URI: 
       # taz.de -- Mordfall Boris Nemzow: Schneller Fahndungserfolg
       
       > Die russischen Fahndungsbehörden haben fünf Verdächtige aus dem Kaukasus
       > festgenommen. Einen Auftraggeber für den Mord soll es nicht geben.
       
   IMG Bild: Hat er die Finger beim Mord an Boris Nemzow im Spiel? Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow (m).
       
       MOSKAU taz | Nach zehn Tagen scheint der Mord an dem russischen
       Oppositionellen Boris Nemzow so gut wie aufgeklärt. Diesen Eindruck
       vermitteln zumindest Moskaus Fahnder, die sieben Verdächtige in Gewahrsam
       nahmen. Ein weiterer Verdächtiger soll sich beim Versuch der Festnahme
       selbst in die Luft gesprengt haben.
       
       Für russische Verhältnisse ist dies ein ungewöhnlich schneller
       Fahndungserfolg, mit dem die Ermittler auch nicht hinterm Berg halten. Was
       jedoch für die Ermittlungsbehörde noch wichtiger zu sein scheint, ist der
       Hinweis, dass es bei dem Mord am vorletzten Freitag in Moskau keinen
       Auftraggeber gab: der angeklagte Tschetschene Saur Dadajew soll nicht nur
       den Mord ausgeführt, sondern ihn auch organisiert haben, teilte die Behörde
       mit. Um sicher zu gehen, werde aber auch die Suche nach Auftraggebern noch
       nicht eingestellt.
       
       Damit hätte sich das kaukasisch-islamistische Mordmotiv bestätigt, das
       schon in den ersten Stunden als wahrscheinlichste Lösung gehandelt wurde.
       Der vermeintliche Täter Saur Dadajew soll sich über die Äußerungen Boris
       Nemzows im Zusammenhang mit Charlie Hebdo empört haben. Nemzow schrieb in
       seinem Blog: „Wir sind Zeugen einer mittelalterlichen Inquisition....Wenn
       Christen im 21. Jahrhundert leben, so leben Muslime im Jahr 1415.“ Das soll
       Saur Dadajew so erregt haben, dass er sich entschloss, den Oppositionellen
       auf eigene Faust direkt am Kreml umzubringen.
       
       ## Wahrer russischer Patriot
       
       Dadajews ehemaliger Chef, der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow,
       nannte den stellvertretenden Brigadechef einer tschetschenisch-russischen
       Eingreiftruppe nach dessen Festnahme einen „wahren russischen Patrioten“,
       der sich gegen seine „tschetschenische und russische Heimat“ bislang nichts
       hätte zuschulden kommen lassen. Tschetscheniens Autokrat kannte Dadajew
       persönlich, Saur hatte in dessen Leibgarde gedient.
       
       Dass er ihn über Gebühr lobte und in höchsten Tönen von ihm sprach, liess
       aufhorchen. Als er ihn auch noch „tiefgläubig“ nannte, sollte der Verdacht
       des religiösen Hintergrunds wohl zusätzlich noch Glaubwürdigkeit erhalten.
       
       Es wäre ungewöhnlich, wenn Saur Dadajew als stellvertretender Kommandeur
       einen so hochkarätigen Mord auf eigene Faust begangen haben sollte.
       Dergleichen wird im Normalfall von oben angeordnet und abgesegnet.
       Auftragsmord ist kein ungewöhnlicher Job für Leute in tschetschenischen
       Sicherheitsstrukturen. Bislang wurden die Täter jedoch nie belangt, sie
       standen über dem Gesetz.
       
       ## Dadajews Geständnis bislang nicht öffentlich
       
       Wenn Saur Dadajew verraten worden sein sollte, dürften
       Sicherheitsspezialisten es sich nun überlegen, ob sie Aufträge von oben
       noch ausführen können, meinte der Kaukasusexperte Grigorij Schwedow vom
       Webportal Kavkaski uzel – kaukasischer Knoten. Längerfristig hätte das
       erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität der Autokratie.
       
       Nachdenklich stimmt auch, dass Dadajews Geständnis bislang nicht öffentlich
       gemacht wurde. Im Gerichtssaal soll der Angeklagte geschwiegen haben. Nur
       den Justizbehörden liegt demnach ein Geständnis vor.
       
       Auf Kavkaski uzel hiess es am Sonntag noch, Dadajew hätte sich für nicht
       schuldig erklärt. Noch sind viele Fragen offen. Warum verübte etwa ein
       Experte das Attentat professionell, sorgte aber nicht dafür, unerkannt zu
       bleiben? Beobachter vermuten, die Führung Tschetscheniens könnte die Finger
       im Spiel haben. Kadyrow ist ein enger Gefolgsmann Präsident Wladimir
       Putins. Damit die Fahnder nicht in diese Richtung ermittelten, hätte sich
       ein Bauernopfer angeboten. Ein Kadyrow, der ausser Kontrolle geriete, sei
       während des Ukrainekrieges für den Kreml eine doppelte Gefahr, meinen
       russische Politologen.
       
