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       # taz.de -- Kampf um die solidarische Gesellschaft: Still lovin’ it!
       
       > Noch nie hatte der Feminismus die Aufgabe, alle Frauen als eine wie auch
       > immer definierte Gruppe zu vertreten. Dafür sind ihre Lebenslagen viel zu
       > verschieden.
       
   IMG Bild: Der Internationale Frauentag muss unbedingt erhalten bleiben, findet Julia Hahmann.
       
       HAMBURG taz | Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag zeichnen sich –
       vorsichtig formuliert – durch eine unendliche Bandbreite aus. Von Waffeln
       und Kuchen, Tanzveranstaltungen mit Männer-Striptease hin zu zahlreichen
       Möglichkeiten des stereotyp weiblichen Konsums scheint er seine Bedeutung
       im Alltagsleben verloren zu haben. Weichgespülte Angebote von Wellness und
       Farbberatung haben mit der historischen Bedeutung dieses Tages tatsächlich
       wenig zu tun und so scheint die in vielen Bereichen vollzogene und manifest
       gewordene Sinnentleerung des Frauentags einherzugehen mit einem
       öffentlichen Diskurs, der die Frauenbewegung insgesamt infrage stellt.
       
       Nicht nur in den Kommentarspalten feministischer Blogs tobt der Kampf um
       die Legitimation ebensolcher Perspektiven auf unterschiedliche Bereiche des
       menschlichen Zusammenlebens. Auch die mediale Aufarbeitung zeugt von einer
       teilweise deutlichen Ablehnung. Dabei variiert die Reaktion auf Fragen der
       Emanzipation von explizit antifeministischer Position zwischen
       „Genderfaschismus“ und „man wird ja wohl noch sagen dürfen“ bis hin zu den
       „guten“ Feministinnen, den „normalen“ Frauen, die proklamieren, dass es
       jetzt doch auch mal gut sei mit den Kämpfen, dass die Gesellschaft doch so
       viel erreicht habe und weitere Proteste und Maßnahmen
       freiheitseinschränkend seien und jedwedes Maß überschritten.
       
       Der Feminismus hat – so scheint es im öffentlichen Diskurs – seine
       Legitimation verloren, die Perspektive der Frauen zu vertreten und für sie
       zu kämpfen. Dabei unterliegen die Kritikerinnen und Kritiker hier jedoch
       einem grundlegenden Fehler: Es war noch niemals die Aufgabe des Feminismus,
       Frauen als biologische, soziale oder wie auch immer definierte Gruppe zu
       vertreten. Nicht einmal eine Vertretung der Mehrheit dieser Frauen ist
       notwendigerweise Aufgabe, was sich an zwei Punkten ablesen lässt. Erstens
       sind Lebenslagen von Frauen – selbst in Deutschland – sehr unterschiedlich.
       Sie bekleiden diverse Positionen im öffentlichen wie privaten Leben,
       verfügen über einen unterschiedlichen Hintergrund bezüglich Alter, Bildung,
       Einkommen, sexueller Orientierung, familiärem Status, Vermögen, Ethnie,
       Religion und vielem mehr. Sie sind vielleicht als Frau geboren, vielleicht
       aber auch nicht.
       
       ## Diverse Unterdrückungsmechanismen
       
       Das Konzept der Intersektionalität weist im wissenschaftlichen Umfeld
       darauf hin, wie unbedingt notwendig es ist, die Erfahrungen von Frauen als
       ein Produkt diverser Unterdrückungsmechanismen zu begreifen und fokussiert
       hier historisch insbesondere die spezifische Situation schwarzer Frauen
       unter variierenden Klassenlagen. Das Bild der Kreuzung (englisch
       „intersection“) wird verwendet, um zu verdeutlichen, wie das
       Aufeinandertreffen mehrerer ungleichheitsrelevanter Merkmale – etwa
       Geschlecht und sexuelle Orientierung – zu multiplen Formen der Ausgrenzung
       führt. Diskriminierungserfahrungen beeinflussen sich wechselseitig und
       werden in ihren Ausdrucksformen überlagert.
       
