       Gründung befindliche Roma-Museum in Bukarest. Mit Ende der Förderung 2019
       soll das Projekt dann in die Trägerschaft einer europäischen Vertretung der
       Sinti und Roma übergehen, im Gespräch ist die European Roma Culture
       Foundation in Budapest.
       
       2007 hatte es für die Kunst von Sinti und Roma einen kleinen Durchbruch
       gegeben. Bei der 52. Biennale in Venedig gab es erstmals einen
       Roma-Pavillon. Die ungarische Romni Timea Junghaus, Aktivistin und
       Kunsthistorikerin, initiierte und kuratierte die Ausstellung mit dem Titel
       „Paradise Lost“.
       
       ## Unter Leichenbergen versteckt
       
       Anlässlich der Ausstellung mit Stojkas Arbeiten in Berlin letztes Jahr
       haben Bahlmann und Reichelt die umfassende Publikation „Sogar der Tod hat
       Angst vor Auschwitz“ veröffentlicht. Zur Publikation gehören zwei filmische
       Porträts von Stojkas Biografin Karin Berger. Darin erzählt Stojka unter
       anderem von Bergen-Belsen. Etwa davon, wie sie sich unter Leichenbergen
       versteckte, um Schutz vor Wind und Kälte zu suchen.
       
       Sie beschwört die eingefallenen Wangen der Toten herauf und die fetten
       Köpfe der SS-Schergen. In Stojkas Kunst treffen diese Bilder auf einen
       kindlich anmutenden, frühexpressionistischen Gestus. Über ihre
       Tuschezeichnungen und die Rückseiten von Leinwänden ziehen sich
       Buchstabenketten in kindlicher Handschrift. „Los, alles nach Auschwitz“,
       schreien Nazis. „Ich kann es nicht vergessen“, schreibt Stojka.
       
       19 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine Weier
       
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