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       # taz.de -- IS-Taktik in Libyen: Zerstörung der Ölanlagen
       
       > Die libyschen IS-Gruppierungen haben eine neue Strategie: Sie wollen die
       > Ölfelder vor Ort zerstören. Denn zum Kontrollieren sind sie dort zu
       > schwach.
       
   IMG Bild: Ölanlage Ras Lanuf: Ziel von Attacken schon 2014 im libyschen Bürgerkrieg.
       
       KAIRO taz | Die Verschleppung eines Österreichers und acht weiterer Geiseln
       vor ein paar Tagen von dem El-Ghani-Ölfeld in Libyen dürfte ein tragisches
       Nebenprodukt einer neuen Taktik der militanten Islamisten sein. Denn den
       libyschen Dschihadisten geht es nicht primär um die Geiselnahme, sondern um
       die Zerstörung der libyschen Ölanlagen.
       
       Seit Beginn des Jahres greifen die Dschihadisten immer wieder Ölanlagen in
       Libyen an. Doch anders als ihren IS-Ablegern im Irak geht es ihnen dabei
       nicht darum, das Öl als Ressource zu nutzen, um ihren Kampf zu finanzieren.
       Sie greifen die Anlage an, töten die Wachmannschaften und nehmen Geiseln,
       um dann die Anlage zu zerstören und sie inoperabel zu machen. Dann ziehen
       sie sich zurück.
       
       Anders als im Irak und Syrien sind diese Gruppierungen zu klein und zu
       schwach, um die Anlagen langfristig militärisch zu halten. Die Ölfelder
       sind auch über ein weites schwer zugängliches Territorium verteilt. Auch
       die Vermarktungswege für das Öl über das Mittelmeer sind komplizierter, als
       das im Kalifat El-Baghdadis der Fall ist. Das Öl müsste über einen der
       Hafenterminals und Tanker über das Mittelmeer verschifft werden.
       
       Daher gilt für die Dschihadisten: zerstören, statt nutzen. Anfang Februar
       griff eine IS-Gruppierung das Mabrouk-Ölfeld an, ein libysch-französisches
       Joint Venture. Sie töteten 12 Menschen, nahmen sieben ausländische Arbeiter
       als Geiseln, unterwiesen die libyschen Arbeiter in eine Lektion über ihr
       Islam-Verständnis und ließen diese anschließend frei. Dann machten sie die
       Anlage inoperabel und zogen sich zurück. Zehn Tage darauf griffen sie die
       Anlage erneut an und parallel eine zweite, das Bahi-Ölfeld, ein
       libyisch-amerikanisches Konsortium. Kurz darauf jagten sie eine Pipeline in
       die Luft, die das Sarir-Ölfeld mit einem Terminal am Mittelmeer verbunden
       hatte.
       
       All diese Angriffe waren offensichtlich auch für das Management des
       El-Ghani-Ölfeldes eine Warnung. Laut dem philippinischen Außenamtssprecher
       Charles Jose, der in Manila zur Entführung von vier philippinischen
       Arbeitern in El-Ghani sprach, war die Arbeit auf dem Ölfeld bereits zwei
       Wochen vor dem Angriff zurückgefahren und ein großer Teil der Arbeiter nach
       Hause geschickt worden. Warum es zu dem Zeitpunkt des Angriffes noch
       Arbeiter dort gab und warum die Anlage so schlecht bewacht wurde und den
       Bewachern sogar die Muntion ausging, ist eine Frage, die sich die in Malta
       ansässige österreichische Firma Vaos allerdings gefallen lassen muss.
       
       ## Geiseln nur als Mittel zum Zweck
       
       Bei allen fünf Angriffen war es das vorrangige Ziel der Dschihadisten, die
       Anlagen zu zerstören. Geiseln waren hier nur Mittel zum Zweck. Es ist eine
       neue Taktik in Libyen, aber sicherlich nicht das erste Mal, dass der
       Ölsektor politischen Zwecken dient. Der macht 80 Prozent des libyschen
       Bruttosozialproduktes und 95 Prozent der Exporte des nordafrikanischen
       Landes aus und hat damit ein hohes politisches Erpressungspotential. Geoff
       Porter, Chef der „Africa Risk Consulting“, teilt die Politisierung des
       Ölsektors seit dem Sturz Gaddafis in mehrere Phasen auf.
       
