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       # taz.de -- Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Israel: Erst mal alles abschalten
       
       > Israels Rundfunk steht eine Radikalkur bevor. 1.800 Kündigungen und mehr
       > Autonomie sind vorgesehen. Doch die Regierung bestimmt den Aufsichtsrat.
       
   IMG Bild: Auf allen Kanälen: Israels Premier Netanjahu spricht vor dem US-Kongress
       
       JERUSALEM taz | Israels öffentlich–rechtlichem Rundfunk steht eine
       Radikalkur bevor. 1.800 Mitarbeiter warten auf ihre Kündigungen, die
       Sendehäuser sollen geschlossen und verkauft werden. Das komplette Aus
       bedeutet das trotzdem nicht für den Fernsehsender und für die
       Radioprogramme der „Stimme Israels“, die am Staatsgründungstag, dem 14. Mai
       1948, zum ersten Mal mit David Ben-Gurions Verlesung der
       Unabhängigkeitserklärung erklang.
       
       Der öffentlich–rechtliche Rundfunk soll in neuen Räumen mit neuen
       Führungsköpfen, neuer Finanzierung und viel weniger Personal ein von der
       Regierung unabhängigeres Programm machen, das den Fernsehzuschauer nichts
       mehr kostet. „Ab dem 31. März muss niemand mehr Fernsehgebühren bezahlen“,
       versprach Exkommunikationsminister Gilad Erdan. Das war zu voreilig, denn
       die ambitionierte Reform, über die die Knesset schon Mitte vergangenen
       Jahres mit klarer Mehrheit entschied, verzögert sich.
       
       Romema, das kleine Jerusalemer Viertel gleich an der Stadteinfahrt, ist
       Synonym für das alte Rundfunkhaus. Dort ist die Stimmung gedrückt. „Wir
       leben in kompletter Ungewissheit“, sagt Linda Bar, Sprecherin des Senders,
       „und das schon seit Monaten.“ Dass Veränderungen bei der Israeli
       Broadcasting Authority (IBA) nötig sind, hätte man eingesehen. Ein
       Abspecken und klarere Strukturen des Personalapparats waren nötig. „Der
       Betriebsrat hat den Kündigungen von 750 Stellen zugestimmt“, erklärt Bar:
       „750! Das ist doch toll, aber Lapid reichte das immer noch nicht“.
       
       Exfinanzminister Jair Lapid (Zukunftspartei) und Exkommunikationsminister
       Gilad Erdan (Likud) zielten auf grundsätzliche Reformen. So könne es nicht
       weitergehen, meinte Erdan. „Das Geld wird verschluckt und verschwindet in
       schwarzen Löchern von Überstunden und unrealistischen Arbeitsverträgen.“
       
       ## Mehr Autonomie durch Aufsichtsrat?
       
       Nur 200 bis 250 bisherige Mitarbeiter sollen in der künftigen Sendeanstalt
       untergebracht werden. Die Reform sieht den Einkauf von Fremdproduktionen
       vor und mehr Autonomie des öffentlich-rechtlichen Senders von der
       Regierung. Anstelle von Politikern soll künftig ein neunköpfiger
       professioneller Aufsichtsrat über die Ernennung des Generaldirektors und
       des Vorstands entscheiden.
       
       IBA-Sprecherin Bar zweifelt, dass damit allein eine Unabhängigkeit
       garantiert werden kann. „Die Aufsichtsratsmitglieder werden von der
       Regierung bestimmt“, erklärt sie, außerdem wachse die Abhängigkeit des
       Rundfunks dadurch, dass ein Teil der Kosten künftig direkt vom Fiskus
       übernommen wird.
       
       Bislang finanziert sich die IBA durch Abgaben fürs Autoradio, durch
       Rundfunkgebühren und zu etwa einem Zehntel aus Werbeeinnahmen. Das neue
       Finanzierungsmodell verzichtet zwar tatsächlich auf Gebühren fürs
       Fernsehen, baut aber auf mehr Autoradiogebühren, die auch in Zukunft
       beibehalten werden sollen. Dazu kommen mehr Einnahmen durch die Aufstockung
       der Werbezeit sowie eine festgelegte Zahlung vom Finanzministerium. Alles
       zusammen soll den Verlust an den Einnahmen aus den privaten Haushalten
       auffangen.
       
       Das Volk ist zufrieden. 70 Euro betragen derzeit die Fernsehgebühren
       umgerechnet im Jahr. Das ist zwar nicht viel, trotzdem bleibt oft Unmut
       darüber, nichts von entsprechendem Gegenwert für das Geld zu bekommen. Gut
       90 Prozent der zwei Millionen Haushalte in Israel haben einen
       Fernsehanschluss, 80 Prozent sind verkabelt oder verfügen über eine
       Satellitenschüssel.
       
       ## Private TV-Konkurrenz
       
       Die beiden privaten Sender Channel 10 und Channel 2 können längst mithalten
       mit den Nachrichten– und Politiksendungen des öffentlichen Rundfunks, dem
       sie die populärsten Journalisten abwarben. Die spannendsten Streitgespräche
       unter Spitzenpolitikern während des gerade laufenden Wahlkampfes kommen
       nicht im öffentlichen Fernsehen, sondern auf Channel 2, und auch bei den
       Unterhaltungssendungen liegen die Privaten meistens weit vorn.
       
       Dass zum öffentlichen Rundfunk auch das Radio gehört, wird in der
       Diskussion allerdings häufig vergessen. Immerhin acht Kanäle stehen zur
       Auswahl, Kultur und Klassik, Jazz, israelischer Pop, ein Sender auf
       Arabisch und einer für die Immigranten, einer für religiöse Programme und
       der populärste: Reschet Beth mit Nachrichten und Politikdebatten von
       morgens sechs Uhr bis zum Abend, unterbrochen nur von einer Stunde
       
       „Zauberhafte Momente“, alten Schnulzen, am frühen Nachmittag. Konkurrenz
       gibt es im Hörfunk von der Armee, die einen Nachrichten– und einen
       Musiksender unterhält, und von lokalen Privatsendern in den größeren
       Städten. Laut bisherigem Reformplan sollen alle acht Radioprogramme genauso
       wie das Fernsehen, inklusive des TV-Bildungskanals und Channel 33 auf
       Arabisch, nach der Schließung der Rundfunkanstalt weiterleben.
       
       Fraglich ist noch immer, wo. Die alten Rundfunkhäuser müssen verkauft
       werden, um die Abfindungen zu finanzieren. Trotzdem wird ausgerechnet jetzt
       noch ein neues Studio im Funkhaus Romema gebaut. „Wir müssen schließlich
       weiterarbeiten“, begründet Sprecherin Bar die Ausgaben von rund 50.000
       Euro. Bis zum Jahresende, so die Vermutung, werde die Reform ohnehin nicht
       umgesetzt.
       
       15 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
       
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