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       # taz.de -- Die Wahrheit: In dreitausend Jahren um die Welt
       
       > Eine kleine Geschichte der Unmrundungen: Seit Menschengedenken suchen
       > Abenteurer auf der Erdkugel den Weg von Punkt A nach Punkt A.
       
       Es muss ein mysteriöser Trieb sein, der Menschen dazu zwingt, den von ihnen
       bewohnten Planeten auf möglichst komplizierte Weise in Fahrzeugen
       zweifelhafter Eignung zu umrunden - anders lässt sich die Vielzahl dieser
       nervenaufreibenden Rekordversuche nicht erklären.
       
       Jüngst haben sich die Schweizer André Borschberg und Bertrand Piccard
       aufgemacht, in einem ausschließlich von Sonnenkraft und guter Laune
       angetriebenen Flugzeug von A nach A zu fliegen. Fünf Monate soll die Reise
       mit Unterbrechungen dauern, fünf Monate, in denen andere arbeiten gehen,
       Familien gründen oder etwas Sinnvolles tun. Doch die Schwyzbuben vertrödeln
       nicht bloß kostbare Lebenszeit. Ein Blick auf die Geschichte der
       gescheiterten Erdumrundungen zeigt, welchem Risiko die beiden Hallodris
       sich damit aussetzen.
       
       Bereits in der Antike gab es erste Versuche, die natürlich gefügten Grenzen
       der Welt zu überschreiten. Alte Dokumente berichten von dem Bauern
       Kretinos, der um 800 v. Chr. auf Gummistelzen den Olymp überqueren wollte.
       Unterwegs trank er vor Durst direkt aus der Weinamphore wie ein Barbar, was
       Dionysos derart erzürnte, dass er Kretinos die Sinne vernebelte und ihn
       kopfüber in eine Schlucht stürzen ließ. Noch im Fallen versuchte sich der
       Unglückliche seiner Stelzen zu entledigen – zu spät; Sekunden später wurde
       er von spitzgezackten Granitfelsen unfreundlich empfangen. Historikern gilt
       dieses Ereignis als Vorläufer moderner Globusbezwingungen. Deren
       konstitutive Elemente – Selbstüberschätzung, Planungsfehler, späte Reue und
       beachtliche Sinnlosigkeit – sind in ihm bereits exemplarisch enthalten.
       
       Es dauerte jedoch noch Jahrhunderte bis zum ersten echten Umrundungsversuch
       an der damals noch recht kleinen Welt. Namentlich Leviticus Commodus, ein
       abgehalfterter Senator Roms, der des Lebens aus Orgien, Fressgelagen und
       Sklavenpeitschen überdrüssig war, wagte die gefährliche Expedition in
       keinem geringeren Vehikel als der Sänfte. Die genaue Reiseroute ist nicht
       mehr überliefert, als gesichert gilt, dass das Vorhaben des Leviticus in
       der Gegend von Calais zum Erliegen kam, als seine Sänftenträger beim
       Versuch, den Ärmelkanal zu durchqueren, ertranken und Leviticus sich nur
       mit Mühe und nassen Sandalen ans Ufer retten konnte.
       
       ## Auf Stelzen übern Olymp
       
       Mit dem Untergang des Römischen Reiches ging auch das Wissen über die
       befahrbaren Wege verloren, dichte Wälder breiteten sich in ganz Europa aus.
       Gedanken an eine Weltumrundung erregten Grauen unter den mittelalterlichen
       Menschen, weil man befürchtete, am Rand der Erdscheibe ins Nichts zu
       stürzen. Der Legende nach soll der Hl. Aventurius von Trier im 11.
       Jahrhundert auf einem geflügelten Walross zumindest in den Abgrund hinter
       der Welt geschaut haben. Neuere Forschungen legen jedoch nahe, dass er
       lediglich bis nach Bernkastel-Kues kam; auch handelte es sich bei dem
       geflügelten Walross wohl um ein verwachsenes Hausschwein. In Trier jedoch
       glaubt man die Geschichte noch heute.
       
       Die erste erfolgreiche Umrundung der Welt gelang dann, wie so oft bei
       solchen fixen Ideen, per Zufall: Im Jahr 1347 machte sich die aus Westfalen
       stammende Hexe Clarissa Rauls frühmorgens auf ihrem schwarzhandelsüblichen
       Reisigbesen mit Pestantrieb zur Walpurgisnacht am Brocken auf. Wegen eines
       Riesenkaters vom vielen Krötenschnaps verflog sie sich, brauste im Zickzack
       durch Europa und hinterließ als kleines Schmankerl überall den Schwarzen
       Tod. Nach einem wilden Ritt über Pazifik und Atlantik kam sie schließlich
       am Brocken an - Wochen zu spät und halb totgeärgert. Verflogen war immerhin
       auch ihr Kater.
       
