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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die Rückseite der Republik
       
       > Dienstreisen werden überschätzt. Als Spesenritter trifft man auf die
       > immer gleichen Gruselphänomene in den üblichen Hotels des Grauens.
       
       In meiner beliebten Reihe „Überschätzte Begleiterscheinungen der
       Zivilisation“ möchte ich heute vorstellen: die Dienstreise. Wer beneidet
       sie nicht, die wichtig aussehenden Schlipsträger mit ihren
       Laptop-Köfferchen, wenn sie mit Fastfood-Tüte und Pappkaffee bewaffnet
       unter Ellbogeneinsatz den ICE oder das Flugzeug entern? Bezahltes Reisen in
       der Komfortklasse – das ist ja alles Arbeitszeit, die sie mit Bild-Lektüre
       und dem Sortieren virtueller Süßigkeiten auf ihren Diensthandys gemütlich
       abwettern. Noch ein kleines Schläfchen, und dann steigen sie in Fulda
       wieder aus und sind der größte Controllinghai, den die Welt je gesehen hat.
       Ist das nicht toll?
       
       Die Wahrheit ist: Man muss es sich schönreden. Meine erste Dienstreise
       führte mich vor 25 Jahren nach Hildesheim, wo ich stolz ein nicht von mir
       bezahltes Hotelzimmer bezog, betrunken von nicht von mir bezahltem Wein. So
       ist das Erwachsenenleben, dachte ich. Man fährt nach Hildesheim! In ein
       Hotel! Und hat mit wichtigen Leuten gesprochen, gehört quasi dazu!
       
       Inzwischen kriege ich schon Heimweh, wenn ich im Bahnhofsparkhaus das Auto
       abschließe. Vom Bahnsteig aus betrachte ich wehmütig das Schaufenster der
       Bahnhofsmission. Sie preist ihren Sonntagsgottesdienst „für alle“ an. Ach,
       warum bin ich da noch nie hingegangen? Ich bin sicher, dort würde ich
       glücklich.
       
       Dann trägt mich der Zug durch die Rückseite der Republik: Schrottplätze,
       Industriebrachen, Recyclinghöfe kann man von den Gleisen aus prima sehen.
       Besonders im Winter, wenn das Ganze auch noch mit kahlen Bäumen garniert
       wird. Kann man diese trostlosen Holzgesellen nicht einfach wegräumen bis
       zum Sommer? Gibt es keinen Dekorationsbeauftragten in diesem Land? Für
       alles andere ist doch auch immer Geld da.
       
       ## Fußgängerzone mit Filialisten
       
       Ganz übel sind Reisen durch die Dunkelheit: Heimelig erleuchtete Fenster in
       Dörfern und Städten. Dahinter leben glückliche Menschen, die niemals auf
       Dienstreise gehen müssen. Sie lachen und singen den ganzen Tag und kuscheln
       sich jetzt behaglich in ihre Sofaecken.
       
       Oder im Sommer, die Freibäder – da findet das wirkliche Leben statt,
       während ich das mir zugeteilte Lebenssurrogat auf Fahrten zu fragwürdigen
       Meetings und Messen vergeige.
       
       Am Zielort wartet dann zuverlässig die Fußgängerzone mit Filialisten. Kann
       man die nicht einfach wegräumen bis zum jüngsten Gericht? Mit bösen
       Vorahnungen betrete ich schließlich das Hotel, an dem jeder Dienstreisende
       etwas zu meckern hat: rätselhafte Duscharmaturen (gar kein Wasser oder
       alles direkt ins Gesicht). Unabstellbare Klimaanlagen. Unerklärliche
       Brummtöne aus der Wand. Ein Teppichmuster wie ein böser Traum. Gespenster
       im Schrank. Axtmörder im Flur. Und wenn das Zimmer ausnahmsweise in Ordnung
       ist, kann ich mich immer noch über die anderen Gäste aufregen.
       Frühstücksbüfettplünderer, dämliche. Gibt es keinen Perfektionsbeauftragten
       in diesem Land?
       
       Erfreulich bleibt, dass jede Dienstreise irgendwann wieder in der eigenen
       Sofaecke endet. Schade nur, dass es da so langweilig ist.
       
       11 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
       ## TAGS
       
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