       Bis 2014 dienten Angriffe und Besetzungen von Ölanlagen meist als recht
       eigentümliche Kommunikationsmethode mit der Zentralregierung in Tripolis.
       Wenn man eine politische Forderung hatte, wie beispielsweise den Rücktritt
       eines Ministers, dann besetzte man als Miliz kurzerhand ein Ölfeld, bis die
       Regierung in der Regel auf die Forderung einging.
       
       2014 entstanden zwei Machtzentren in Libyen, die im ostlibyschen Tobrouk
       amtierende Regierung und das in Tripolis regierende Parlament, die sich mit
       ihren Milizen gegenseitig bekämpfen. Beide Seiten haben versucht, die
       Ölfelder unter ihre Kontrolle zu bekommen. De facto gibt es seitdem in
       Libyen zwei rivalisierende staatliche Ölgesellschaften. Es ist ein
       klassischer Kampf um die wichtigste Ressource des Landes.
       
       Doch mit der neuen Taktik der IS-Dschihadisten gerät der gesamte Ölsektor
       in Gefahr, auf lange Sicht ruiniert zu werden. Die „Mutter dieser Taktik“
       sieht Porter, der auch als Assistent-Professor an der US-Militär-Akademie
       Westpoint arbeitet, in dem medienwirksamen Angriff auf die Tigantourine
       Gas-Anlage im algerischen Amenas, der von einer Al-Kaida-Gruppe
       durchgeführt und von dem in Nordafrika berüchtigten Dschihadisten Mokhtar
       Belmokhtar geplant wurde. Mehrere Dutzend Angreifer hatten die Anlage im
       Januar 2013 vier Tage lang besetzt und Geiseln genommen, bevor algerische
       Sicherheitskräfte die Anlage stürmten. Dabei kamen mindestens 39
       ausländische Arbeiter und 29 Mitglieder der militanten Gruppe ums Leben,
       685 algerische Arbeiter und 107 ausländische Arbeiter konnten befreit
       werden.
       
       ## Handbuch für den Angriff
       
       Belmokhtar und seine Gruppe, die Mourabitoun, haben nun vor vier Monaten
       eine Art Handbuch für den Angriff auf Öl- und Gasanlagen als Teil des
       Dschihad veröffentlicht, mit dem klaren Ziel, anderen Gruppen eine
       Handlungsanweisung zu geben. Im Vorwort werden die Ölgesellschaften und die
       Regierungen, die mit ihnen zusammenarbeiten, für die Ungerechtigkeiten in
       Nordafrika verantwortlich gemacht. Dann geht es darum, wie ein solcher
       Angriff vorzubereiten ist, wie man dafür trainiert, welche
       Aufklärungsarbeit getätigt werden muss.
       
       Ziel ist es, die Anlage zu zerstören. Da man nicht genug Männer habe, um
       die Anlagen zu zerstören, sollten diese per Fernbedienung in die Luft
       gejagt werden, heißt es etwa dort. Die Geiseln dienen hauptsächlich dazu,
       den Angreifern Zeit zu verschaffen. Allerdings wird dort gewarnt, die
       Geiseln seien keine Garantie, die Sicherheitskräfte von einer Rückeroberung
       abzuschrecken.
       
       Bei dem Angriff auf das El-Ghani-Ölfeld konnten die Angreifer sich anders
       als in Algerien mit ihren Geiseln zurückziehen. Den Zweck der Absicherung
       des Angriffes, bis die Anlage zerstört ist, haben die Verschleppten damit
       erfüllt. Was das für ihr weiteres Schicksal bedeutet, darüber kann nur
       spekuliert werden. Al-Kaida-nahe Gruppierungen in Nordafrika haben ihre
       Geiseln meist zur Erpressung von Lösegeld genutzt.
       
       Eine IS-Gruppierung in Libyen hat die von ihr Anfang des Jahres entführten
       ägyptischen christlichen Gastarbeiter vor laufender Kamera getötet. Dabei
       ging es aber vor allem um eine politische Botschaft in Richtung der
       ägyptischen Regierung, die auf einer Seite im libyschen Machtkampf
       involviert ist. Was IS-nahe Gruppierungen nun mit europäischen und
       asiatischen Geiseln in Libyen machen, das ist politisches Neuland.
       
       12 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karim El-Gawhary
       
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