       Doch was der Republikfürst damit erreichen wollte, bleibt bislang ebenfalls
       Gegenstand von Spekulationen. Auf jeden Fall verlieh Präsident Putin dem
       treuen Tschetschenen am Montag noch einen Orden "Für Erfolge in
       gewissenhafter Arbeit und aktive gesellschaftliche Tätigkeit". Mit ihm
       wurde auch Andrej Lugowoi ausgezeichnet, der britischen Ermittlern als
       Hauptverdächtiger im Mordfall des Ex-Geheimdienstlers Alexander Litwinenko
       gilt. Dieser war 2006 durch Polonium 210 in London ausgeschaltet worden.
       
       10 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
       ## TAGS
       
   DIR Wladimir Putin
   DIR Russland
   DIR Boris Nemzow
   DIR Ramsan Kadyrow
   DIR Tschetschenien
   DIR Tschetschenien
   DIR Russland
   DIR Polonium
   DIR Wladimir Putin
   DIR Opposition
   DIR Boris Nemzow
   DIR Kreml-Kritiker
   DIR Geständnis
   DIR Moskau
   DIR Mordanschlag
   DIR Attentat
   DIR Ermittlungen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gewalt im Nordkaukasus: Reporter und Aktivisten verprügelt
       
       In Inguschetien, unweit der Grenze zu Tschetschenien, überfallen
       Jugendliche Teilnehmer einer Pressetour. Die Journalisten müssen in eine
       Klinik.
       
   DIR Tochter von Kreml-Kritiker über Russland: „Heimweh? Absolut nicht“
       
       Schanna Nemzowas Vater Boris wurde vor einem Jahr ermordet. Ein Gespräch
       über Putins Staat, ihr Leben in Bonn und deutsche Strümpfe.
       
   DIR Vergiftung des Ex-Agenten Litwinenko: Staatlich unterstützter Mord
       
       Londons schwere Anschuldigungen gegen Putin: Eine Untersuchung ergab, dass
       Ex-Agent Litwinenko wohl im Auftrag des Kreml umgebracht wurde.
       
   DIR Opposition in Russland: Kremlkritiker schließen Bündnis
       
       Mehrere Organisationen planen, bei den kommenden Wahlen gemeinsam
       anzutreten. Sie wollen damit staatliche Schikanen zu umgehen.
       
   DIR Oppositioneller über Putins Machtpolitik: „Russland ist lebensgefährlich“
       
       Wladimir Ryschkow, Ex-Duma-Abgeordneter und enger Weggefährte des
       ermordeten Politikers Boris Nemzow, fürchtet um sein Leben. Russland sei
       eine Diktatur.
       
   DIR Rätselraten in Russland: Fahndung nach dem Kremlchef
       
       Seit über einer Woche ist Wladimir Putin abgetaucht und hat mehrere Termine
       platzen lassen. Die Gerüchteküche brodelt. Lebt er überhaupt noch?
       
   DIR Ermittlungen im Mordfall Nemzow: Menschenrechtler sprechen von Folter
       
       Der Geständnis des angeblichen Nemzow-Mörders könnte unter Folter
       entstanden sein. In Russland kursiert der Name des möglichen Täters.
       
   DIR Mord an Boris Nemzow in Russland: Verdächtiger gesteht Tatbeteiligung
       
       Fünf Personen sind im Mordfall Nemzow festgenommen worden. Einer von ihnen
       hat die Beteiligung an der Tat eingeräumt.
       
   DIR Attentat auf Boris Nemzow: Die Verrohung Russlands
       
       Putin opfert sogar sein Streben nach Stabilität der permanenten
       Mobilisierung gegen Feinde. Der Hass, den er sät, wird unkontrollierbar.
       
   DIR Russische Politologin über Nemzow-Mord: „Der Hass liegt in der Luft“
       
       Die Staatsmacht hatte es gar nicht nötig, den Befehl zur Ermordung des
       Putin-Kritikers Boris Nemzow zu geben, sagt die russische Politologin
       Schewzowa.
       
   DIR Nach Mord an Boris Nemzow: Fragwürdige Suche nach den Tätern
       
       Bei der Fahndung in Moskau gibt es viele Ungereimtheiten.
       Überwachungskameras sind mal an, mal aus. Und auch ein Schneepflug spielt
       eine Rolle.
       
   DIR Kommentar Mord an Boris Nemzow: Neutrale Ermittler sind nötig
       
       Putin hat die Aufklärung des Mordes zur Chefsache erklärt. Das klingt gut.
       Damit ist aber kaum zu erwarten, dass auch in seiner Umgebung ermittelt
       wird.