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       # taz.de -- Eine Lesebühnenlegende hört auf: Kein Blatt vor dem Mund
       
       > Zwei Jahrzehnte lang hat unsere Autorin zur Freude des Publikums ihre
       > Texte vorgetragen. Jetzt macht sie damit Schluss – und zieht ein
       > süßsaures Resümee.
       
   IMG Bild: Sarah Schmidt hat zwei Jahrzehte Lesenbühnen-Erfahrung.
       
       Vor über 20 Jahren stand ich zum ersten Mal am Mikrofon einer Lesebühne. Es
       war aufregend und berauschend, und ich wollte unbedingt mehr davon. Mehr
       von dem Gefühl, eine neue Art von Kultur mitzuentwickeln, eine die sich
       unabhängig von der etablierten Literatur- und Bühnenszene machte, in der
       der Abstand zwischen Autoren und Publikum häufig verschwand. Eine Kultur,
       deren Mittelpunkt das eigene Erleben war.
       
       Ende Februar stand ich vorläufig zum letzten Mal bei „meiner“ Bühne – dem
       Frühschoppen im Schlot – am Mikrofon, um mich zu verabschieden.
       
       Ob ein Ausstieg aus der Szene, mit der mich so viel verbindet, die richtige
       Entscheidung ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich es bald
       vermissen. Das würde mich freuen. Trotzdem ging es nicht anders. Ich habe
       ein gutes Jahr Nachdenken für diesen Entschluss gebraucht, da aber dieser
       Artikel kurz werden muss, beschränke ich mich auf drei Aspekte: die
       Kollegen, das Publikum und mich.
       
       In der Berliner Szene habe ich wunderbare männliche und weibliche
       Autorinnen kennengelernt, glitzernde Perlen, auf die ich mich jedes Mal
       freute, wenn ich mit ihnen auftreten konnte. Aber das Gros der
       Lesebühnen-Männer sind ziemlich maulfaule Gesellen, die sich selbst
       Gesellschaft genug sind und deren kollegialen Kommunikationsmöglichkeiten
       mit einem aus den Zähnen gezogenen „Hallo“ schon erschöpft sind. Ich habe
       genug Zeit mit mittelalten Männern verbracht, die nicht sprechen wollen;
       ihr Verharren in einer Slacker-Pose macht mich müde. Alter ist das richtige
       Stichwort, um zum Publikum zu kommen.
       
       Lesebühnenpublikum ist entweder sehr jung, und das bin ich nicht mehr. Oder
       ganz schön bei Jahren, und das bin ich noch nicht. Ich brauche also
       einerseits immer häufiger eine Lesebrille, aber ich möchte mir noch nicht
       die Schuhe ausziehen und meine Wollfüße auf die Bühne legen. Ja, das machen
       ältere Besucher sehr gern. Wahrscheinlich, um auszudrücken, wie wohl sie
       sich fühlen. Und das wiederum eint beide Generationen. Sie wünschen sich
       Unterhaltung, die nicht wehtut, Geschichten, in denen sie sich spiegeln
       können.
       
       ## Noch ein Schenkelklopfer
       
       Texte, die nicht ganz genau in das erwartete Schema passen
       (Ich-Perspektive, voll witzige Wendungen und/oder Wortspiele, Alltag),
       werden freundlich müde beklatscht. Dann ist man froh, wenn der nächste Text
       wieder ein Schenkelklopfer ist, denn darum kommt man ja zur Lesebühne. Wenn
       die Welt düster scheint, möchte man es wenigstens in der Freizeit lustig
       haben. Verständlich. Aber vor Zuschauern, die beim Wort „ficken“ immer
       wieder entzückt auflachten, konnte ich mein Augenrollen nur noch mühsam
       verbergen.
       
       Super Überleitung zu Punkt drei: ich. In diesen zwei Jahrzehnten Lesebühne
       habe ich das Schreiben von pointierten Kurzgeschichten gründlich gelernt,
       Routine bekommen. Routine lernen ist eine gute Sache, so lange, bis man sie
       hat. Seit einiger Zeit langweilte sie mich. Immer dringender wollte ich
       mehr als ein Spotlight verfassen, gründlicher beschreiben. Das geht in
       einer Lesebühnengeschichte so wenig, wie es in diesem Artikel möglich ist.
       Kurz und knackig soll es sein, und das bin ich nicht mehr so oft.
       Vielleicht auch, weil in meinem Leben nicht mehr so viel passiert, das sich
       in einer Kurzgeschichte erzählen ließe. Wäre ich eine
       Lesebühnen-Daily-Soap, ich wäre auserzählt.
       
       Wären Slams – also Wettbewerbe – ein Ausweg? Auf keinen Fall. Als einen der
       großen Vorteile der Lesebühnen habe ich immer die Konkurrenzlosigkeit
       empfunden. Natürlich entwickeln sich Lieblinge, die eine schreibt einfach
       besser als der andere, ein paar Überflieger haben sich aus der Szene
       herauskristallisiert. Die Idee, freiwillig als Gegner vor ein Publikum zu
       treten, das durch Klatschen oder durch Grölen „Sieger“ bestimmt, finde ich
       aber vollkommen idiotisch.
       
       Was geblieben ist: das Bedürfnis, mich mitzuteilen. Das Schöne am prekären
       Autorendasein ist die Möglichkeit, einfach etwas Neues beginnen zu können.
       Ich bleibe lieber mit etwas arm, das mir derzeit mehr Spaß macht: Romane
       schreiben. Mein dritter ist gerade fertig. Das ist meine Freiheit.
       
       17 Mar 2015
       
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