       Ähnliche Erfahrungen machen auch andere Gruppierungen, die sich von weißen
       Mittelstandsfeministinnen und -feministen in heterosexuellen Beziehungen
       politisch und aktivistisch ebenso wenig vertreten sehen, wie von gewählten
       frauenpolitischen Vertreterinnen und Vertretern der großen Parteien.
       Gleichberechtigung als Gleichstellung, das erscheint nicht nur für Eltern
       mit Vereinbarkeitsproblemen von beruflichen Anforderungen und familiären
       Verpflichtungen zu kurz gedacht.
       
       Das gleiche Argument gilt für die feministische Perspektive. Die
       wissenschaftlichen Strömungen und damit verbundenen Theorietraditionen,
       ihre Argumentationsweisen und aktivistischen Perspektiven unterscheiden
       sich seit jeher. Dies gilt selbstverständlich auch für den
       außerwissenschaftlichen Diskurs. Kurzum: Den einen Feminismus, der alle
       oder zumindest einen Großteil der Frauen vertreten kann, gibt es nicht.
       Debatten über Definitionsmacht und Deutungshoheit zeugen davon und werden
       in diversen Kontexten genutzt, um feministische Forderungen zu
       diskreditieren und der Lächerlichkeit preiszugeben.
       
       ## Gemeinsames Bewusstsein
       
       Anschließend an diese Debatten wird der Frauentag als symbolpolitisches
       Feigenblatt präsentiert, das abgeschafft werden solle. Gerade die
       beschriebenen Herabsetzungsmechanismen machen jedoch deutlich, wie
       notwendig ein gemeinsames Bewusstsein im alltäglichen, im politischen wie
       im wissenschaftlichen Kampf um Gleichberechtigung ist.
       
       Der Frauentag – national wie international – erinnert an eine gemeinsame
       Herkunft, den Kampf um politische Mitbestimmung, um Autonomie dem eigenen
       Körper, der eigenen Sexualität und dem eigenen Lebensentwurf gegenüber. Er
       verweist auf Lohnungleichheit, prekäre Arbeitsbedingungen bestimmter
       Berufsgruppen, auf unterschiedliche Armutsrisiken und Unterrepräsentation
       im öffentlichen Raum. Keinesfalls sollte dieser Tag den beschriebenen
       Pluralismus bedingungslos feiern und die zeitweise diametral geführten
       Diskussionen ignorieren. Vielmehr sollten wir ihn nutzen, um uns zu fragen,
       ob es ihn nicht doch gibt, den kleinsten gemeinsamen Nenner der
       feministischen Perspektiven. Beispielsweise in der Frage zu Solidarität und
       Schutz vor Alltagssexismus, wie sie durch die #aufschrei-Debatte
       medienwirksam und sehr kontrovers diskutiert wurde.
       
       Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Motiv- und Interessenlagen
       ist nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive relevant, sondern
       ermöglicht auch gegenseitiges Verständnis. Der Frauentag ist somit nicht
       ausschließlich Erinnerung, sondern auch Symbol der Notwendigkeit zur
       Weiterentwicklung neuer und bestehender Forderungen. Er ist ein Tag der
       Aktion, bestenfalls der gemeinsamen und gruppenüberschreitenden Aktion.
       
       ## Feministische Kämpfe
       
       Deutlich wird dies etwa am Frauen*kampftag, der in Berlin und in anderen
       deutschen Städten als plurales und heterogenes Bündnis organisiert wird.
       Unter den teilnehmenden Gruppen, die am 8. März unter dem Motto
       „Feministische Kämpfe verbinden!“ auf die Straße gehen, finden sich
       dezidiert widersprüchliche Positionen beispielsweise zur Frage Sexarbeit
       versus Prostitutionsverbot.
       
       Entreißen wir den Frauentag den Konsumangeboten, der ermüdenden Debatte um
       die Daseinsberechtigung der feministischen Diskurse und radikalisieren wir
       unsere Forderung nach einer gleichberechtigten und solidarischen
       Gesellschaft. Oder mit den Worten des Frauen*kampftags 2014: Still lovin’
       feminism!
       
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       ## Julia Hahmann
       
       34, Soziologin, arbeitet am Institut für Gerontologie an der Uni Vechta und
       hat derzeit eine Gastprofessor an der University of North Carolina. Sie
       forscht unter anderem zu den Themen Freundschaft, Gemeinschaft und
       Solidarität.
       
       8 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Hahmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Feminismus
   DIR Schwerpunkt Feministischer Kampftag
       
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