       Christoph Kolumbus Erfindung der Erdkugel ermöglichte Erdumrundungen dann
       auch für den kleinen Mann von der Wasserstraße. Der Erfolg Ferdinand
       Magellans rief zahlreiche Nachahmer auf die immer noch sehr ungenaue
       Seekarte. Unter den vielen, die sich in selbstgebauten Kähnen, Barken und
       schwimmenden Baracken aufmachten, sei der Fall des holländischen
       Schuhschnitzers Pieter van de Meuken herausgegriffen, der nach verlorener
       Wette mit einer seetüchtigen Wohnkutsche die Globustour antrat, an Bord nur
       sieben Käseräder, eine Tulpenzucht und drei Klischees.
       
       Rasch wurde klar, dass seine Reise unter einem schlechten Stern stand:
       Schon in Hamburg war der halbe Proviant verbraucht, unterwegs blockierte er
       zuverlässig die Fahrbahn für andere Gespanne, und ständig hatte er kalte
       Füße. Trotz aller Widrigkeiten erreichte er noch Tahiti; doch stieß er dort
       auf eine Gruppe von Wilden und heiratete die Häuptlingstochter. Sie lebten
       glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende und ernährten sich von
       Menschenfleisch.
       
       ## Scheitern am Dampfross
       
       Neue Erfindungen brachten neue Versuchungen. Im Amerika des 19.
       Jahrhunderts krempelte die Dampfmaschine in Form von Eisenbahnen den
       öffentlichen Personennahverkehr um. Harry Martins, ein kleiner Bahnwärter
       aus Boston, der auch mal etwas wagen wollte, entwendete eines Nachts den
       Zug nach Westen und dampfte quer durch die Staaten mit dem Ziel der
       Weltumrundung – er kam niemals an.
       
       Es ist bis heute nicht ganz klar, woran sein ambitioniertes Vorhaben
       letztlich scheiterte. Kenner der nordamerikanischen Hydrosphäre vermuten
       starke Erosionen durch Frühnebel am feuchtigkeitsanfälligen Fahrwerk der
       Lok und daraus resultierenden Achsenbruch. Schienenhistoriker
       argumentieren, Martens sei einfach in Wyoming falsch abgebogen und dann
       irgendwo in den Rocky Mountains stecken geblieben. Bis heute ist ungewiss,
       ob der Zug nicht einfach eine Wahnsinnsverspätung hat.
       
       Mit der Eroberung des Luftraums durch den Menschen fielen die letzten
       Schranken der Mobilität und der Vernunft. Höher, schneller, weiter drängte
       es die frühen Piloten. In diesem Überbietungswettbewerb der Lebensmüdigkeit
       war der erste Komplettflug um Mutter Erde ein rasch formuliertes Ziel des
       luftfahrenden Volkes. Ungezählte Söhne und inzwischen auch Töchter
       unbescholtener Rabeneltern ließen ihr Leben bei dem Versuch, fliegend den
       Planeten zu umrasen.
       
       Tragisch ist der Fall des Bockenheimer Braumeisters Dr. Flotte, der nach
       beinahe vollendeter Weltreise mit seinem pedalgetriebenen Aeroplan zwischen
       die Fronten des Ersten Weltkrieges geriet und über Flandern von britischen
       Soldaten abgeschossen wurde. Dass ihm das gleiche Missgeschick während des
       Zweiten Weltkriegs noch einmal über Stalingrad unterlief, kann allerdings
       nur als dumm bezeichnet werden.
       
       ## Grundantrieb Berühmtheit
       
       Der technische Fortschritt machte es für Hobbyweltenbummler immer
       einfacher, ihre Rekordpläne in die Tat umzusetzen. Ob per Purzelbaum von
       Pol zu Pol oder mit Schlittschuhen über die sieben Weltmeere oder auf einem
       fliegenden Käsebrot um den Äquator - die Liste der aberwitzigen
       Rekordversuche ist lang, die der geglückten Umrundungen hingegen sehr kurz.
       
       Die beiden Schweizer, die gerade aufgebrochen sind, in ihrem
       Ultraleichtsinnsflugzeug den Globus zu bezwingen, wollen unbedingt berühmt
       werden, koste es, was es wolle (150 Mio. Franken). An mögliche Folgen
       denken sie nicht, die da wären: Lähmung, Tod oder steifer Nacken. Sie
       sollten sich genau überlegen, ob das bisschen Aufmerksamkeit, das ihnen
       zuteilwird, dieses Risiko wert ist. Denn am Ende, so viel ist klar, werden
       sie kein Stück weiter sein.
       
       14 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Valentin Witt
       
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